Neue Regisseurin in Braunschweig: “Mich reizt die Energie des Neuanfangs“

Dagmar Schlingmann wechselt ans Braunschweiger Staatstheater. Die Regisseurin über den Reiz des sich Messens, die Instrumentalisierung von Geflüchteten und bürgerliches Selbstbewusstsein.

Die neue Wirkungsstätte von Dagmar Schlingmann: Staatstheater Braunschweig Foto: dpa

taz: Frau Schlingmann, Sie kommen vom Schauspiel. Wieso inszenieren Sie auch Opern?

Dagmar Schlingmann: In meiner Kindheit und Jugend habe ich sehr viel Musiktheater gesehen, ursprünglich wollte ich Tänzerin werden. Diesen Plan musste ich aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Nach meiner Intendanz in Konstanz bin ich am Saarbrücker Dreispartenhaus wieder zur Oper gekommen. Ich mag es, so ein Haus als Ganzes zu denken. Für mich als Regisseurin heißt das auch, mich der Oper zuzuwenden, zumal es im Musiktheater spannende Entwicklungen gibt.

Gilt das auch für Braunschweig?

Ja, aber nicht in meiner ersten Spielzeit 2017/18. Zugleich im Büro und auf der Probe zu sein, fordert ja enorm. Im ersten Jahr werde ich mich auf meine Leitungsaufgaben konzentrieren und ein Schauspiel inszenieren.

56, leitete die Theater in Linz und Konstanz, ehe sie 2006 zum Saarländischen Staatstheater kam. Zur Spielzeit 2017/18 wechselt sie ans Staatstheater Braunschweig. Foto: Marco Kany

Wieso lassen Sie nach einem Jahrzehnt das Staatstheater Saarbrücken hinter sich?

Ich habe bei vorherigen Angeboten immer wieder Nein gesagt, weil ich hier im Saarland große Themen abzuschließen hatte: die Bühnensanierung oder der Aufbau unserer Jugendarbeit und der partizipativen Projekte. Das habe ich abgeschlossen, jetzt bin ich zufrieden. Deshalb kommt Braunschweig zum richtigen Zeitpunkt. In meinem Beruf darf es keine Routine geben.

Was interessiert Sie am Braunschweiger Staatstheater?

Mich reizt die Energie des Neuanfangs: Braunschweig ist ein ganz anderer Standort. Dann das Theater mit seinen schönen Spielstätten, mit einem etablierten Jungen Staatstheater und guten Ressourcen. Mich auch das sich Messen an den Metropolen in der Nähe. Im Saarland ist das Staatstheater Saarbrücken das einzige Theater.

Gibt es finanzielle Gründe?

Das Budget in Braunschweig ist höher, es gibt mehr Personal. Das ist natürlich schön. Und es gibt ein Junges Staatstheater, das gibt es in Saarbrücken in dieser Form und Ausstattung nicht. Es war mir immer wichtig, Kinder und Jugendliche ernst zu nehmen, neben Laienprojekten und weiteren partizipativen Angeboten für zukünftige Besucher.

Wilfried Schulz wechselt mit Entourage von Dresden nach Düsseldorf, Joachim Klement von Braunschweig nach Dresden, Sie nach Braunschweig. Wer profitiert davon?

Ich denke, dass die Theater davon profitieren, da mit jedem Wechsel neue Energie ins Haus kommt.

Und wer leidet darunter?

Wir werden immer an der Qualität und Relevanz unserer künstlerischen Produktion gemessen. Jeder Künstler weiß, dass ein Ensemble wandelbar bleiben muss, um ein repräsentatives Abbild der Gesellschaft zu sein. Das Theater ist nun mal ein spezieller Betrieb. Ein Intendant ist deshalb abhängig von seinem Team, das er gut kennt, dem er vertraut, mit dem er eine gemeinsame Basis hat.

Der designierte Volksbühnen-Intendant Chris Dercon geht davon aus, dass es in 20 Jahren keine separaten Häuser für verschiedene Künste mehr gibt, wie etwa das Museum für Kunst. Wie sehen Sie das?

Jede Zeit gebiert ihre eigene Kunst. Man sieht auf einen Blick, dass die Häuser, in denen wir arbeiten, Zeugnisse des erwachenden bürgerlichen Selbstbewusstseins sind. Die Inhalte hingegen entstehen immer in Korrespondenz mit der Gegenwart. Anders kann ich Theater gar nicht denken. Gesellschaftliche Prozesse sind immer die Basis dafür, was zwischen den Figuren entsteht und wie sich die Kunstform des Theaters weiterentwickelt.

Wie könnte diese spartenübergreifende szenische Kunst für Sie in Braunschweig aussehen?

Sie wird sich als zusätzliches Format entwickeln. Ich bin keine Prophetin, aber ich bin davon überzeugt, dass es auch in 20 Jahren noch Oper, Schauspiel und Tanz gibt, ebenso wie das Performative zwischen den Grenzen. Aber diese Entwicklung wird durch die Künstler bestimmt, die auf gesellschaftliche Prozesse reagieren.

Kann es bei dieser Entwicklung überhaupt noch feste Schauspielensembles geben?

Ich bin nach wie vor eine Anhängerin fester Ensembles. Meine Erfahrung ist, dass man mit einer Gruppe weiterkommt, die sich vertraut und aneinander wächst. Darauf würde ich ungern verzichten, zumal die deutsche Theaterlandschaft mit ihren Staatstheaterkästen zwar sperrig, aber einmalig ist. Dieser Apparat ermöglicht sehr viel.

Ihr Vorgänger Joachim Klement nimmt „Fast Forward“, das europäische Festival für junge Regie, mit nach Dresden. Wie wollen Sie diese Lücke schließen?

Da mir dieser internationale Ansatz schon in Saarbrücken wichtig war, ist es für mich schade, dass das „Fast Forward“ nach Dresden umzieht. Die Lücke soll zunächst bestehen bleiben, es braucht Zeit, um etwas zu entwickeln. Auch in Braunschweig, das ja mitten in Deutschland liegt, werden wir über den Tellerrand hinausschauen müssen. In Saarbrücken verabschieden Sie sich mit der Kollektivarbeit „La Révolution #1“. Was bedeutet Ihnen das?

Oh, darauf freue ich mich schon. Dieses Stück von Joël Pommerat hat in Frankreich für Furore gesorgt. Wir Regisseure haben zwar alle dieselbe Bühne und dasselbe Ensemble, nach gemeinsamem Dialog wird jeder Regisseur aber an seinem eigenen Brocken arbeiten. Mit solchen Produktionen, die aus dem Schema fallen, halten wir unser Theater lebendig.

In München eckt Matthias Lilienthal an, weil er Performance-Gruppen wie She She Pop an die Kammerspiele holt. Welchen Einfluss hat die freie Szene auf Ihre Ästhetik?

Ich bin in Kontakt mit einer bekannten Performance-Gruppe, um etwas zu koproduzieren. Vernetzung finde ich interessant, weil freie Gruppen und Staats- oder Stadttheater sich wechselseitig starke Impulse geben. Diesbezüglich ist auch die Braunschweiger Hochschule für bildende Künste für uns ein interessanter Partner. Und nicht weit von Braunschweig ist die Hildesheimer Kulturwissenschaft mit ihrer Performing-Arts-Szene, auch das ist für uns eine wichtige Adresse.

2015 haben Sie „Brennpunkt X“ inszeniert, ein Stück über die Situation von Geflüchteten im Saarland. Werden Geflüchtete nicht einfach instrumentalisiert, um Image und Förderchancen zu steigern?

Es ist eine Frage der Qualität, nicht der Quantität. Das Theater muss sich fragen: Was können wir tun, um einerseits geflüchtete Menschen zu unterstützen und sie andererseits angemessen am Theater partizipieren zu lassen? „Brennpunkt X“ war ein gutes, weil besonnenes und gründlich recherchiertes Projekt. Auch in Braunschweig gibt es eine konkrete Idee der nachhaltigen Zusammenarbeit mit geflüchteten Menschen.

Tun sich die Theater mit dieser thematischen Konzentration auf Flucht und Migration einen Gefallen?

Jedes Theater muss für sich schauen, was es leisten kann und wo es Schwerpunkte setzt. Erst dadurch kann sich ein Profil entwickeln. Der erste Impuls für ein Projekt muss aus dem Theater selbst kommen: Was können wir, was wollen wir damit erreichen? Einem Fördertopf hinterherzurennen, hat keinen Zweck.

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