Kommentar Mindestlohn für Flüchtlinge: Missbrauch garantiert

Ausnahmen vom Mindestlohn darf es nicht geben. Auch nicht für Migranten, die noch Zusatzqualifikationen brauchen. Es gibt eine einfache Lösung.

Ein Mann in einem Schulraum für Werkunterricht guckt konzentriert auf ein Metallwerkzeug

Ein Teilnehmer eines Qualifizierungsprojekts für Flüchtlinge in Miesbach (Bayern) Foto: dpa

Das Problem klingt plausibel: Krankenschwestern werden dringend gesucht, sodass Pflegekräfte aus Syrien beste Chancen hätten – wenn denn gesichert wäre, dass ihre Erfahrungen den hiesigen Erwartungen entsprechen. Um die eventuellen Wissenslücken zu schließen, würde sich also ein längeres Praktikum anbieten.

Bleibt nur eine Frage: Wie viel Geld sollte die Pflegekraft in dieser Zeit verdienen, denn als Praktikantin ist sie ja noch keine vollwertige Arbeitskraft?

Die Bundesregierung denkt jetzt über eine Lösung nach, die fatal enden könnte: Ein Arbeitspapier sieht vor, dass der Mindestlohn nicht gelten soll, wenn sich Migranten in einem Praktikum qualifizieren. Da ist Missbrauch zu erwarten: Ausländische Arbeitskräfte würden als „Langzeitpraktikanten“ deklariert, um sie zu Hungerlöhnen auszubeuten.

Schon jetzt ist der Zoll katastrophal unterbesetzt und personell nicht in der Lage, alle Betriebe zu kontrollieren, ob sie den Mindestlohn zahlen. Würde der Staat auch noch Ausnahmen zulassen, wären die Fahnder gänzlich überfordert: Wie sollen sie im Einzelfall nachweisen, dass das Praktikum nicht rechtens war?

Es darf keine Ausnahmen vom Mindestlohn geben. Gleichzeitig ist aber zu verstehen, dass Arbeitgeber nicht 8,84 Euro pro Stunde ausgeben wollen, wenn sie eine Arbeitskraft noch weiterbilden müssen. Für dieses Dilemma gäbe es eine einfache Lösung: das Antragsverfahren. Arbeitgeber müssten den Mindestlohn immer zahlen – aber sie könnten einen Zuschuss bei den Jobcentern beantragen, wenn sie Praktikanten fortbilden. Die Kontrolle wäre gesichert und Missbrauch ausgeschlossen.

Zudem wäre eine wissenschaftliche Begleitung möglich. Man wüsste hinterher, wie viele Praktikanten es tatsächlich gab und was aus ihnen geworden ist. Statt hitzig zu spekulieren, wäre allseits bekannt, ob sich die Ausnahmen vom Mindestlohn gelohnt haben.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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