Kommentar Reaktionen auf Anschlag: Besonnenheit gegen Perfidie

Merkels Statement war besonnen, empathisch und klug. Die Provokationen der AfD ignoriert man am besten. Seehofer aber übertrumpft alles.

Ein Mann in Anzug und mit weißen Haaren zeigt mit austrecktem Finger nach links

Horst Seehofer, hier am 13. Dezember, übertrumpft nun sogar die AfD Foto: dpa

Am Tag danach ließen sich in der Bundesregierung zwei Wege beobachten, mit dem fürchterlichen Anschlag in Berlin politisch umzugehen. Angela Merkel blieb angesichts der unklaren Faktenlage zurückhaltend und vermied es, Konsequenzen anzukündigen. Falls sich bestätigen sollte, dass ein Flüchtling der Täter sei, wäre dies „besonders widerwärtig“, sagte sie mit Blick auf den Verdacht, dass ein Flüchtling aus Pakistan den Lkw fuhr.

Merkels Statement war besonnen, empathisch und, ja, es war auch klug. Denn wenig später gaben die Ermittler bekannt, dass die Täterschaft des festgenommenen Pakistaners unsicher sei. Merkel war wegen ihrer vorsichtigen Wortwahl auf der sicheren Seite. Das unseriöse Gegenbeispiel lieferte CSU-Chef Horst Seehofer, der sich bei derselben verworrenen Faktenlage früh festlegte. Die Zuwanderungspolitik müsse neu ausgerichtet werden, tönte er – das sei man den Opfern und den Betroffenen schuldig. Allein die Anmaßung, die Opfer und ihre Familien für politische Wünsche zu instrumentalisieren, ist abstoßend.

Doch Seehofers Pauschalurteil ist auch deshalb fürchterlich, weil es eine direkte Linie von einem Wahrscheinlich-doch-nicht-Täter zu einer großen Gruppe von unbescholtenen und hilfsbedürftigen Menschen zieht. Die Flüchtlinge sind schuld? Mit solchen Lügen trötet Seehofer ins selbe Horn wie die Rechtspopulisten und -radikalen. Die AfD hatte schließlich nichts Besseres zu tun, als die Getöteten flugs zu „Merkels Toten“ zu erklären.

Allein die Anmaßung, die Opfer für politische Wünsche zu instrumentalisieren, ist abstoßend

Angesichts solcher Perfidie ruhig zu bleiben, ist nicht leicht. Aber manchmal ist es das Klügste, die Provokationen der AfD kühl zu ignorieren. Öffentliche Empörung spielt ihr eher in die Karten, weil sie sich als vom Establishment verfolgte Rebellin hinstellen kann.

Seehofer aber tut das Schlimmste. Er versucht, die AfD in ihrem infamen Spiel zu übertrumpfen. Und wertet so die, die er überflüssig machen will, immer weiter auf.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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