Literatur-Illustrationen von Salvador Dalí: Mit Schubladendenken durch die Weltliteratur

Peinliche Figur mit albernem Zwirbelbart oder arbeitswütiges Genie? Das Kunsthaus Stade zeigt das grafische Werk von Salvador Dalí

Verrücktes Genie: Salvador Dalí in einer Ausstellung in Santo Domingo, September 2016 Foto: dpa

STADE taz | Natürlich hing er an meiner Wand. In Form eines Posters, erworben in einem Postershop, der im Univiertel lag und in dem die Studenten einkauften, um ihre Wohnungen zu bestücken. Und er fand seinen Weg ungerahmt an die Jugendzimmerwand, festgehalten mit Tesafilm. War es dieses giraffenartige, weibliche Wesen, dem Schubladen aus der Brust und aus dem linken Bein ragen? Oder waren es nicht doch die zerfließenden, tropfenden Uhren vor einer skurrilen Küstenlandschaft? Ist lange her! Ist sehr lange her.

Irgendwie war die Welt aus den Fugen geraten und sie sollte auch ruhig aus den Fugen geraten bleiben. Alles, was entsprechend bildlich auf den Kopf gestellt daher kam, musste einfach gefallen, und von daher passten die visuellen Angebote des Mannes mit dem so übertrieben gezwirbelten Bart, der in diesen seltsamen Mänteln umherging; eine ähnlich seltsame und daher rätselhafte Figur wie der Scheinriese Tur Tur aus der Augsburger Puppenkiste.

Muss mir das jetzt peinlich sein? Diese heute so leicht absichtsvoll wirkenden antirealen Bildwelten, zu der die schwülstigen Hermann-Hesse-Bücher mit ihrem 08/15-Buddismus ebenso gehörten wie die heute so unendlich langweilige, weil auf der Stelle tretende Musik, die das verheißungsvolle Label „psychedelisch“ trug? Irgendwie schon und irgendwie so gar nicht.

Und besser als der normierte Bravo-Starschnitt war ein Dalí-Poster an der Wand allemal, und war es noch so schlecht reproduziert. Und – um die Fallhöhe anzudeuten: Meine Eltern schauten „Zum Blauen Bock“, eine Musiksendung mitten am helllichten Sonntag, wo ein gewisser Heinz Schenk seine Gäste mit Apfelwein abfüllte, die dann trotzdem sangen und manchmal auch tanzten. Es hätte also auch schiefgehen können.

Und ansonsten: Salvador Dalí gehört zum Kanon. Ist einer dieser Namen, den man einfach parat hat, wenn man durch die Geschichte der Modernen Kunst schlendert. Und alles ist bei ihm schließlich da: das Talent, die heute umstrittene, aber zeitgleich immer wieder eingeforderte Fähigkeit zur absoluten Selbstvermarktung, das Rätsel, ob er nun mit dem repressiven Franco-Regime sympathisierte oder nicht, ob er homosexuell war oder gerade nicht. Nicht zuletzt beeindruckt der ungeheure Fleiß, den der Mann an den Tag legte.

Und so führt der Weg dieser Tage nach Stade, ins dortige Kunsthaus, das gerade Dalí zeigt. Nicht seine längst unbezahlbaren und kaum ausleihbaren malerischen Werke, das wäre selbst für ein Haus wie das Stader Kunsthaus zu groß, das in den vergangenen Jahren für eine Stadt mit gerade einmal 46.000 Einwohnern erstaunliche Ausstellungen hinbekommen hat. Stattdessen sind Auszüge aus seinem grafischen Werk zu sehen, und dabei überwiegen seine zum Teil mehrjährigen Illustrationsprojekte von Klassikern der Weltliteratur – Dalí eben.

Erst mal eine Erzählung, die es vielleicht vermag, Interesse zu wecken und die anfängliche Skepsis ihm gegenüber zu mildern, dafür geht es zurück ans Ende der 1950er-Jahre. Da bewirbt sich Dalí nämlich bei der italienischen Regierung als längst etablierter Künstler um den Auftrag, die „Göttliche Komödie“ von Dante neu zu illustrieren, Kapitel für Kapitel.

Bei Dalí ist alles da: das Talent, die Fähigkeit zur absoluten Selbstvermarktung, das Rätsel, ob er nun mit dem repressiven Franco-Regime sympathisierte oder homosexuell war, der ungeheure Fleiß

Und Dalí – wer sonst könnte die Komödie illustrieren, wenn nicht Dalí? – macht sich ans Werk, diesem textlichen Weltwerk eine bildnerische Welt begleitend wie konfrontierend zur Seite zu stellen. Zeichnet, entwirft, druckt und liefert erste Musterseiten ab. Die gefallen dem potenziellen Auftraggeber so überhaupt nicht. Also gar nicht. Und was macht Dalí? Er macht wortwörtlich sein eigenes Ding: druckt und produziert und verkauft seine eigene Fassung der illustrierten „Göttlichen Komödie“.

100 der am Ende 300 Blätter hängen schön gerahmt im ersten Stock. Ganz wunderbare Zeichnungen sind dabei, erstaunlich zurückgenommen, manchmal nur Skizzen fast. Man schaut und denkt an Aquarelle, fein und wie mit leichter Hand hingetuscht, aber es sind Drucke, sehr aufwändig produziert: pro Blatt ein Arbeitsvorgang von 30 Druckplatten, und damit waren 30 Druckschritte nötig, weil gewollt. Macht allein bei den hundert Blättern insgesamt… – Dalí eben.

Ganz anders, jedenfalls vordergründig gesehen, seine Illustrationen zu einem nicht minder berühmten Werk: dem „Don Quijote“ von Cervantes. Großformatige Seiten zeigen sich, doch diesmal wie überzogen mit Farbexplosionen, aus denen sich seine Figuren herauswinden: Er hat mit Farbkugeln auf die Platten geschossen, hat erst den Zufall walten lassen und dann beherzt eingegriffen. So hat man beides parat, das kraftvoll Aufgetragene und die feingliedrigen Zeichnungen, die sich ihren Weg zur Ansicht bahnen, und man ist überrascht von diesem ganz anderen Zugriff. Allein diese Überraschung zu erleben, dafür lohnt sich der Ausflug nach Stade.

Man beginnt wieder mehr als zu ahnen, dass in diesen und den noch folgenden Dalí-Werken immer Dalí steckt und auch wieder nicht. Anders gesagt: Es gibt eine Art sehr klar erkennbare Dalí-Grammatik – Ameisen, die aus Körpern krabbeln; Wesen, die Tier oder Mensch oder beides zu sein scheinen, mit oder ohne Flügel; das einzelne Auge, das allein schaut. Aber der Text, der damit jeweils geschrieben wird, wird stets ein anderer.

Diese Beobachtung wird bestätigend angereichert, arbeitet man nun sich schauend durch die Stockwerke, wo man sich nacheinander vor seinen Illustrationen zu „Alice im Wunderland“, den Liebesabenteuern Casanovas oder zu Sigmund Freuds sperriger Abhandlung „Moses und die monotheistische Religion“ aufstellt.

Dazwischen, sehr geschickt eingestreut, einige wenige, aber sehr kompakte Bilder wie die Daumen, die da aufmarschieren, als seien sie eigenständige Wesen und die in ihrer Bilderwelt gewissermaßen seinen Markenkern umschreiben: Salvador Dalí, der Surrealist. Und auch Luis Buñuels Filmklassiker des surrealistischen Films, „Der andalusische Hund“, läuft in einem leicht abgedunkelten Nebenraum und lässt einen noch mal eintauchen in die damals in Barcelona abgedrehte Welt voller Symbole aus Kirche, Liebesleben und Straßenszenerien, die es zu dechiffrieren wie zu verschlüsseln gilt, so dass der Rasierklingenschnitt durchs Auge so gut passt.

Doch, schon okay, dieser Dalí. Schon gut, was er immer wieder aufs neue probiert und auch riskiert hat, wenn man auch noch immer etwas braucht, um mit ihm warm zu werden und man immer noch ein wenig fremdelt, fast bis zuletzt. Aber so ist das eben manchmal, wenn man sich erst nach vielen Jahren wiedersieht.

Am Ende, bevor es wieder die Treppen hinuntergeht, schaut man dann doch genauer auf das große Schwarz-Weiß-Foto, dass über dem Treppenaufgang seinerseits wie ein Poster prangt: Da sitzt er inmitten der surrealistischen Männergesellschaft von 1933; jung, schmal, ein dünner Oberlippenbart ziert ihn und unzweifelhaft hübsch ist er neben Max Ernst und Andre Breton und Man Ray und all den anderen von damals. In schnieken Anzügen sitzen sie da, das Haar ordentlich frisiert, was einen ja von Anfang an irritiert hat: dass diese Männer, die auf je ihrem Felde so brachial mit den Traditionen und Vorgaben brachen und daraus neues Wildes schufen, selbst so brav und seriös ausschauten – und Dalí macht da noch keine Ausnahme, was sich ja ändern wird.

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