Kolumne Warum so ernst?: Ein gewöhnlicher und schöner Tag

Was man eben so träumt, morgens, bei der ersten Tasse Kaffee, wenn keine neuen Bombardements vermeldet werden.

Eine Tasse Kaffee auf einer fleckigen Tischdecke

Eine Tasse Kaffee mit zwei Würfeln Zucker, der zivilisierten Welt zum Trotz Foto: margie / photocase.de

Ich wachte morgens auf / wusch mir das Gesicht und wischte den Tisch ab, über dem ich den gestrigen Abend verbracht habe

Ein sauberer Aschenbecher

und eine Tasse Kaffee mit zwei Würfeln Zucker, der zivilisierten Welt zum Trotz

Und nach dem ersten Schluck zünde ich mir eine Zigarette an

und chille…

Und was das Chillen noch chilliger macht, ist die Tatsache, dass meine Freundin noch schläft

und meine Mutter noch nicht angerufen hat

und wie es aussieht, heute noch kein Massaker gegeben hat.

Nur die üblichen Todesopfer, bei denen man sich nicht verpflichtet sieht, sie zu erwähnen

und stinknormales Bombardement. Weder Chemiewaffen, noch Napalm.

Alles cool.

Ich zünde mir eine zweite Zigarette an und begebe mich auf Youtube

Musik ist das Mindeste, was mir an diesem gewöhnlichen, chilligen Tag zusteht -

Bob Marley singt „No woman, no cry“

Und ich lade mein Facebookprofil bei einem langen und hemmungslosen Schluck Kaffee

Die Zahl der Facebookfreunde ist wie gehabt. Keiner hat mich gelöscht.

Abgestandene Nachrichten von der gestrigen Nacht

und ein paar Likes für meine Posts sind meine Bilanz

Alles cool…

Ich zünde mir meine dritte Zigarette an, gehe auf die Freundesliste

und suche nach einer Frau, die ich liebe

Ich will, dass sie zierlich ist und kurze Haare hat, wie Charlize Theron im Film

„Im Auftrag des Teufels“

Eine Frau, die alle Kamasutra-Lektionen kennt, und jeden Trick aus dem Buch

„Wie man einen Greis wieder jung macht“

Eine Frau die weder zur Opposition hält, noch zum Regime; eine Frau, die zu mir hält.

Eine Frau, deren Bett 158 cm lang ist

Eine Frau, die Johnny Depp liebt und die Filmreihe „Pirates of the Caribbean“ ,

mir Popcorn macht, auf meinem Schoss sitzt, mit der ich Filme schaue und wir bei der Hälfte einschlafen

Eine Frau, die Henry Miller liest, seufzt, und sagt: Puh, ist das schwierig.

Eine Frau, die die Männer dazu bringt, einzig um ihretwillen supernett und superfake zu mir zu sein

Eine Frau, überwacht wie das Grab eines Königs

Eine besessene Frau, ich bin ihr Rasputin

Eine Frau, die der Poesie in den Arsch tritt und sagt: Jetzt flirte mit mir!

Eine Frau, die Angst hat vor mir, und sagt: Flieh, Aboud, flieh!

Ich suche sie, bevor meine Mutter anruft… Bevor ein Massaker geschieht… Bevor meine Freundin aufwacht.

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Aboud Saeed wurde 1983 geboren und lebte bis November 2013 in der Kleinstadt Manbidsch in der Provinz von Aleppo im Norden Syriens. Er ist gelernter Schmied und Schweißer. 2009 eröffnete Saeed ein Facebook-Konto und hinterlässt dort täglich Einträge. Der klügste Mensch im Facebook, eine Auswahl aus seinen Statusmeldungen, ist sein erstes Buch. Er lebt seit November 2013 in Berlin mit politischem Asyl. 2015 erschien seine zweite Publikation Lebensgroßer Newsticker über sein Aufwachsen in Syrien, einem Land, das es so nicht mehr gibt.  

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