Wahl in Berlin: Rot-Grün-Rot!

Die Zeichen stehen auf Rot-Grün-Rot. Doch was ist das: eine ganz nüchterne Koalition – oder gar ein Projekt mit Zukunftsvision? Zwei Plädoyers.

Jetzt wird neu gemischt! Foto: dpa

Es braucht eine Vision!

Vielleicht werden die Linken in Berlin der AfD irgendwann sogar ein bisschen dankbar sein: Deren derzeitiger Erfolg – im Wesentlichen aufgebaut auf ProtestwählerInnen – macht Zwei-Parteien-Koalitionen nach Landtagswahlen meist unmöglich. Sehr wahrscheinlich am Sonntag auch in Berlin: Nach aktuellen Umfragen hätte weder ein Bündnis aus SPD und CDU noch eines aus SPD und Grünen beziehungsweise Linkspartei eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Weil die CDU von SPD und Grünen im Wahlkampf geradezu geächtet wurde, bleibt einzig und allein eine Dreierkoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei. Was für ein Glück!

Diese Dreierkombo wird Berlin verändern und gestalten, voranbringen und prägen können in einer Weise, die man vielleicht einmal historisch nennen wird. Doch um Erfolg zu haben, muss sie mehr sein als ein pragmatischer Zusammenschluss dreier Parteien. SPD, Linke und Grüne brauchen eine gemeinsame Idee von der Zukunft dieser Stadt, die sie gegen eine harte konservative Opposition aus CDU und AfD durchsetzen müssen. Rot-Grün-Rot entsteht zwar aus der Not. Aber die Koalition kann nur erfolgreich sein als Projekt.

Und die Voraussetzungen dafür sind geradezu ideal.

Zum einen, weil es der Stadt in vielerlei Hinsicht gar nicht schlechter gehen könnte. Die Verwaltung ist teilweise zusammengebrochen, jede Baustelle ist ein unberechenbares Risiko, die Straßen sind gedrängt voll, Wohnungen auf dem freien Markt fast nicht mehr zu bekommen. Vor allem: Mit alldem scheinen sich die meisten BerlinerInnen und auch ihre PolitikerInnen schon abgefunden zu haben. Chaos als Normalität.

Es kann also fast nur noch besser werden. Selbst der BER könnte in der nächsten Legislaturperiode eröffnen.

Die noch bessere Nachricht: Es ist sogar Geld da. Die Kassen von Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) sind – allen verbliebenen Milliarden-Schulden zum Trotz – so gut gefüllt, dass der Senat investieren kann, ja aufgrund steigender Bevölkerungszahlen sogar muss. Es darf also gestaltet werden. Rot-Rot zwischen 2002 und 2011 – die letzte Regierung, der das Label links anhing – musste vor allem sparen. Da macht Politik keinen Spaß, außer jenen, die masochistisch veranlagt sind.

Auch in der kommenden Legislatur wird nicht alles lustig werden. Aber sollte Finanzsenator Kollatz-Ahnen im Amt bleiben, wäre das ein Garant für eine progressive Politik. Viele weitere GarantInnen könnten SenatorIn werden: zum Beispiel eine grüne Verkehrssenatorin, die Tausende Kilometer Radwege einweihen darf. Dazu einen linken Sozialsenator, der das Thema Kinderarmut ernst nimmt. Plus eine grüne Bildungssenatorin, die sich nicht auch noch um Wissenschaft kümmern muss, sondern allein auf die baufälligen Schulen konzentrieren kann.

Natürlich bleibt ein Regierender Bürgermeister Michael Müller der Regierende Tempelhofer Autofan Müller, der er bisher schon war. Aber der 51-Jährige betont seit Monaten, wie unerträglich die Atmosphäre bei der Zusammenarbeit mit der CDU war: Vielleicht wird er künftig ja ein bisschen entspannter. Seine vielen Wohnungen bauen lassen darf er ja weiterhin.

Und Müller weiß: Berlin ist eigentlich eine linke Stadt, früher unter einer starken, lange alleinregierenden SPD. Inzwischen werden die linken Flügel nur von anderen Parteien repräsentiert. Sie wieder zusammen zu führen in einer gemeinsamen Regierung, ist ein starke, eine lohnende Aufgabe.

Auch den Juniorpartnern ist daran gelegen. Die Grünen lechzen schon lange nach der Macht, vielleicht ein bisschen zu viel. Die Ex-Alternativen, die in Berlin trotz ihrer Stärke bisher kaum regiert haben, wollen, ja müssen beweisen, dass sie jenseits von Friedrichshain-Kreuzberg Politik machen können.

Der linke Dreier wäre die Fortsetzung des rot-roten Projekts ab 2002: Klaus Wowereit hat jene Koalition auch und gerne damit begründet, die politisch nach wie vor geteilte Stadt einen zu wollen.

Doch die Linke hat danach viel gutzumachen: Sie galt wegen ihrer Regierungsbeteiligung als brave Abnickerpartei, mitverantwortlich unter anderem für den Verkauf von landeseigenen Wohnungen. Auch sie wird nun zeigen müssen, dass sie links nicht nur im Namen trägt.

Ziel muss sein, die gesellschaftlichen Entwicklungen in Berlin endlich auch auf politischer Ebene widerzuspiegeln: den Dialog zwischen vielen Kulturen und Religionen, Liberalität, das veränderte Mobilitätsverhalten, die Offenheit für neue Ideen. (Bert Schulz)

Bitte einfach ganz banal regieren!

Rot-Grün-Rot nicht allein als künftige Regierung, sondern als Projekt? Bitte nicht! Denn das wäre genau der Weg, der Berlin teilen würde. Nicht in Ost und West oder oben und unten. Aber in tendenziell in der Innenstadt beheimatete Menschen, für die sich Lebensgestaltung in Projekten ausdrückt. Und die tendenziell außerhalb des S-Bahn-Rings Lebenden, die es gern alltäglicher und weniger kopflastig haben. Die wie einst Helmut Schmidt meinen: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.

Oder wie es SPD-Spitzenkandidat Michael Müller bei einer öffentlichen Diskussion im taz Café ausdrückte: Menschen, denen es vorrangig um eine gute Entwicklung ihrer Kinder geht, um die Wohnungsverschönerung und die Vorfreude auf einen Urlaub oder vielleicht sogar zwei. Menschen, die es nicht verdient haben, von anderen als langweilig bezeichnet zu werden, nur weil sie nicht jeden Abend mit dem Bier in der Hand am übervollen Kanal- oder Spreeufer sitzen, sondern entspannt auf dem Balkon.

„Projekt“ klingt nach einem Begriff der intellektuellen Innenstadt-Boheme. Nach einem, der sich bewusst abhebt, der den großen Wurf will. Um bei Müller zu bleiben: Viele Menschen in dieser Stadt könnten gar keinen großen Wurf wollen. Sondern bloß einen funktionierenden Alltag – was sicherzustellen schwer genug ist. Sie wollen ganz konkret, dass S- und U-Bahn – sowieso alles andere als schlecht unterwegs – noch pünktlicher fahren, sie wollen saubere Schulen, Straßen und Spielplätze. Und wenn sie sozial denken, dann wollen sie auch, dass ihre wenig verdienende Nachbarin für die Hortbetreuung ihres Sohnes nichts zahlen muss.

Sie wollen gut arbeitende Behörden. Sie wollen auch im Dunkeln aus der S-Bahn steigen können, ohne ein komisches Gefühl im Bauch zu haben. Und vielleicht regionalen Öko-Strom von den landeseigenen Stadtwerken haben, was die CDU in größerem Stil blockierte.

Ja, auch diese Menschen wollen mitreden, wenn in ihrer Nachbarschaft ein Großbau entstehen soll. Aber das tun sie auch schon jetzt, da braucht es kein Projekt „Mehr Demokratie“. In keiner Wahlperiode starteten so viele Volksbegehren wie in der jetzt zu Ende gehenden. Klar, könnte man sagen, war ja auch gegen Rot-Schwarz.

Doch schaut man genau hin, so richtete sich der größte Protest gegen die Politik des Mannes, der ein rot-grün-rotes Projekt zumindest formal leiten müsste: Michael Müller war der Mann, der als Stadtentwicklungssenator den Rand des Tempelhofer Felds bebauen wollte. Er behielt auch als Regierender Bürgermeister sein altes Ressort im Blick und war damit Zielscheibe des vom Kottbusser Tor ausgehenden Protests gegen die Mietpreisentwicklung.

Das Problem mit dem Projekt ist zudem, dass davon so viele Leute reden, die das eher verlotterte Berlin toll finden – vielleicht, weil sie noch keine abgeranzte Turn- oder Schwimmhalle von innen gesehen haben. Jenseits konkreter Zahlen fällt dabei dann immer mal wieder der Satz, dass die vielen Touristen nach Berlin „wegen des Unfertigen“ kämen. Gleichfalls bar jeder Zahlen sei dem die Behauptung entgegengehalten: Sie kommen wie eh und je wegen der Museumsinsel, des Brandenburger Tors, der Reichstagskuppel und einer Spree-Rundfahrt.

Rot-Grün-Rot kann einen guten Job machen, weil es in allen drei Parteien gute Akteure hat – aber eben nicht als abgehobenes intellektuelles Projekt, sondern als konkrete Politik, die auch die weniger links-alternativen Stadtviertel nicht vergisst. Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek hat das immerhin im taz-Interview jüngst zugesagt: „In dem Moment, in dem ich in eine Regierung gehe, muss ich die ganze Stadt repräsentieren.“

Und wie sagte Müller jüngst bei der rbb-Spitzenkandidatenrunde? Es sei nicht alles schlecht gewesen in den vergangenen fünf Jahren, also mit den nicht ganz so projektaffinen Christdemokraten. Was eher fishing for compliments war: Selbst mit einer Henkel-CDU konnte Müller sämtliche auf Landesebene vorhandenen Hebel umlegen, um höheren Mieten und Zweckentfremdung entgegenzuwirken. Und radikalere Eingriffe ins Mietrecht, sowieso nur im Bundestag möglich, lehnte er bei der taz ab: Auch Vermieter und Eigentümer hätten Rechte.

Müller wird nicht den Kopf für eine in der Dreierkoalition 2:1 beschlossene Linie hinhalten, die nicht seine ist. Setzen Grünen und Linke zu sehr auf wie auch immer geartete Projekte abseits von ihnen vielleicht zu banalen Alltagsfragen, wird der bekennende Tempelhofer Müller da nicht mitmachen. (Stefan Alberti)

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