AfD und Usedom-Tourismus: Grütze, Kuchen und Rolls-Royce

Dass wegen der AfD weniger Touristen kommen, glaubt der Usedomer Hotelier Jörg Erdmann nicht. Erkundungen zum Saisonausklang.

Leute liegen im Strandkorb, das Wetter ist gut

Der September ist auf Usedom inzwischen der umsatzstärkste Monat: Seebad Zinnowitz, Anfang des Monats Foto: dpa

HERINGSDORF/DEWICHOW taz | Die Sonne hat über Heringsdorf Silber ausgegossen. Das Meer, die Schiffe am Horizont, die Seebrücke, sogar die Fahrräder – das ganze Seebad glänzt silbern. Jetzt stockt der Verkehr auf dem Küstenradweg. Silberhaarige Rentner sind abgestiegen.

Man könnte glauben, es ist Hochsaison. Jörg Erdmann, Hotelier und Strandkorbvermieter, schiebt die Sonnenbrille ins Gesicht. „Wo sollen die Urlauber denn hin? In die Türkei? Nach Ägypten?“

Usedom ist seit der Landtagswahl Anfang September AfD-Hochburg. Aber deswegen blieben die Urlauber nicht weg, glaubt Erdmann. Zudem wollten die Gäste doch gar nicht mit Politik behelligt werden. „Die holen sich einen Strandkorb, vielleicht noch ein Getränk.“ Und die Füße hochgelegt. Dreißig bis vierzig Prozent seien „Wiederholungstäter“. „Nee“, Erdmann schüttelt den Kopf, „wir sind ne angesagte Ferienregion.“

Es hat etwas Gottgegebenes, wie Jörg Erdmann das sagt. Der 49-Jährige hat seinen Pickup durch die engen Straßen von Heringsdorf gesteuert, vom Sommer geschwärmt und im Schatten der mächtigen Pappeln geparkt, die neben dem alten Sportplatz aufragen. Die Scheiben runter und die Urlauber betrachtet. Der Dunst, der das Sonnenlicht so verzaubert, ist das einzige Anzeichen, dass der Herbst Einzug hält.

Schon immer konservativ

„Nee, ist alles schön hier“, wiederholt Erdmann. Warum haben dann 32,8 Prozent in der Gemeinde für die AfD gestimmt, mehr als für jede andere Partei? „So richtig ganz versteh ich das auch nicht“, sagt Erdmann. Dabei müsste er das eigentlich erklären können. Erdmann ist als einer der Ersten hier der AfD beigetreten und sitzt im Gemeinderat. Die Europolitik, die Milliarden für Griechenland trieben ihn erst aus der CDU und dann in die AfD, erzählt er.

Ob es denn hier Probleme gebe? Erdmann überlegt. „Die Saison war gut, trotz des Wetters.“ Der Sommer war durchwachsen, Jörg Erdmann, sportlich, kurze Haare, straffe Haut, ist trotzdem gut gebräunt. Und er wird diesen Teint noch lange behalten. Denn jetzt verschenkt die Sonne ihre Hitze, als müsste sie Ballast abwerfen. „Der September ist inzwischen der umsatzstärkste Monat.“

„Die Leute haben hier immer konservativ gewählt“, versucht sich Erdmann an einer Erklärung. Die Menschen sind sich gleich geblieben, es ist die Partei, die sich gewandelt hat – vor allem ihre Vorsitzende. Dabei sei er ein richtiger Merkel-Fan gewesen. Erdmann wird lebhaft. „Ich hab vor der den Hut gezogen.“ Wie sie sich mit Putin verstand. „Auf Russisch!“

Er ist seiner Kanzlerin entgegengefahren. „Ich habe der zugeklatscht in Demmin beim Politischen Aschermittwoch“, dem Treffen, bei dem Angela Merkel alljährlich ihre kleine Hausmacht im Nordosten begrüßt. „Als ob man die geimpft hätte“, rätselt Erdmann über die Kanzlerin. Seine Verehrung ist 2015 offenbar in Verachtung umgeschlagen. „Die Flüchtlingspolitik wurde uns von ihr aufgedrückt.“ Wo doch sonst alles im Bundestag diskutiert werde. „Wollen wir die Muslime alle aushalten? Das funktioniert doch nicht.“

Die Geschäfte gehen gut

Wenn sich Jörg Erdmann erregt, lässt er den Unterarm, der lässig aus dem Autofenster hängt, aufs Türblech sausen. „Wir haben ganz viele Polen, die hier arbeiten. Die funktionieren wie wir.“ Sein ältester Sohn lerne Polnisch. Nur Angela Merkel, die funktioniert eben nicht mehr. „Ich habe zwei Kinder“, schließt Erdmann, „und möchte, dass sich das Land nicht zu sehr verändert.“

Das Tourismusgeschäft in Heringsdorf floriert. „Nach der Wende war alles Grütze“, sagt Erdmann knapp. Er, der Bauschlosser, ging zum Arbeiten nach Berlin. Lange her. Aus der „Grütze“ ist ein Kuchen geworden, und die Erdmanns, eine alteingesessene Familie, haben sich ihren Anteil gesichert. „Urlaub bei den Erdmanns“ heißt der Film, der die Besitztümer der Familie anpreist: die Pension, das Hotel an der Kirche, den Strandkorbverleih an der Seebrücke, dazu Trampolins, Schlauchboote und „Beach-Events“.

Die Zahlen könnten Jörg Erdmann recht geben. Das aktuelle „Tourismus-Barometer“, eine Erhebung des ostdeutschen Sparkassenverbandes, belegt, dass die Übernachtungen auf Usedom im ersten Halbjahr 2016 über sieben Prozent gestiegen sind. Und 2015 war schon ein Rekordjahr. Nach der Wahl gab es viele Anrufe bei der Usedom Tourismus GmbH, erzählt die Geschäftsführerin später am Telefon. Querbeet – von Empörung über Besorgnis bis Zuspruch sei alles vorgekommen. Jede einzelne Zuschrift werde man beantworten. Stornierungen, darauf legt sie Wert, habe es aber nicht gegeben.

Wenn man Jörg Erdmann zuhört, ist das Inseldasein inzwischen auf eine ganz andere Art gefährlich geworden. Die Arbeit am Strand, die Sonne, die UV-Strahlung. Erdmann deutet auf seine Haut und klingt ernsthaft besorgt. Es sei wohl nun Zeit, zum Hautcheck zu gehen. Der Aufschwung hat auch seine Kehrseite. Kurz darauf steuert er seinen Wagen, vorbei an Villen, Baustellen und Blumenrabatten, zum Familienanwesen zurück. Plötzlich kreuzt ein Rolls-Royce den Weg. Jörg Erdmann winkt ab. Inzwischen völlig normal.

Nicht alle profitieren

„Ein tüchtiger Mann, der Erdmann“, sagt Martin Bartels und lacht. Das Lob klingt zwar nicht vergiftet, aber wirklich anerkennend klingt es auch nicht. „Ich weiß nicht, wer von denen, die ich mal konfirmiert habe, alles AfD gewählt hat.“ Der konfessionslose Erdmann jedenfalls, so viel ist klar, gehört nicht dazu. Bartels hat sich im Schutze der Balkontür eine Zigarette angezündet, bläst ein Wölkchen über die Brüstung und schaut auf den frisch gepflügten Acker unter dem Balkon hier in Dewichow am Achterwasser. Ein Schwarm Möwen hat sich auf die Krume gesetzt, Kibitze schwirren.

Bartels ist auf Usedom so etwas wie eine Institution. Der 75-Jährige scheint hier jeden zu kennen und ist selbst ringsum bekannt. Bartels kam 1968 als Pastor auf die Insel und blieb es bis zum Jahr 2000. Der Autor Hans Werner Richter, bekannt als Initiator der „Gruppe 47“ und gebürtiger Usedomer, hat Bartels in seinem letzten Buch „Bruder Martin“ genannt. 1986 hatte ihm der Pfarrer ein DDR-Visum besorgt und in seiner Dorfkirche eine Lesung Richters organisiert. Heute, als Pensionär, bietet Bartels Radtouren an – auf den Spuren von Lyonel Feininger, Hans Werner Richter und der Journalistin Carola Stern, die wie Richter von Usedom stammte.

Eigentlich wollte Bartels gar nichts sagen. Jedes Wort über die AfD sei eines zu viel. Aber vielleicht ist es doch sinnvoll, einiges zu erklären. Die Insel im Nordosten ist ein sonderliches Stück Land, mit ihren in sich gekehrten Menschen und ihren Geschichten, aufgerissen wie der Acker vorm Balkon, zerklüftet wie die Geografie des Eilandes und abseitig wie ein Hof am Brackwasser. Die Bäder an der Küste mit den Sternehotels, den Fernsehköchen, dem Geldadel, den Möchtegern-Sternchen, den „Events“ – dieser ganze Firlefanz trübt schnell den Blick.

Der Polenhass ist verflogen

„Wenn ich das richtig sehe, täuscht es, dass es den Leuten so gut geht“, sagt Bartels vorsichtig. Vielen Usedomern bleiben nur die Nachteile einer beliebten Ferienregion – Saisonarbeit, niedrige Löhne und hohe Mieten, weil jedes Kabuff zum Ferienzimmer veredelt wurde. „Arbeiten, wo andere Urlaub machen“ – damit werben Gaststätten hier um Personal. Was cool sein soll, klingt in den Ohren vieler Einheimischer nur wie Hohn. Hierher kommen die polnischen Kellner und Zimmermädchen zum Schichtbeginn mit dem Fahrrad. Dass dieses Land reich sein muss, erkennen diese Usedomer nur noch, wenn Nobelkarossen um die Ecke biegen oder Feriengäste mit Privatflugzeugen anreisen.

In so einem Klima entwickelt sich jede Meldung schnell zum Orkan. Vor neun Jahren war es der Wegfall der Grenzkontrollen zu Polen. Damals fürchteten viele ein Verkehrschaos. Der Kollaps blieb aus. Und 2015 waren es die Flüchtlinge, die angeblich die Insel stürmten. Auch er selbst, Bartels, sei losgezogen, habe Quartiere gesucht. Die Rede war von Hunderten von Flüchtlingen, allein für den Ostteil der Insel. Schließlich sind 30 Syrer gekommen, die man problemlos in einem Rettungsschwimmerquartier unterbrachte. „Gestern habe ich einen der letzten, Omar, mit Handschlag verabschiedet“, erzählt Bartels. Omar beginnt in Sachsen-Anhalt ein Studium.

Vielleicht tun sich die Menschen ja auch so schwer, weil hier manche Einstellung überdauert, die man überwunden glaubte, überlegt Bartels. „Ich war mit Carola Stern befreundet.“ Als die Journalistin, Menschen- und Frauenrechtlerin 1990 zum ersten Mal nach 40 Jahren ihre Heimat besuchte, habe sie „Antisemiten, Wendehälse, viele Kohl-Anhänger, ein Dutzend SPD-Mitglieder und Leute mit kaum zu zähmendem Polenhass“ getroffen, berichtete sie später in der Zeit.

Der Polenhass ist weg. Mehr noch, die Flüchtlingspolitik der nationalkonservativen polnischen Regierung findet reichĺich Zuspruch. Usedom, seit 1945 geteilt, wächst zusammen. Eine gute Nachricht. Eigentlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.