Kolumne German Angst: Es war einmal in Kartoffelland

Horst Seehofers Reinheitsfantasien sind so ausgefallen, dass sie ohne das Originalvokabular aus dem 19./20. Jahrhundert kaum verständlich sind.

Horst Seehofer hält eine Kartoffel in die Höhe

Statt Parolen zu dreschen, könnte Herr Seehofer ja dieser Tage mal auf Deutschlands Auswanderergeschichte verweisen. Tut er aber nicht Foto: ap

Es war einmal ein Land, gelegen im schwachen Herzen der absterbenden Alten Welt. Nennen wir es Kartoffelland (*Edit*: sicherer Drittstaat). Seine BewohnerInnen verließen es in Scharen, denn es war ein zerstückeltes, in Zünfte gespaltenes, armes Ackerland. Was sie wollten, war: Teilhabe, politische Freiheit, Sicherheit von Person und Eigentum. (*Edit*: Wirtschaftsflüchtlinge).

Zu Millionen (*Edit*: Flüchtlingswelle) riskierten sie ihr Leben, um den Atlantik zu überqueren. Ihr Ziel: die Neue Welt. Kapitäne (*Edit*: Schlepper) ermöglichten die Überfahrt auf Booten und Dampfschiffen, verpflichteten die Auswanderer zur Zahlung, wenn sie sich ein neues Leben aufgebaut hatten. In der Neuen Welt bildeten die Einwanderer (*Edit*: Neubürger) Inseln um Sprache und Konfession (*Edit*: Integrationsverweigerer), ein kleines, neues Abendland (*Edit*: Parallelgesellschaft) irgendwo hinter den sieben Bergen, weiter weg noch als das Morgenland.

Da, wo eigentlich das Ende der Scheibe hätte sein müssen. War es aber nicht. Denn die Scheibe war eine Behelfsfantasie, deren Zeit längst abgelaufen war. Und damit endet hier das Märchen.

Tatsächlich sind zwischen 1820 und 1920 fast sechs Millionen Deutsche in die USA ausgewandert. Das wäre dieser Tage eine horizonterweiternde Erkenntnis: Deutschland ist ein Einwanderungs- und ein Auswanderungsland. Leider nützen solche Vergleiche bei den Spätpubertären von CSU und Co. noch weniger als bei Kindern in der Trotzphase. Bei ihnen geht Wahrnehmung vor Realität. Darum ist Horst Seehofer auf dem Durchmarsch. Das Problem: Seine Reinheitsfantasien fürs Kollektiv sind in einem Ausmaß von der Scheibe gefallen, dass sie ohne das Originalvokabular aus dem 19./20. Jahrhundert kaum verständlich sind.

Und ur-amerikanische-Amerikaner?

Also, *Edit*-reverse: Volksorganismus, der., dessen Gesundheit – ja, liebe Erwachsene, so glaubte man das einst – von nationaler Reinheit abhängt; er krankt mit jedem Eindringling. So weit, so klar. Aber wie heißt es bei der CSU? „Deutschland soll Deutschland bleiben.“ Ein Satz wie ein gemeiner Abgesang Georg Kreislers auf Deutschland. Oder eben so spröde, dass er, auf T-Shirts gedruckt, noch im letzten Thor-Steinar-Outlet im Regal verstauben würde. Im SSV. Vorrang für Menschen „aus unserem christlich-abendländischen Kulturkreis“?

Gut – aufs Grundgesetz geschissen. Aber was war gleich dieses Abendland? Und wie wird das „Begrenzungs- und Steuerungsgesetz“ durchgezogen? So wie im uncoolen Club: eine raus, einer rein?

2015 sind fast eine Million aus Deutschland ausgewandert, aber nur 200.000 dürfen gehen? Wird es eine Seehofer-Garde geben, die selektiert? Interessant auch: Wo bringt Bayern die 50 Millionen US-Amerikaner, die ihre Wurzeln heute mit „German“ angeben und die, anders als ihre echten ur-amerikanisch-amerikanischen (hä?) Mitbürger, dann wohl dem abendländischen Kulturkreis angehören, unter? Man darf gespannt sein, ob die Eingeborenen die Germans mit ebenso viel Hass-Freude empfangen wie die sogenannten Rückkehrer 1945. War bloß eine rhetorische Frage.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.