Kolumne Warum so ernst?: Alltägliches

Oh, wenn sie nur wüssten!, denkt unser Kolumnist aus Syrien. Und knallt dann mal alles auf den Tisch.

Fahrendes Motorrad vor grauen Wolken

Wenn sie nur wüsste, dass ich ein Motorrad hatte… Foto: dpa

Während der deutsche Klempner den Wasserhahn in der Küche reparierte,

hörte ich einen Song von Saadoun Dschaber:

Sie kam zu mir am Morgen, ihre Augen ganz verquollen.

Der Blick des Klempners fiel auf das Muttermal, das mitten auf meiner Stirn prangt und sagte: „Indian music?“

Und ich sagte: „Yes, yes. Indian music.“

Dann lachte ich und dachte mir:

Besser ein Inder sein, als ein Syrer.

Jeden Tag kehre ich zurück nach Hause / gehe ins Badezimmer / stelle mich vor den Spiegel

Und sehe mich selbst an:

Sehr schön. Sehr, sehr schön.

Ich alleine weiß, dass ich schön bin, „doch sie sehen nicht.“

Wenn die Deutschlehrerin doch wüsste,

dass ich einst ein Schmiedemeister war, mit einer Werkstatt, die mehr Angestellte hat, als sie Schüler in ihrer Klasse hat!

Oh, wenn sie nur wüsste!

Ich war derjenige, der den anderen frei gab

und der zu Ibrahim sagte: „Los, geh Tee machen.“

Oh, wenn diese Schönheit, die mich gestern ignoriert hat, nur wüsste.

Wenn sie nur wüsste, dass es ein Mädchen gibt, das viel schöner ist als sie und das Latifa heißt.

Latifa rannte immer barfuß auf den Balkon

sobald sie das nervige Brummen meines Motorrads hörte.

Wenn diese zivilisierte Welt nur wüsste!

Wenn sie nur wüsste, dass ich ein Motorrad hatte

mit dem ich durch die Stadt cruiste / mein schwarzes Hemd aufknöpfte und aufs Gas drückte

bis mein Hemd batmanmässig im Fahrtwind flatterte

und die Frauen mir hinterher sangen:

„Hey du, Abu Honda-Bike… Oh Mama, deine Honda hat mein Herz… Hey du mit den sieben Spiegeln…“

Die Lehrerin setzte die Direktorin über meine Impertinenz und mein ständiges Fehlen im Unterricht in Kenntnis / Die Direktorin lud mich zu sich vor.

Und wie jeder Dissident, der den Kummer seines Volkes geschultert trägt / machte ich mich und meine Unterlagen bereit / und ging hin.

Ich trat der Direktorin entgegen / mit grimmigem Gesicht, und noch bevor sie ihre Frage zu meinen Fehlzeiten zu Ende aussprechen konnte / knallte ich ihr einen Stapel Papiere auf den Tisch / Ärztliche Bescheinigungen über den Zustand meines Kopfes / Berichte von Massakern in verschiedenen Regionen / drei oder vier Fotos von beliebigen politischen Häftlingen / ärztliche Atteste meiner Mutter in der Türkei / eine Liste all der Dinge, für die ich Geld anschaffen muss, wie zum Beispiel die Miete meiner Eltern in der Türkei und die Bezahlung des Installateurs, der die Gardinen im Gästezimmer aufhängt / ganze Ordner über Terrorismus und dessen direkte Auswirkung auf meine genialen Gedanken / Dates mit Freundinnen / Skypetermine für Beileidsfeiern / sonstige menschliche Beschäftigungen / weitere Verpflichtungen…

Für all das gab mir die Direktorin die ganze nächste Woche frei.

Übersetzung: Sandra Hetzl

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Aboud Saeed wurde 1983 geboren und lebte bis November 2013 in der Kleinstadt Manbidsch in der Provinz von Aleppo im Norden Syriens. Er ist gelernter Schmied und Schweißer. 2009 eröffnete Saeed ein Facebook-Konto und hinterlässt dort täglich Einträge. Der klügste Mensch im Facebook, eine Auswahl aus seinen Statusmeldungen, ist sein erstes Buch. Er lebt seit November 2013 in Berlin mit politischem Asyl. 2015 erschien seine zweite Publikation Lebensgroßer Newsticker über sein Aufwachsen in Syrien, einem Land, das es so nicht mehr gibt.  

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