EMtaz: Portugal vor dem Viertelfinale: Ästhetik ist anderswo

Der portugiesische Trainer Santos zeigte sich beim Achtelfinalspiel als listiger Taktiker. Wegen ihm hat die Seleção gute Aussichten aufs Finale.

Ein Mann, Fernando Santos, gestikuliert

Beschwört die portugiesische Einheit: Fernando Santos Foto: dpa

LILLE taz | In diesen Wochen der Fußballhysterie kommt es selten vor, dass Trainer die vorgeschriebenen Gesprächsrunden mit Journalisten genießen. Viele Themen werden täglich aufgewärmt und als lästig empfunden. Schnell kündigen Pressesprecher an: „Noch zwei Fragen!“, die sich dann um Boulevardschlagzeilen drehen: „Spielt Schweinsteiger?“ „Was bedeutet dieses Tattoo von Zlatan Ibrahimović?“ oder: „Hat Cristiano Ronaldo Ärger bekommen, weil er das Mikrofon eines Reporters in einen See warf?“

Mit Letzterem musste sich Fernando Santos auseinandersetzen, der Trainer der Portugiesen, die am Donnerstag das erste Viertelfinale gegen Polen bestreiten. Santos schaute demonstrativ gelangweilt und sagte: „Ronaldo hat bisher toll gespielt, er ist ein großartiger Fußballer.“

Das ist eine kurze Antwort gewesen für so einen Termin mit dem 61-Jährigen. Santos hat in der Regel viel Freude an der Plauderei mit Reportern. Er ist einer dieser Weltmänner alter Schule, die gern und viel reden und es lieben, wenn sie Zuhörer haben.

Also philosophierte er später ungefragt: „Große Turniere werden von großen Mannschaften gewonnen, nicht von großen Spielern“, und hielt einen Monolog über soziale Kompetenz und Teamgeist. „Heute Morgen habe ich es meinen Spielern gesagt, jetzt wiederhole ich es öffentlich: Ich bin mir sicher, dass kein Team bei der EM hier solch eine starke Einheit ist wie unseres. Niemand hat so einen starken Zusammenhalt.“

Als Nationaltrainer Griechenlands erfolgreich

Das waren erstaunliche Worte über eine Mannschaft, die bei der WM vor zwei Jahren unter Santos’ Vorgänger Paulo Bento durch innere Zerwürfnisse und öffentliche Vorwürfe der Spieler aufgefallen war. Santos hat es geschafft, die hoch veranlagte Mannschaft ans Laufen zu bringen. „Ich habe das Ziel, diese Europameisterschaft zu gewinnen“, hat er vor dem Turnier erklärt. Diesen Vorsatz verfolgt er mit der Haltung des radikalen Pragmatikers.

Schon als Nationaltrainer Griechenlands ist ihm bei den vergangenen Turnieren Erstaunliches gelungen. Mit Kippe in der Hand leitete der Kettenraucher 2012 die Trainingseinheiten und erreichte das Viertelfinale, wo gegen Deutschland Schluss war.

Fernando Santos

„Ich habe das Ziel, diese Europameisterschaft zu gewinnen“

Zwei Jahre später führte er das Land erstmals in ein WM-Achtelfinale. „Wir haben keinen Messi“, sagte er damals mit rauchiger Stimme, „also hat die Taktik bei uns oberste Priorität.“ Erst im Elfmeterschießen verloren die Griechen gegen Costa Rica. Zwischen Kreta und Thessaloniki wurde Santos dafür gefeiert, der Rest der Welt rümpfte die Nase. Kommentatoren kamen nie ohne den Begriff „Beton“ durch die 90 Minuten.

Unberechenbar und flexibel

Einen Messi hat er immer noch nicht, dafür aber einen Ronaldo. Doch ein gerissener Stratege, der auf Ästhetik pfeift, solange seine Mannschaft Erfolg hat, ist er geblieben. Santos ist gemeinsam mit dem Italiener Antonio Conte der listigste Taktiker des Turniers. Die Portugiesen spielen ähnlich unberechenbar, immer perfekt auf den Gegner abgestimmt und flexibel.

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In der Vorrunde waren die Spiele des Teams höchst sehenswert, gegen die Kroaten baute er sein Ensemble dann grundlegend um. Drei Spieler kamen zu ihrem ersten Einsatz, Luca Modrić und Ivan Rakitić wurden mit einer Art Manndeckung aus dem Spiel genommen, schön war das nicht. „Manchmal muss man pragmatisch sein“, sagte Santos, der seine eigene Karrie­re mit 21 beendete, weil er nicht gut genug war für den Profifußball. Er studierte Elektrotechnik und arbeitete 13 Jahre lang als Ingenieur.

Wie ein Ingenieur erledigt er auch seinen Trainerjob: nüchtern, rational, aber mit Gespür für die Balance zwischen Bedürfnissen seiner Stars und den Interessen der Gruppe.

Beim Training rauchen

Vor den Partien legt er Dossiers über den Gegner vor, in denen kein Detail fehlt. „Die Spieler sind immer informiert“, sagte er. Unter Santos, der seit September 2014 für die Seleção verantwortlich ist, hat Portugal noch kein Pflichtspiel verloren. Die Qualifikation verlief reibungslos, und auch wenn kein Vorrundenspiel gewonnen wurde: Das Team spielte stark.

Mit Polen und dann Wales oder Belgien im Halbfinale wäre das Endspiel keine Sensation mehr. Santos hat gute Aussichten auf weitere Plauderstunden mit den Reportern.

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