Terror

Erneut fordert ein Anschlag in der Türkei viele Tote. Die Täter
handelten diesmal mutmaßlich wieder im Auftrag des IS

Bomben im Foyer

Türkei Selbstmordattentäter reißen am Flughafen in Istanbul mindestens 41 Passagiere mit in den Tod.
Die Regierung versucht das Sicherheitsproblem herunterzuspielen – mit äußerst geringem Erfolg

Alles unter Kontrolle? Sicherheitskräfte am Atatürk-Flughafen am Tag nach dem Anschlag Foto: Sedat Suna/dpa

aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Wer glaubte, jetzt könne es nicht mehr schlimmer werden, wird in der Türkei aufs Neue eines Schlechteren belehrt. Der Anschlag auf den Hauptflughafen von Istanbul hat eine bisher so nicht da gewesene Dimension. Das Drehkreuz des Landes ist getroffen, entsprechend fühlt sich auch jeder betroffen. Die erschütternde Bilanz: 41 tote Passagiere, 3 tote Attentäter und 239 Verletzte, von denen noch rund 160 im Krankenhaus versorgt werden.

Das Fernsehen zeigte die ganze Nacht verheerende Bilder von Toten und Verletzten die im Eingangsbereich des Flughafens durch die massiven Detonationen niedergestreckt worden waren oder völlig verwirrt durch die Anlagen stolperten.

Die Empörung in den sozialen Medien ist enorm. Haben wir überhaupt noch eine Regierung, die uns schützt, nach diesem insgesamt vierten schweren Terroranschlag in Istanbul in diesem Jahr?, lautet der Tenor auf Twitter. Warum sind Innenminister Efkan Ala und Geheimdienstchef Hakan Fidan noch im Amt? Was macht Präsident Recep Tayyip Erdoğan?

Erdoğan machte in der Nacht zu Mittwoch erst einmal die gesamte Weltgemeinschaft verantwortlich, die angeblich nicht genug gegen die terroristische Bedrohung tun würde. Sein neuer Ministerpräsident Binali Yıldırım musste sich unterdessen der unangenehmen Aufgabe stellen und das neuerliche Versagen der Sicherheitskräfte vor der Öffentlichkeit rechtfertigen.

Obwohl es bislang keinerlei Bekenntnis zu dem Attentat gibt, geht die Regierung aufgrund des Ablaufs des Anschlags davon aus, dass der sogenannte Islamische Staat (IS) der Auftraggeber war. Als Ministerpräsident Yıldırım in der Nacht vor die Presse trat, war sein hauptsächliches ­Bemühen, glauben zu machen, dass es trotz des Terrors kein Sicherheitsproblem am türkischen Hauptflughafen Atatürk gebe.

Dorthin waren laut offizieller Darstellung drei Terroristen schwer bewaffnet mit dem Taxi gefahren. Vor Ort hätten sie sich aufgeteilt. Einer habe eine Bombe im Parkdeck gezündet, die beiden anderen hätten sich jeweils am Ein- und Ausgang zum internationalen Terminal in die Luft gesprengt. Vorher habe zumindest einer noch mit einer Maschinenpistole um sich geschossen und so schon vor der Detonation einige Menschen getötet. Trotzdem sei es keinem der Attentäter gelungen, in den eigentlichen Flughafenbereich einzudringen, heißt es. Insofern gebe es auch keine Sicherheitslücke.

Angesichts von 41 Toten und 160 teils schwer verletzten Menschen wird das von vielen Türken als Hohn empfunden, zumal etliche Augenzeugen berichten, dass es mindestens ein Terrorist durch die Sperre geschafft hat. Er soll in der Abflughalle zunächst auf Passagiere das Feuer eröffnet und sich dann in die Luft gesprengt haben.

Trotzdem wurde der Betrieb schon am nächsten Morgen um 8 Uhr wieder aufgenommen. Krampfhaft soll Normalität vorgegaukelt werden.

Nach bereits drei großen und drei kleineren Anschlägen allein in Istanbul in diesem Jahr geht nun endgültig die Angst um. Wo kann ich überhaupt noch hingehen, fragen sich die 15 Millionen Einwohner der größten Metropole des Landes, wer sorgt noch für meine Sicherheit?

Nachrichtensperren und die Angst der Journalisten, Fragen zu stellen, verhindern zudem, dass die Sicherheitsdebatte in den großen TV-Anstalten laut wird. Aber auf Dauer wird die Empörung der Leute kaum zu unterdrücken sein.

Kurz vor Beginn der Reisewelle lautet die Frage: Kommen wir sicher an?

Am Wochenende beginnen die Bayram-Ferien zum Ende des Fastenmonats Ramadan. Fast das gesamte Land wird sich auf den Weg machen, entweder in einen Kurzurlaub oder um Familie und Verwandte zu besuchen. Flüge, Busse und Züge sind ausgebucht, es ist die größte Reisewelle des Jahres. Werde ich lebend an meinem Ziel ankommen? Das ist die Frage, die nun alle bewegt.

Der Terror geht in der Türkei von zwei diametral entgegengesetzten Lagern aus. Da ist zum einen die PKK mit ihrer Unterorganisation Freiheitsfalken (TAK), die aus Rache für das Vorgehen von Polizei und Armee in den kurdischen Gebieten im Osten der Türkei Terrorangriffe im Westen des Landes unternehmen. Davon betroffen sind aber hauptsächlich Militär und Polizeieinrichtungen, auch wenn die TAK Opfer unter Zivilisten in Kauf nimmt. Auf das Konto der TAK ging der jüngste Anschlag am 7. Juni in der Altstadt von Istanbul, als sie ein mit Sprengstoff beladenes Auto neben einem Polizeibus zündeten und dabei 12 Menschen, 5 davon Zivilisten, töteten.

Die anderen Angreifer sind die Islamisten des IS. Der IS verbreitet Terror, indem er möglichst viele Menschen tötet. In Istanbul greift er zielgerichtet Touristen oder – wie jetzt am Flughafen – zentrale Knotenpunkte des Tourismus an. Dadurch soll nicht nur, wie Erdoğan jetzt behauptet, das Land insgesamt destabilisiert, sondern einer der wichtigsten Wirtschaftszweige gezielt getroffen werden.

Und während Erdoğan die Weltgemeinschaft beschuldigt, zu wenig gegen den Terror zu tun, ist immer noch völlig ungeklärt, in welchem Ausmaß die türkische Regierung jahrelang mit dazu beigetragen hat, den IS stark zu machen, und welche Beziehungen der türkische Geheimdienst nach wie vor zu der islamistischen Terrororganisation hat.