Weder größenwahnsinnig
noch weinerlich

AUFTRITT Im „Zeit“-Interview gelingt ­Jan Böhmermann das Kunststück, seine Inszenierung unter Kontrolle zu halten

Die Mainzer Staatsanwaltschaft lässt offen, ob sie Böhmermanns Zeit-Interview in die Ermittlungen wegen Beleidigung einbezieht. Generell könnten aber auch Äußerungen von Beschuldigten oder anderen Personen herangezogen werden, die außerhalb eines Verfahrens abgegeben werden, sagte ein Sprecher. (dpa)

Da ist es nun: das erste öffentliche Gespräch mit Jan Böhmermann, nachdem sein Beitrag über den türkischen Präsidenten Erdoğan und die Kunst- und Meinungsfreiheit – kurz: Schmähgedicht – eine mittelschwere Staatskrise ausgelöst hat. Obwohl – ein richtiges Gespräch ist es dann doch nicht: Das Interview mit der Zeit wurde schriftlich geführt.

Dabei wirkt es so, als sei nicht in einem Chat (also quasi in Echtzeit) miteinander geschnackt, sondern als sei Böhmermann schlicht ein Fragenkatalog geschickt worden, sodass seine später eingefügten Antworten und die vorher festgelegten Anschlussfragen teilweise so zusammenhanglos sind, dass es absurd komisch ist.

Wie so viele in der jüngsten Vergangenheit hat sich Böhmermann für sein erstes Interview Die Zeit ausgesucht. In dem Beicht-, Buß- und Be­tmedium durften letztens schon Karl-Theodor zu Guttenberg („Es steht völlig außer Frage, dass ich einen auch für mich selbst ungeheuerlichen Fehler begangen habe“) und Uli Hoeneß („Ja, ich bereue das, unendlich“) länglich ihre entschuldigende Sicht auf die Dinge darlegen. Aber niemand nutzte die Bühne so konsequent für die Fortführung der eigenen Inszenierung wie Böhmermann. Er hat sein „Neo Magazin Royale“ in die Zeit geschleust.

Und so wirkt das vorher von der Hamburger Wochenzeitung veröffentlichte Zitat („Die Bundeskanzlerin darf nicht wackeln, wenn es um Freiheit und Menschenrechte geht. Doch stattdessen hat sie mich filetiert, einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei aus mir gemacht“) im Kontext des gesamten Interviews weniger größenwahnsinnig oder weinerlich als vielmehr wie die Antwort eines Satirikers, der sich halt der Mittel bedient, die einen Satiriker ausmachen: Humor, Überhöhung, Biss.

Dabei lässt Böhmermann allerdings keinen Zweifel daran, was er davon hält, dass die Kanzlerin verlauten ließ, sie habe sein Gedicht als „bewusst verlet­zend“ empfunden, und das auch dem türkischen Ministerpräsiden­ten Ahmet Davutoğlu so mitgeteilt hatte: „Hat die Bundeskanzlerin eigentlich die ganze Nummer gesehen oder nur das zusammengeschnittene Gedicht bei Bild.de? Und wo wir gerade bei ungefragten persönlichen Geschmacksurteilen wären: Ich finde das apfelgrüne Kostüm­oberteil sowie das lilafarbene Samtsakko der Bundeskanzlerin ‚bewusst verletzend‘.“

Dennoch hätten sich andere noch schlimmer verhalten als Angela Merkel, findet Böhmermann. Auf die Frage: „Gibt es jemanden, der Sie in den vergangenen Wochen besonders enttäuscht hat?“ antwortet er: „Der Lieferservice von Rewe.“

Wer hat Sie besonders enttäuscht? „Der Lieferservice von Rewe“

Böhmermann in der „Zeit“

Das fasst das Interview ganz gut zusammen. Die Show kann weitergehen. Die nächsten Auftritte: Zunächst kommt das „Neo Magazin Royale“ (Die Rückkehr des Königs) am 12. Mai bei ZDF Neo und dann in absehbarer Zeit ein Prozess: Böhmermann vs. Erdoğan. Oder – wie der Moderator es zuspitzt – „Witz gegen Bundesregierung. Ich bin gespannt, wer zuletzt lacht.“

Jürn Kruse