Kommentar Oppositionsrechte: Zu viel an die AfD gedacht

Oppositionsrechte heute sind möglicherweise nach der Wahl Rechte für die AfD. Hat das Gericht deswegen die Verfassungsklage abgewiesen?

Richter in roter Robe rückt sich die Haube zurecht

Eine selbstbewusste Demokratie braucht auch ein mutiges Verfassungsgericht Foto: dpa

Demokratie – das ist mehr als die Herrschaft der Mehrheit. Niemand hat öfter daran erinnert als das Bundesverfassungsgericht. Demokratie erfordert auch einen lebendigen außerparlamentarischen Prozess und den offenen Schlagabtausch im Parlament. Minderheiten müssen sich offen artikulieren und die Mehrheit kontrollieren können.

Die Kontrolle der Mehrheit ist aber nicht so einfach, wenn eine Große Koalition regiert, die im Bundestag 80 Prozent der Sitze besetzt. Denn viele Minderheitenrechte können laut Grundgesetz nur Abgeordnetengruppen geltend machen, die mehr als ein Viertel der Sitze innehaben. Bei einer Großen Koalition laufen solche Garantien offensichtlich leer.

Daran wollte das Bundesverfassungsgericht nun aber erstaunlicherweise nichts ändern. Es postuliert zwar einen Grundsatz der „effektiven Opposition“, tut dann aber nichts dafür, um die Effizienz auch einer zahlenmäßig schwachen Opposition zu sichern.

Das Recht, einen Untersuchungsausschuss zu verlangen, wird von den Richtern zwar als „elementares“ Oppositionsrecht bezeichnet; wenn die Opposition zu klein ist, hat sie dieses elementare Recht aber offensichtlich verwirkt. Einerseits erklärt Karlsruhe, die Opposition dürfe bei Ausübung ihrer Rechte nicht auf das „Wohlwollen der Mehrheit“ angewiesen sein.

Richter widersprechen ihren eigenen Prämissen

Bei der Frage, ob eine schwache Opposition überhaupt Rechte hat, muss sie nach dem jetzigen Urteil aber sehr wohl auf den „Goodwill“ der Großen Koalition vertrauen. Die Richter betonen doch selbst, dass die Oppositionsrechte nicht nur für die Oppositionsparteien wichtig sind, sondern für die gesamte Gesellschaft. Die Demokratie lebe von Wettbewerb und von der Kontrolle. So gesehen haben die Richter sehenden Auges ihren eigenen Prämissen widersprochen.

Die Verfassungsrichter haben ihren eigenen Prämissen widersprochen

Und warum all diese Inkonsistenz? Warum werden Maßstäbe aufgestellt, an die man sich selbst nicht einmal zu halten versucht? Haben die Richter zu viel an die AfD gedacht? Wollen sie deshalb der Mehrheit freie Hand lassen, welche Rechte sie der Opposition nach der nächsten Wahl gewährt?

Das wäre tatsächlich ein Armutszeugnis für die Demokratie. Und das Verfassungsgericht hätte seine eigene Rolle als Integrationsorgan aufs Spiel gesetzt. Mit Hasenfüßigkeit und einseitiger Rechtsprechung ist der Kampf gegen die Rechtspopulisten sicher nicht zu gewinnen. Eine selbstbewusste Demokratie braucht auch ein mutiges Verfassungsgericht.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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