Übergriff auf Flüchtlingskind vermutet: Bedrängt bis zur Atemnot

Security-Mitarbeiter in einer Hamburger Flüchtlingsunterkunft sollen einen Zehnjährigen misshandelt haben. Der Betreiber bestreitet das.

So geht das aber nicht: In den Hamburger Erstaufnahmen dürfen Kinder längst nicht überall essen – aus hygienischen Gründen Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

HAMBURG taz | Einige Päckchen Nuss-Nougat-Creme, darum geht es: In einer Hamburger Erstaufnahme sollen Sicherheitsmitarbeiter einen jungen Flüchtling misshandelt haben, weil dieser ein paar Nutella-Portiönchen abgezwackt haben soll. Betrieben wird die Einrichtung am Albert-Einstein-Ring im Stadtteil Bahrenfeld vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). „Als die Vorwürfe bekannt wurden, haben wir sofort die Polizei eingeschaltet, um aufzuklären“, sagt DRK-Sprecher Rainer Barthel. „Die Anschuldigungen haben sich als haltlos herausgestellt.“

Wie das begonnen haben soll, was Barthel als „angebliche Eskalation“ bezeichnet, darüber herrscht noch weitgehend Einigkeit: Am 9. Dezember vergangenen Jahres sei der damals Zehnjährige von Mitarbeitern der Security-Firma SOG dabei „erwischt worden, wie er eine Vielzahl von Nutella-Paketen unter sein T- Shirt gesteckt hat“, erklärt Barthel. „Darauf wurde er von der Security angesprochen, dann soll die Situation eskaliert sein.“ Der Vorwurf: Die Wachleute sollen den Jungen so kräftig gegen die Wand gedrückt haben, dass er einen Krampfanfall erlitten habe und im Krankenhaus habe behandelt werden müssen.

So gibt der Bericht des behandelnden Arztes die Schilderung der Mutter des Kindes wieder: Ihr Sohn sei „vom Security-Personal an die Wand gedrückt worden. Er habe dann schwer Luft bekommen und sei blass gewesen. Er ist dann kurzzeitig zusammengesunken.“ Damit nicht genug: Noch gut eine Wochen später diagnostizierte eine Kinder- und Jugendärztin bei dem Zehnjährigen gleich mehrere zeitweilig auftretetende psychische Störungen.

„Zunehmend sozialer Rückzug“, notiert die behandelnde Ärztin in diesem Bericht, „häufiges Weinen, Angst, nächtliches Erwachen aus Angstträumen mit Schreien und Weinen.“ Sie überweist den Jungen in die Trauma-Ambulanz des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), notiert aber auf dem Bericht auch, was sie als Ursache für diesen Befund annimmt: „Vorgängig körperlicher Übergriff durch Security in der Einrichtung.“

Die Unterkunft am Albert-Einstein-Ring ist eine von mehr als 30 Hamburger Erstaufnahmen. Sie bietet derzeit Platz für 550 Schutzsuchende.

Das Essensangebot für Heranwachsende war wiederholt Gegenstand von Kritik: Mal fehlte es an Babykost, dann an kindergeeigneten Zwischenmahlzeiten.

Kuriose Akten-Abweichung

In den Krankenakten des Jungen findet sich eine ärztliche Mitteilung, verfasst nur einen Tag später von einer Allgemeinmedizinerin, die in der Bahrenfelder Erstaufnahme die Sprechstunde abhält. Fast wortgleich diagnostiziert sie die Störungen, auch die Überweisung gleicht wortwörtlich der erwähnten Erstdiagnose. Doch die beiden so ähnlichen ärztlichen Mitteilungen unterscheiden sich in einem Punkt gravierend: Der Hinweis auf einen möglichen Security-Übergriff fehlt – und verschwindet damit bis auf Weiteres aus den Krankenakten.

Wer das veranlasst hat, das kann auch das DRK nicht klären. „Die Polizei hat die Vorwürfe gegen die Security-Mitarbeiter untersucht“, sagt Sprecher Barthel – „sie haben sich auch nach Auswertung von Videodokumenten als absolut haltlos erwiesen.“ Nicht ganz so entschieden formuliert es Polizeisprecherin Heike Uhde: „Es gab in dieser Angelegenheit einen Polizeieinsatz, aus dem aber kein Strafverfahren gefolgt ist.“

Barthel zufolge ist es den Menschen in der Erstaufnahme nicht gestattet, Essen mit in die Privaträume zu nehmen: „aus hygienischen Gründen“ – das könnte immerhin eine Art Grundlage sein für das behauptete Benehmen der Sicherheitsleute. Nun gibt es in den meisten Unterkünften zwar drei reguläre Mahlzeiten am Tag, aber dazwischen eben nichts. Für Kinder zu wenig, sagen Ärzte: Die Pausen seien zu lang. In der Folge „hamstern“ Flüchtlingskinder schon mal bei der Essensausgabe – und geraten so in den Blick der Security. „Dabei soll es nicht nur bei der Durchsuchung nach Nahrungsmitteln geblieben sein“, schreibt die Bürgerschaftsabgeordnete Dora Heyenn (parteilos) in einer Anfrage an den Senat, die sie am Dienstag auf den Weg brachte. „Auch nach Waffen soll bei den Kindern gesucht worden sein.“

Gegenüber der taz berichteten MitarbeiterInnen verschiedener Hamburger Flüchtlingsunterkünfte, dass in diesen Einrichtungen auch Kinder „relativ anlasslos“ durchsucht würden. Für die beiden vom Hamburger DRK betriebenen Einrichtungen in Bahrenfeld schließt Sprecher Barthel jedoch aus, „dass es routinemäßige Kontrollen von Kindern oder gar Leibesvisitationen“ gebe.

Lediglich im Eingangsbereich der Anlage würden die Flüchtlinge „von Metalldetektoren“ gescannt, so wie etwa wie bei der Passagierkontrolle eines Flughafens. „Solche Kontrollen sind notwendig“, sagt der Sprecher, „da wir schon oft Hieb- und Stichwaffen entdeckt haben.“

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