Vegane Ernährung: Warnung vor Mangelerscheinungen

Der Verzicht auf Tierprodukte berge Gesundheitsrisiken. Veganer sollten sich regelmäßig ärztlich überprüfen lassen, so Ernährungswissenschaftler.

Auf einem Stück Papier liegen zwei Stücke von veganem Grillfleisch

Sieht aus wie Fleisch, ist es aber nicht Foto: ap

BERLIN taz | Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät in einem neuen Positionspapier von einer ausschließlich veganen Kost ab. „Bei einer rein pflanzlichen Ernährung ist eine ausreichende Versorgung mit einigen Nährstoffen nicht oder nur schwer möglich“, urteilt Deutschlands wichtigste Vereinigung von Ernährungswissenschaftlern, nachdem sie die aktuelle Forschungsliteratur ausgewertet hat. Wer dennoch vegan essen will, solle regelmäßig seine Nährstoffversorgung von einem Arzt überprüfen lassen. Statt Veganismus empfehlen die Experten wie bisher nur eine Mischkost, die „zum kleineren Teil aus tierischen Lebensmitteln inklusive Fisch und wenig Fleisch- und Fleischerzeugnissen besteht“.

Die Empfehlungen der DGE haben großen Einfluss: Auf ihnen basieren zum Beispiel offizielle Broschüren, die erklären, wie viel man von welchen Lebensmittelgruppen essen sollte. Tausende von Köchen etwa in Kindergärten oder Betriebskantinen richten sich nach dem „Ernährungskreis“ der DGE, der grafisch die empfohlenen Anteile der verschiedenen Nahrungsmittel darstellt. Autorität genießt der gemeinnützige Verein auch, weil er zu 70 Prozent von Bund und Ländern finanziert wird. Der Rest kommt aus Gebühren für Publikationen und Lehrgänge sowie aus Mitgliedsbeiträgen.

Das neue Positionspapier dürfte auf besonders großes Interesse stoßen, da sich immer mehr Menschen vegan ernähren, was viele Tier- und Umweltschützer begrüßen. Trotzdem ist der Anteil der Veganer an der Bevölkerung immer noch sehr gering: Laut DGE schwanken die Angaben zwischen 0,1 und 1 Prozent. Das sind lediglich 81.000 bis 810.000 Personen. Doch in vielen Medien ist Veganismus in den vergangenen Jahren zu einem in der Regel positiv besetzten Modethema geworden.

Die neue DGE-Position liefert den Kritikern dieses Trends Argumente aus gesundheitlicher Sicht. Größtes Problem ist den Wissenschaftlern zufolge die Versorgung mit Vitamin B12. Dieser Nährstoff „kommt in einer für den Menschen verfügbaren Form fast nur in tierischen Lebensmitteln vor“. Wer langfristig davon zu wenig bekommt, könne zum Beispiel an Blutarmut und neurologischen Störungen leiden. Zudem gebe es erste Hinweise, dass ein Mangel an Vitamin B12 vor der Empfängnis das Risiko etwa von Fehlgeburten erhöhen kann. Deshalb sollten Veganer „dauerhaft ein Vitamin-B12-Präparat einnehmen“. Und da die Mangelerscheinungen erst nach einigen Jahren einer Ernährung ohne den Nährstoff auftreten, müssten Veganer ihre Vitamin-B12-Versorgung regelmäßig kontrollieren lassen, um rechtzeitig gegensteuern zu können.

Komplizierter Speiseplan

Diese medizinische Überwachung empfehlen die DGE-Experten auch im Hinblick auf weitere Nährstoffe, die zwar aus Pflanzen bezogen werden können, aber teilweise nur in geringen Mengen. Zu diesen „potenziell kritischen Nährstoffen bei veganer Ernährung“ zählt die DGE Protein beziehungsweise unentbehrliche Aminosäuren und langkettige n-3-Fettsäuren sowie Riboflavin, Vitamin D und die Mineralstoffe Calcium, Eisen, Jod, Zink und Selen. Einen Speiseplan zusammenzustellen, der pflanzliche Lebensmittel mit all diesen Nährstoffen in ausreichender Verfügbarkeit enthält, scheint der DGE so kompliziert, dass sie Veganern empfiehlt, „sich von einer qualifizierten Ernährungsfachkraft informieren und beraten zu lassen“.

Besonders hoch sei das Risiko für eine Nährstoffunterversorgung bei veganer Ernährung in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter, so die Wissenschaftler. Denn Menschen in solchen Phasen benötigten von den kritischen Nährstoffen vergleichsweise große Mengen.

Wer von Vitamin B12 langfristig zu wenig bekommt, könne zum Beispiel an Blutarmut und ­neurologischen Störungen leiden

Andere internationale Fachgesellschaften wie die US-amerikanische Academy of Nutrition and Dietetics betonen stärker als die DGE, dass eine vegane Ernährung sehr wohl eine gute Nährstoffversorgung sicherstellen kann. Allerdings ebenfalls ausdrücklich unter der Bedingung, dass der Speiseplan a) gut geplant ist und b) Nährstoffpräparate sowie etwa mit Eisen angereicherte Lebensmittel enthält. „In den USA sind Veganer viel eher bereit, Nahrungsergänzungsmittel und nährstoffangereicherte vegane Ersatzprodukte zu verwenden als in Deutschland, sodass dort eine geringere Gefahr für Nährstoffdefizite besteht“, sagte DGE-Präsident Helmut Heseker der taz.

Positiver bewertet die DGE weniger strenge Formen des Vegetarismus: die, die alle Lebensmittelgruppen außer Fleisch erlaubt (Pesco-Vegetarier), und die, die zusätzlich Fisch verbietet (Ovo-Lacto). Diese Varianten halten die Wissenschaftler ausdrücklich „als Dauerernährung für geeignet“, wenn zum Beispiel genügend Hülsenfrüchte gegessen werden, um Protein und Eisen aus Fleisch zu ersetzen. Da diese Vegetarier nicht so viele Nahrungsmittel ausschließen wie Veganer, können sie leichter einen ausreichenden Speiseplan zusammenstellen.

Lesen Sie dazu auch das Interview mit einer Expertin der Tierrechtsorganisation Peta.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.