Linke putzen Klinken: „TTIP? Das ist uns zu politisch“

Aktivisten wollen den Hannover-Besuch von US-Präsident Barak Obama nutzen, um gegen das Freihandelsabkommen zu protestieren.

Nein zu den Freihandelsabkommen sagen irgendwie alle, nur die Gründe unterscheiden sich voneinander Foto: dpa

HAMBURG taz | Hier dürfen Sie keine Flyer verteilen“, sagt die junge Frau im Hosenanzug. „Das ist uns zu politisch.“ Mariana, eine Aktivistin aus dem Hamburger Netzwerk gegen das TTIP, legt die Stirn in tiefe Falten. In ihren Händen hält sie einen Stapel Flyer. „Für einen gerechten Welthandel“ steht auf ihnen. Seit einer knappen Stunde geht die Sozialpädagogin vor dem Eingang der Deichtorhallen nahe des Hamburger Hauptbahnhofes auf und ab, verteilt die bunten Handzettel und spricht Passanten an.

An diesem Samstagabend ist viel los auf dem Museumsgelände, Hunderte Besucher sind zur „Langen Nacht der Museen“ gekommen. Getränkebuden säumen den Platz, es gleicht einem Straßenfest. Kein schlechter Ort, um Menschen für politische Zwecke zu mobilisieren.

Doch jetzt müssen Mariana und ihre Mitstreiter den Platz räumen. Denn angemeldet haben sie das Verteilen der Flyer nicht und schließlich sei das „wirklich nicht der Ort für Politik“, wie die Museumsangestellte wiederholt. Mariana schüttelt energisch den Kopf. „Aber TTIP geht uns alle an! Die Kulturszene ist auch betroffen!“, sagt sie.

Neben ihr steht Frank und beobachtet die Szene. „Na, vielen Leuten ist eben nicht bewusst, welche Tragweite das Abkommen hat“, sagt er und schmunzelt, wirkt aber eher resigniert als amüsiert. Der 48-Jährige mit den verstrubbelten Haaren ist Attac-Mitglied und wie Mariana engagiert er sich in der Arbeitsgruppe „Wirtschaft und Finanzen“. Seit drei Jahren ist das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP das zentrale Thema der Gruppe. Ein Thema, das die Aktivisten aufregt, wütend macht, ihnen Angst macht.

Wenn Frank über die Risiken von TTIP spricht, wirkt der sonst gut gelaunt auftretende Mann ernsthaft verärgert. „Wenn das Abkommen umgesetzt wird, werden Arbeitnehmerrechte auf amerikanisches Niveau herunter gestutzt. Und nur Wenige interessiert das“, sagt er. Seit Wochen ist Frank mit anderen Aktiven aus dem Hamburger Netzwerk darum nun schon unterwegs, steht an Infoständen, um für die große Demonstration am Tag des Obama-Besuchs am 23. April in Hannover zu mobilisieren.

Leicht ist das nicht, Freihandel ist ein komplexes Thema. Und denen, die sich weniger intensiv damit beschäftigen, seien die Hintergründe schwer zu vermitteln, sagt Frank. „Wenn die Straße vor der Haustür umgebaut wird, gründet sich sofort eine Bürgerinitiative, von TTIP wollen viele Menschen nichts wissen.“ Das macht ihn ratlos. „Heute ist es wohl die Regel, mit einem Tunnelblick durchs Leben zu gehen, sich nicht für große politische Probleme zu interessieren“, sagt Frank, der in der Windbranche arbeitet und seit Jugendzeiten politisch aktiv ist: Anfangs bei Greenpeace, später bei Jusos und Grünen, und jetzt beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac.

Welche Folgen des TTIP-Abkommens die Hamburger Aktivisten am meisten fürchten? Je nach politischem Interesse fallen die Antworten aus. Wie Frank sind die Aktivisten an diesem Abend vor den Deichtorhallen politisch eher links oder grün zu verorten, sie engagieren sich seit Jahren, wenn auch seltener parteipolitisch. Mariana, die aus der Friedensbewegung kommt, fürchtet die „große Macht internationaler Konzerne“, unkontrollierten Waffenhandel und wachsende soziale Ungleichheit. Barbara, freie Kulturschaffende, sorgt sich darum, dass kulturelle Subventionen dem Investitionsschutz geopfert werden könnten.

Wenn die beiden Frauen über die Gefahren des Freihandels referieren, schwingt Wut und Resignation mit. „Wohlstand für alle? Von wegen. Man sieht doch jetzt schon, wie durch Privatisierungen und Outsourcing Arbeitnehmerrechte eingeschränkt werden“, sagt Mariana, die hinter jeden Satz ein großes Ausrufezeichen setzt. Ob sie noch optimistisch sei, dass TTIP gestoppt werden könne? Da wird sie leiser. „Ich weiß nicht. Aber wer nichts dagegen tut, hat schon verloren“, sagt sie. Worte, die wie ein Mantra klingen. Kraft schöpfen die Hamburger Aktivisten auch aus den weltweiten Protesten gegen TTIP. 250.000 Menschen haben im Oktober in Berlin demonstriert – darunter waren auch Gruppen, die mit Nationalismus und Anti-Amerikanismus Stimmung machten. „Das ist befremdlich, diese Argumentation ist völlig daneben. Wir lehnen jede Form von Rassismus ab“, sagt Frank.

Das Hamburger Netzwerk hat sich im Jahr 2014 gegründet und setzt sich aus linken Initiativen, Umweltverbänden und Gewerkschaften zusammen. Gruppen vom rechten Rand sind bei den monatlichen Netzwerktreffen bisher noch nicht aufgetaucht. Frank und Mariana berichten aber von AfD-Anhängern, die an Infoständen begeistert über das Abkommen diskutieren wollen.

Und dann? Bloß nicht miteinander reden? „Das ist schon ein schwieriger Spagat“, sagt Frank. Man kämpfe zwar gegen die gleiche Sache, aber aus unterschiedlichen Motivationen. „Ich will keine Diskussion verweigern, rechtes Gedankengut aber klar ablehnen“, sagt er und wünscht sich, dass das Netzwerk eine Strategie entwickelt, um auf solche Situationen besser vorbereitet zu sein. „Bisher war das für uns ein Randthema.“

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