Kolumne Immer Bereit: Würgereiz im Spielwarengeschäft

Besuch im Kinderspielzeugdiscounter: Statt eines wohligen Flashbacks in meine Kindheit wurde mir übel. Denn alles war blau oder rosa.

Puppen

Nur für Mädchen? Foto: ap

Heute will ich über den Kapitalismus reden. Von wegen, wir hatten nichts im Osten! Wir hatten alles, sogar Vollbeschäftigung!

Woran es tatsächlich haperte in der DDR, waren Westprodukte: glitzernde Dinge in grellen Farben, die sirenenhafte Geräusche machten und verführerisch dufteten. Ich kannte sie alle. Wir hatten Westfernsehen, das mir, im Gegensatz zu euch bemitleidenswerten Ökokindern, auch nicht verboten wurde, schließlich war sowieso klar, dass meine Eltern mir das Zeug niemals kaufen würden. Ich kriegte es geschenkt. Von der Westverwandtschaft. Nutella und Legosteine und Kleidung in grellen Farben, die verführerisch duftete.

Gestern war ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Kinderspielzeug-Discounter. Ich wollte ein Geschenk kaufen. Hat aber nicht geklappt.

Ich hatte ja so einiges erwartet. Fast alle um mich rum sind mittlerweile Eltern oder werden Eltern oder wollen Eltern werden. Ich dachte, es würde eine Art Flashback in meine Kindheit sein und ich würde anfangen zu sabbern und alles haben wollen. Stattdessen wurde mir übel.

Alles in diesem Laden war rosa oder blau. Alles. Jedes Lätzchen, jede Socke, jeder Strampelanzug. Auf den hellblauen Textilien waren wahlweise Autos drauf oder Dinosaurier – und auf den rosafarbenen Herzchen und Prinzessinnen mit Kulleraugen.

„Der Feminismus hat komplett versagt!“, murmelte ich erschüttert und wankte fassungslos durch den Laden.

Bäääm! Ein Schild hing von der Decke des Spielzeugdiscounters: „Jungsecke“

„Wo sind denn die Legosteine?“, wollte ich von der Verkäuferin wissen. Legosteine können nicht gegendert werden, dachte ich, es sind einfach neutrale Plastewürfel mit Noppen drauf, aus denen man Sachen bauen kann. „Hinten in der Jungsecke“, zerschmetterte die Verkäuferin meine Illusionen.

„Jungsecke“, murmelte ich missbilligend und guckte in die Richtung, in die sie gezeigt hatte. Bäääm! Ein Schild hing von der Decke: „Jungsecke“. Ich dachte echt, ich gucke nicht richtig! Autos, Drachen, Supermänner, alle in Rot auf dunkelblauem Grund.

Wie soll man seine Kinder zu aufgeklärt denkenden Menschen erziehen, wenn die Industrie sie schon direkt nach ihrer Geburt anhand des Designs ihrer Schlüpfer in passive Sexualobjekte und aggressive Superhelden unterteilt?

Zum Glück sieht die Lebensrealität der meisten Eltern, die ich kenne, anders aus. Zwar redet der Sohn meines Cousins seit sechs Monaten nur noch über „Star Wars“: „Ähm … und dann kommen … ähm … die Clonkrieger und bekämpfen … ähm … die Jedi-Ritter …“ Er hat keinen einzigen Film gesehen, seine Eltern interessieren sich nicht die Bohne für Science Fiction, aber der Junge kennt jede Geschichte bis ins Detail, einfach durch die Merchandise-Produkte. Er ist acht Jahre alt.

Und dann gibt es Emil, den Sohn meiner Freundin Suse. Der ist fünf und trägt seit zwei Jahren nur noch Kleider. Seit neuestem möchte er Emilia genannt werden, aber trotzdem ein Junge sein. Alle um ihn herum sind völlig cool damit. Nur seine große Schwester nicht. „Emil, du bist so megapeinlich!“, zischt sie, wenn sie neben ihrem Bruder die Straße entlang läuft. – „Ich heiß Emilia“, antwortet der Junge ungerührt.

Zu seinem Geburtstag hat seine Mutter ihm ein Prinzessin-Elsa-Kostüm geschenkt, das war sein größter Wunsch. Das ist das „Star Wars“ für Mädchen. Mit Pink und Glitzer bis zum epileptischen Anfall.

Der Punkt ist: Wenn man Kinder hat, kriegt man alles geschenkt. Daran hat sich nichts geändert. Und für Neuanschaffungen hat der Kapitalismus Strategien, die Begierden der Kinder zu steuern. Ist auch nicht neu.

Das Tröstliche ist: Kinder lassen sich nur bedingt instrumentalisieren, sie halten sich an ihre Vorbilder. Wenn die große Schwester in Kleidern rumrennt, will der kleine Bruder das eben auch. Gestern hab ich eine Petition mitgezeichnet, dass Neugeborene mit uneindeutigem Geschlecht nicht mehr beschnitten werden sollen. Es muss doch jeder selbst entscheiden dürfen, welche Rolle er spielen will.

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