Bürgerwehr vs. Flüchtlingshelfer: Die gespaltene Gemeinde

Eine der ersten westdeutschen „Bürgerwehren“ bildete sich in Schwanewede. Neben den Flüchtlingsgegnern gibt es aber auch Flüchtlingshelfer.

Die Bundeswehr ist weg, dafür kamen Familien aus Syrien und dem Iran: Kaserne in Schwanenwede. Foto: Foto: Jean-Philipp Baeck

SCHWANEWEDE taz | Als Gudrun Chopin das Wort ergreift, dreht sie sich um. Statt ans Podium gerichtet, spricht sie zu den anderen Gästen im Saal: Sehr gut laufe es mit der Flüchtlingshilfe im Ort, sagt sie. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer leisteten ganze Arbeit – aber man könne noch Unterstützung gebrauchen. Es sind einfache Sätze, doch in diesem Raum, in dem so viel Hass herrscht, gewinnen sie an Tapferkeit. Flüchtlingshelfer – hier in Schwanewede?

Der Gemeindesaal ist voll an diesem Abend. Bis in die Tür drängen sich die Leute, sitzen auf den Tischen, die hinten an die Wände geschoben wurden, um Platz zu schaffen. Die Stimmung ist angespannt. Worüber informiert werden soll, haben die meisten schon ein paar Tage zuvor in der Lokalzeitung gelesen: Die Schwaneweder Flüchtlings-Notunterkunft soll vergrößert werden.

Zuhören wollen nur manche

Seit September 2015 leben in Schwanewede, nördlich von Bremen, vor allem syrische und irakische Familien. Die Bundeswehr braucht die ehemalige Lützow-Kaserne nicht mehr, das Land Niedersachsen dafür umso mehr: Statt wie bisher 1.200 sollen dort bis zu 2.000 Menschen unterkommen können.

Der Referatsleiter für kommunale Angelegenheiten im Innenministerium ist an diesem Abend aus Hannover angereist, um all das zu erklären. Manche im Gemeindesaal wollen ihm wohl auch zuhören. Lauter aber sind diejenigen, die ihn am liebsten gleich wieder aus dem Dorf jagen würden. Sie nehmen den Raum ein – wie so oft in letzter Zeit, wenn über Flüchtlinge diskutiert wird.

Dass er Politikern kein Wort mehr glaube, sagt einer, und dass es doch immer nur noch mehr Flüchtlinge würden. Dass die Polizei verschweige, wie kriminell die Flüchtlinge seien. Ein Mann, der sich als Trainer des örtlichen Fußballvereins vorstellt, erzählt von einem Vorfall, bei dem er eigenhändig zwei Mädchen vor sie sexuell belästigenden Flüchtlingen beschützt haben will.

Auch Dennis Z. ist gekommen und lehnt an einer Fensterbank. Z. ist Sänger der Band „Strafmass“, die der Bremer Verfassungsschutz seit ihrer Gründung im Jahr 2008 beobachtet: „Hasserfüllte Einstellung gegenüber Ausländern“ propagiere die Band und sehe sich in der Tradition der militanten Neonazis von „Combat 18“. Er ist in Schwanewede aufgewachsen und einer der Initiatoren der „Bürgerwehr“, die sich hier Ende 2015 bildete, kurz nachdem die ersten geflohenen Menschen in die Kaserne eingezogen waren – als eine der ersten in Westdeutschland. Zuvor hatten sich Hunderte Anwohner gegenseitig im Internet aufgestachelt, in einer Facebook-Gruppe. Nun bekamen sie einen Ableger in der wirklichen Welt.

Auf der Veranstaltung im Gemeindesaal bewegt sich Z. unter Gleichgesinnten, muss selbst gar nicht sprechen. Die Menschen um ihn herum lassen ihren Ressentiments freien Lauf. Geordnet nimmt Schwanewedes Bürgermeister Harald Stehnken, SPD, sie dran: einen nach dem anderen. Die Leute interessieren sich nicht für Argumente an diesem Abend und der Bürgermeister kann ihnen kaum etwas entgegensetzten. Dann kommt die Flüchtlingshelferin zu Wort: „Frau Chopin“, sagt Stehnken, „sie wollten doch auch noch etwas erzählen.“ Als sie über das örtliche Engagement für die Flüchtlinge spricht, grölt es im Saal.

Die AfD will „Mut zum Widerstand stiften“

Es ist eine Stimmung, die auch die AfD im Ort für sich nutzt. Als die Debatte richtig hochkochte, im Oktober, lud die Partei zu einer Veranstaltung in den Kinosaal des ehemaligen Soldatenheims, fünf Minuten zu Fuß von der damals noch neuen Flüchtlingsunterkunft entfernt. Über das „Asylrecht als Fehlkonstruktion“, wollte man informieren und „Mut zum Widerstand stiften“.

50, vielleicht 60 Zuhörer folgten damals der Einladung, auch Dennis Z. war dabei. Von Männern in Jacken der bei Neonazis beliebten Marke „Thor Steinar“ wurde er mit Handschlag begrüßt. Als die AfD-Lokalgröße Uwe Wappler davon spricht, dass man die machthabenden PolitikerInnen und allen voran Angela Merkel irgendwann noch ihrer gerechten Strafe zuführen werde, klatschten sie. Die Bürgerwehr, sagte der Kreisverbandsvorsitzende, der auch als „Oberstleutnant d. R.“ firmiert, werde von der AfD selbstverständlich begrüßt.

Harald Stehnken sitzt hinter seinem Schreibtisch und beugt sich über einen Stapel Papiere. Notizzettel, Locher, Briefbeschwerer – er hat es gerne geordnet. Stehnken trägt ein Sacko mit Hemd, das wohl nicht allzu zugeknöpft wirken soll. Seit 2001 ist der frühere Finanzbeamte hauptamtlicher Bürgermeister im Ort.

Die 4.000 Bundeswehrsoldaten, die lange hier stationiert waren, die fehlten schon, sagt er, auch ihre Kaufkraft. „Wir schaffen das in Schwanewede“, das sagt der Sozialdemokrat auch, wenn es um die Flüchtlinge geht. In diesem Frühjahr, mit dem Nachlassen der Migrationsbewegung nach Deutschland, seien es ohnehin nur noch rund 500 Menschen, die in der alten Lützow-Kaserne leben.

„20 zu 80“, sagt Stehnken, sei die Stimmung im Ort verteilt. Die Mehrheit sehe die Anwesenheit der Flüchtlinge positiv. Aber der Bürgermeister bangt um den Ruf seiner Gemeinde. Er verweist auf Gudrun Chopin, auf den Pastor Klaus Fitzner und die anderen im Ort, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Klar, sagt er, bekomme auch er die schlechte Stimmung mit – etwa, wenn ihm wieder mal ein Brief geschrieben wurde.

„Aber ich lade die Leute dann einfach ein, hier zu mir ins Büro“, sagt Stehnken. Und erklärt ihnen, dass die Polizei kaum Vorkommnisse zu verzeichnen hat im Zusammenhang mit den Flüchtlingen. Dass diese Menschen Strapazen hinter sich haben. Diejenigen, die sich beschwerten, hätten Angst, sagt Stehnken, weil die Neuankömmlinge nicht so aussähen wie sie selbst. Um Schwanewedes Bürgerwehr allerdings sei es in letzter Zeit ruhiger geworden.

Unterwegs in leeren Straßen

Der Mann ist gerade aus einem schwarzen Kombi mit Bremer Nummernschild gestiegen und wartet. Es dauert nicht lange, bis von der anderen Straßenseite ein Mann zu ihm herüberschlendert. Dieser hatte dort drüben an einer Bushaltestelle gewartet. In den nächsten zehn Minuten wird sich hier eine kleine Gruppe bilden: zwei Frauen, sechs Männer. Jeweils einzeln stoßen sie hinzu, einer hat immer die Gegend im Blick. Durchweg tragen sie dunkle Kleidung und sind von eher kräftiger Statur. Einer hat ein Teppichmesser an der Seite seiner Zimmermannshose stecken.

Noch ein paar Minuten später zieht die Gruppe los: ins Wohngebiet gleich um die Ecke, von Vorgarten-Zaun zu Vorgarten-Zaun. Zwei haben Taschenlampen dabei, leuchten mal hier den Rasen ab, mal dort zu einem Eingang hin. Irgendwo müssen sie ja sein, die kriminellen Ausländer. Mit ihrem Auftreten, dem Schatten und den Lichtkegeln ihrer Lampen erinnert die Bürgerwehr selbst an eine Gruppe unvorsichtiger Einbrecher, von Weitem wenigstens.

Davon abgesehen sind die Straßen leer: Keine Passanten, keine Fahrradfahrer – und auch keine Flüchtlinge mit Diebesgut. Als sie wieder zu Hause sind und vor ihren Computern sitzen, schreiben die dunkel Gekleideten von ihrer „Gegenwehr“ und davon, dass sie Pfefferspray oder Schlagwaffen im Auto haben – für den Fall der Fälle, der bislang nicht eingetreten ist.

Ihre Wut muss tief sitzen: Monate lang, manchmal mehrmals pro Woche, machen sie ihren Rundgang, starten am ehemaligen Soldatenheim und schwenken dann um, ins Wohngebiet. Und immer führt ihr Weg auch vorbei an der Begegnungsstätte.

Die ist in Schwanewede Jugendfreizeitheim, Sozial- und Kulturzentrum und Dorfgemeinschaftshaus – und der Ort der Flüchtlingshilfe. 1981 wurde das Haus eingeweiht, so lange ist auch Gudrun Chopin, ehemals Lehrerin, schon aktiv. Damals seien vor allem Menschen aus Afghanistan, Indien und Sri Lanka nach Schwanewede gekommen, erinnert sie sich. So habe sich die örtliche „Ökumenische Initiative für Flüchtlinge und Asylsuchende“ gegründet. Chopin trägt ihr Haar bis zum Kinn und eine weit geschnittene Hose. Und sie kann sich durchsetzen.

Als im September 2015 die ersten Flüchtlinge in der Lützow-Kaserne ankamen, legten Chopin und ihre Mitstreiter los: Zusammen mit Kindern von der nahegelegenen Waldschule bildete sich ein kleines Empfangskommitee. „Wilkommen“ schrieben sie auf Schilder, auf Deutsch und Arabisch. Und im Gegensatz zu den Unterstützern aus Bremen, die eigens nach Schwanewede kamen, werden sie am Eingang zur Unterkunft nicht mehr abgewiesen. Eine Kleiderkammer gibt es auf dem Gelände und einen Raum der Stille. 25 freiwillige Patinnen und Paten kümmern sich um Neuankömmlinge.

„Wir waren vorbereitet“, sagt Chopin. An diesem Tag ist wieder Frauencafé, so wie seit inzwischen 21 Jahren einmal im Monat. 40 Frauen sind da, jede zweite trägt Kopftuch. Damit die Besucherinnen auch wirklich Zeit und Ruhe finden, sich auszutauschen, werden die Kinder nebenan betreut.

Zehn Euro für ein Rad von den drei Männern im Keller

Seit einem Dreivierteljahr gibt es im Keller der Begegnungsstätte auch die Fahrradwerkstatt – in Schwanewede eine Männerdomäne: Wilfried Gorisch, Vehbi Vojvoda und Helmut Bier haben sie in einem Heizungskeller eingerichtet. Alte Fahrradmäntel liegen hier herum, Lappen, Werkzeug, Kettenschmiere. Bier ist noch nicht so lange dabei. Für Flüchtlinge bietet er nun auch Deutschunterricht an. Ganz anders sei das, als er es aus der Schule kenne, sagt Bier: „Weil die Leute ja freiwillig kommen.“ Der pensionierte Lehrer hat einen grau-braunen Arbeitsoverall an, wie ihn richtige Handwerker tragen.

Mit den anderen steht er um ein Fahrrad herum und werkelt am Sattel. Ramadan R. will es gleich abholen kommen. R. kam aus Syrien nach Schwanewede, für das Rad soll er nun zehn Euro bezahlen. Seinen Namen registrieren sie in der Werkstatt, jeder Flüchtling soll nur eins bekommen und muss es auch persönlich abholen. Im Keller nebenan stehen noch weitere Drahtesel zur Abholung bereit, ehemals kaputte, gespendet und von den drei Männern im Keller geflickt und verkehrstüchtig repariert.

100 solcher Räder seien schon verteilt worden, erklärt Gudrun Chopin. Die Bürgerwehr? Sei ihr nie begegnet. Man müsse „heftig dagegen arbeiten“. So etwas wie auf der Veranstaltung im Gemeindesaal, sagt sie, wolle sie nie mehr erleben. „Lieber ein Licht anzünden als auf die Dunkelheit schimpfen.“

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