Inklusion beim Arzt: Ein Stadtplan zur Hilfe

Die Patienten-Initiative startet das Projekt „Barrierefreie Arztpraxen“. Mit einer Checkliste wird untersucht, ob Praxen behindertengerecht gestaltet sind.

Hier ist‘s mal gerecht: Keine Barrierefreiheit für alle. Foto: Patrick Pleul /dpa

HAMBURG taz | Wo findet eine Rollstuhlfahrerin eine gynäkologische Praxis mit einem höhenverstellbaren Untersuchungsstuhl? Gibt es einen Orthopäden, der auf gehörlose Patienten eingestellt ist? In welcher Arztpraxis kann ein Patient sich mit einem Rollator problemlos bewegen oder ein Blinder seinen Blindenführhund mitbringen? Diesen Fragen wollen die Patienten-Initiative und die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands mit dem Projekt „Barrierefreie Arztpraxen“ auf den Grund gehen. Ihr ehrgeiziges Ziel ist es, einen Stadtplan mit den Kompetenzen der Arztpraxen zu erstellen, wie Kerstin Hagemann von der Patienten-Initiative erklärt.

4.200 Arztpraxen gibt es in der Stadt, wenn Zahnärzte und Psychotherapeuten eingerechnet werden. Aber die Kennzeichnungspflicht für Arztpraxen ist oft unvollständig, wenn es um die Barrierefreiheit gehe, sagt Hagemann am Donnerstag bei der Vorstellung des Projekts. Es gebe Definitionen wie „behindertengerecht“, rollstuhlfreundlich oder „bedingt barrierefrei“, die oft fehlerhaft oder missverständlich seien und über die tatsächlichen Zugangsbedingungen nichts aussagen. Sie seien für den Patienten daher wenig hilfreich, die passende Praxis zu finden.

„Was nützt es, wenn es einen Fahrstuhl gibt, ein Blinder aber das unten angebrachte Klingelschild nicht findet oder der Gehörlose den Summer der Eingangstür nicht hört“, so Hagemann. Das Problem sei, dass die Arztpraxen ihre Barrierefreiheit bislang selbst definiert hätten und oft die Sicht des Patienten nicht genügend einbezogen haben.

Grundlage des Projekts, das zunächst für ein Jahr von der Krankenkasse AOK finanziert wird, bildet eine neu entwickelte Checkliste, die die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen berücksichtigt. Denn ein angeblich barrierefreies Klo ist nicht immer ein total barrierefreies Klo, indem sich ein E-Rolli-Patient mit seinem sperrigen Gefährt bewegen kann.

In den nächsten Monaten werden von den mitwirkenden Arztpraxen alle relevanten Informationen erhoben, in dem zum Beispiel Menschen mit Behinderungen als geschulte „Barriere-Scouts“ diese besuchen. Ziel sei es auch, Ärzte für das Thema zu sensibilisieren. „Es geht nicht um eine Bewertung der Praxen oder darum, eine Praxis schlechtzumachen“, betont Hagemann. Eine Arztpraxis mit Stufen von der Haustür könne für einen sehbehinderten Patienten mit einer guten Ausstattung oder mit Kenntnisse in Gebärdensprache für Gehörlose die richtige Adresse sein, sagt Hagemann. „Wir wollen das Vorhandene sichtbar machen, damit die Suche leichter wird.“

Das Projekt stößt auf viel Unterstützung: Die Senatskoordinatorin für die Gleichstellung von behinderten Menschen, Ingrid Körner, hat an alle Arztpraxen appelliert, sich an der Erhebung zu beteiligen. Schirmherrin des Projekts ist die Ärztin und Intendantin des Ernst Deutsch Theaters, Isabella Vértes-Schütter. Sie ist als „Wegbereiter der Inklusion 2015“ ausgezeichnet worden, da ihre Inszenierungen auch auf Gehörlose und Blinde ausgerichtet sind. Das Praxis-Projekt nennt die Intendantin „wichtig und großartig“.

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