Youtuber wechseln ins Fernsehen: Bye-bye Netzwerke

TV-Produzenten locken YouTube-Stars an. Manche sehen darin die Freiheit von finanziellen Zwängen. Andere sehen ihre Freiheiten gefährdet.

Youtuber-Fans jubeln ihrem Idol zu

Auf sie haben es die TV-Produzenten abgesehen: junges YouTube-Publikum fürs Fernsehen. Foto: dpa

„Es ist gruselig: Im Moment gibt es eine Art Headhunting, bei dem die Netzwerke versuchen, sich extrem aggressiv die Partner wegzugraben, etwa mit vollkommen unrealistischen Versprechen. Diese dreckige Art der Abwerbung ist für den YouTuber-Bereich völlig neu.“ Das sagt Joseph Bolz.

Der Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor ist ein YouTuber der ersten Stunde. 2006 hat er dort angefangen Comedy-Videos hochzuladen, seit 2009 betreibt er mit „DeChangeman“ seinen dritten Kanal.

Auf viele YouTuber wirken die Netzwerke auch abstoßend, weil sie vehement Einfluss auf die Inhalte nehmen möchten, etwa mit Vorgaben für Produktplatzierungen, oder weil sie Spontanität durch Kalkül ersetzen wollen.

„Wir waren wie die Kuh, die gemolken wurde“, erinnern sich Fabian Rieck und Steven Schuto an die Zeit zurück, als sie noch Mitglieder in einem Netzwerk waren. Die „Space Frogs“, die mittlerweile 900.000 Abonnenten für ihren Kanal aufweisen, waren mit ihrem Abitur beschäftigt, als sie die Verträge bei „Mediakraft“ unterschrieben: „Die waren für uns zu dieser Zeit gar nicht richtig durchschaubar. Am Anfang kam auch etwas mehr Unterstützung, später nichts, aber wir mussten trotzdem regelmäßig Anteile an unseren Einnahmen abgeben.“ „Rick“ und „Steve“ jedenfalls sind seit ihrem Austritt bis heute unabhängig geblieben.

Aus dem Raster des Algorithmus fallen

Was sie berichten, passt ins Muster: Viele Multi-Channel-Netzwerke (MCN) nehmen so viele YouTuber wie möglich unter Vertrag, um eine bestimmte Masse zu erreichen. Resultat: In vielen MCNs lagern Hunderte von „Leichen“, die nicht richtig betreut werden, die aber ihre Prozente abdrücken, ohne eine Leistung zu erhalten.

Joseph Bolz ist mittlerweile bei Studio 71 unter Vertrag, einem Tochterunternehmen von ProSiebenSat.1. Hier konnte er seine erste Web-Serie produzieren. Der Sender engagiert sich mit einem eigenen Netzwerk für YouTuber. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass eigene Videoportale wie MyVideo nicht ausreichen, um ein jüngeres Publikum zu gewinnen. Für Bolz wiederum ist Fernsehen interessant, weil seiner Meinung nach längere Serien und Filme auf YouTube wegen eines eigentümlichen Algorithmus nicht funktionieren. Nach diesem Algorithmus wird beispielsweise ein Künstler, der auf zehn Kanälen kürzere Filme zeigt, mit hoher Sicherheit höher gerankt als jemand, der auf nur einem Kanal einen längeren Film aufführt.

Neben Studio 71 arbeitet Bolz neuerdings mit der TV-Produktionsfirma Warner ITVP in Köln zusammen, wo er und andere YouTuber so etwas wie ein Experimentierfeld erhalten haben. Aktuell entwickeln beide gemeinsam Ideen für das ZDF Neo TV Lab. Auch die Fernsehproduktionsfirma Bavaria und Endemol locken aktuell Webvideo-Künstler mit verschiedenen Maßnahmen und Projekten.

Warum sich TV-Produktionsfirmen plötzlich so für YouTuber interessieren, erklärt Martin Brindöpke von Warner so: „Wir suchen nach ebendiesen Talenten, die neue, andere, unique Ideen und Darstellungsformen mitbringen. Bis vor einiger Zeit herrschte bei YouTubern überwiegend die Haltung, sich vom Fernsehen fernzuhalten. Nun scheint sich das zu drehen.“

Chance oder Zwang

So wie das Interesse der Produzenten an den YouTubern steigt auch das der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender an Webvideo-Produzenten. Für die TV-Macher gilt letztlich: Ans YouTube-Publikum kommt man nur mit YouTube-Stars. Und diese sehen die Sender und Produzenten oft als Chance, ihre Ideen freier von finanziellen Zwängen umsetzen zu können.

Doch nicht alle YouTuber teilen die Begeisterung für TV-Produzenten und -Sender. Für die „Space Frogs“ beispielsweise, die auch schon zahlreiche Anfragen von TV-Sendern erhalten haben, sind sie keine Alternative: „Wir hatten Angebote vom Kika und dem Jugendkanal von ARD und ZDF, der gerade in Planung ist. Aber das wären alles Vollzeitprojekte gewesen. Dann hätten wir unsere eigenen Kanäle nicht mehr machen und unsere Freiheit nicht mehr ausleben können.“

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