Rot-Rot-Grün gegen Kleinstaaterei

Gebietsreform Gegen heftige Widerstände der Provinzfürsten reduziert Thüringen die Landkreise

Reformgegnerin Schweinsburg, Befürworter Ramelow Foto: M. Schutt/dpa

ERFURT taz | Nach vergeblichen Anläufen über mehr als zehn Jahre macht die seit Dezember 2014 amtierende rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen nun Ernst mit einer Funktional- und Gebietsreform. Unmittelbar vor Weihnachten verabschiedete das Kabinett ein entsprechendes Leitbild und folgte damit dem Koalitionsvertrag zwischen Linkspartei, SPD und Grünen.

Demnach sollen Landkreise mindestens 130.000 und kreisfreie Städte mindestens 100.000 Einwohner haben. Eine Zielzahl von Kreisen nennt das Leitbild noch nicht, sie würde sich aber deutlich verringern.

Kein anderes Land der Bundesrepublik spiegelt Relikte der Kleinstaaterei des 19. Jahrhundert noch so lebendig wider wie Thüringen. Reußen, Preußen, Sachsen und kleinere Fürstentümer fanden sich auf dem Gebiet des heutigen Freistaats. Die Preußen führten vor 200 Jahren den dreistufigen Verwaltungsaufbau ein, der mit dem Wegfall des Landesverwaltungsamtes als Mittelbehörde nun auf zwei reduziert werden soll.

Als Erbe der ohnehin viel kleinteiliger organisierten DDR übernahm Thüringen 1990 bei damals 2,65 Millionen Einwohnern 35 Land- und fünf Stadtkreise. 1994 wurde bei einer ersten Reform die Zahl der Landkreise halbiert. 2008 waren die Verwaltungskosten in Thüringen pro Jahr und Bürger mit 190 Euro aber immer noch doppelt so hoch wie in Bayern.

Eine Thüringer Expertenkommission schlug 2013 eine weitere Verringerung von 17 auf 8 Landkreise vor. Von fünf kreisfreien Städten sollten nur Erfurt und Jena übrig bleiben. Doch eine Gebietsreform wurde in der bis 2014 regierenden CDU-SPD-Koalition vor allem von der Union immer wieder ausgebremst. Emotionale und machtpolitische Argumente überwogen das sachliche Kalkül. Die Union stellte die Hälfte der Landräte und lebte auch mit 849 Gemeinden in dem kleinen Land ganz gut.

Mit der einflussreichen CDU-Größe Martina Schweinsburg steht eine vehemente Gegnerin der Kreisreform an der Spitze des Thüringer Landkreistages. Die Greizer Landrätin fordert ebenso wie die Junge Union einen Volksentscheid. Der könne mit der Landtagswahl 2019 verknüpft werden.

„Die Landesregierung hat keinen Plan, außer eine Karte an die Wand zu pinnen und neue Grenzen einzuzeichnen“, empört sich der Weimarer CDU-Landrat Helmut Münchberg. Er verweist auf Erfahrungen im benachbarten Sachsen. Dort habe die letzte Gebietsreform 500 Millionen Euro gekostet, die Zahl der Kommunalbediensteten sei ebenso wie die Kreisumlage trotzdem gestiegen, Wege für die Bürger hätten sich verlängert.

Etliche Bürger­meister müssen einen Machtverlust befürchten

Münchberg ist seit 21 Jahren ununterbrochen im Amt und müsste ebenso wie etliche Bürgermeister einen Machtverlust befürchten, wenn die Zahl der Gemeinden auf 150 drastisch reduziert werden soll. Umso mehr, als vor allem die Linkspartei mit der parallelen Funktionalreform die starke Stellung der Landräte und Bürgermeister zugunsten der Gemeinderäte beschneiden will.

CDU-Fraktionschef Mike Mohring kritisiert vor allem den Zeitdruck durch das Ziel der Regierung, die Reform in zweieinhalb Jahren abzuschließen. Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) kündigte zunächst ein Vorschaltgesetz an, das Ende Februar das Kabinett passieren soll. Michael Bartsch