Spionage beim Klimagipfel: Geheimdienstsache Klimawandel

Das Hackerkollektiv Anonymous will offenbar die Website der Klimakonferenz angreifen. Die Geheimdienste hören öfter mal ab.

Frankreichs Präsident Hollande flüstert seiner Umweltministerin Royal ins Ohr

Stille Post: Geheime Informationen sind beim Klimagipfel nicht so geheim, wie sie sein sollten. Foto: reuters

PARIS taz | Mit der Attacke der Maskierten rechnet die UNO in jeder Nanosekunde: Das Hackerkollektiv Anonymous steht offenbar kurz vor einem Angriff auf die Website der Klimakonferenz. „Wir haben von unseren IT-Sicherheitsleuten die Warnung bekommen, dass Anonymous einen Angriff vorbereitet“, hieß es am Mittwoch aus dem Organisationsteam der Konferenz zur taz. „Im Internet sind schon mehrere mögliche Angriffspunkte auf unsere Homepage veröffentlicht worden.“

Nach diesen Informationen hat die französische Behörde für IT-Sicherheit ANSSI die elektronische Sicherung der prestigeträchtigen Konferenz übernommen. Und darauf zielt wohl auch Anonymous. Der Angriff, so hieß es aus Konferenzkreisen, soll eine Vergeltung für das rabiate Eingreifen der Polizei bei den verbotenen Demonstrationen in Paris vom Wochenende zum Auftakt der COP sein.

Wer genau hinter Anonymous steht, ist einmal mehr unklar. Hinter dem vermeintlichen Hackerkollektiv können sich alle Arten von Akteuren verstecken. Gemein ist ihnen lediglich, dass sie die gleiche Tarnidentität verwenden.

Eine direkte Cyberattacke auf die Konferenz wäre neu. Mit der Datensicherheit bei den Klimagesprächen ist es hingegen nicht allzu weit her. Denn das bestgehütete Geheimnis auf Klimakonferenzen ist, dass es keine Geheimnisse gibt. Die offiziell geltende „Vertraulichkeit diplomatischer Informationen“ ist nur ein frommer Wunsch.

Der Erde droht der Hitzekollaps. Deshalb wollen die Staatschefs der Welt Anfang Dezember in Paris einen globalen Klimaschutz-Vertrag vereinbaren. Die taz berichtete vom 28. November bis zum 14. Dezember 2015 täglich auf vier Seiten in der Zeitung und hier auf taz.de.

Sensible Dinge dürfen nicht am Handy besprochen werden

Bereits 2009 beim Kopenhagen-Gipfel hatte der US-Geheimdienst NSA die wichtigsten Länder in der Klimafrage ausgespäht, wie Edward Snowden später enthüllte. Während des Gipfels sicherten die Lauschangriffe den US-Delegierten einen Informationsvorsprung etwa über ein entscheidendes Papier der dänischen Verhandlungsführer und über Gespräche zwischen Indien und China. In der heißen Phase der Verhandlungen spiele das Abhören der anderen Delegationen „ohne Zweifel eine wichtige Rolle, um unsere Delegation so gut informiert wie möglich zu halten“, heißt es in dem publizierten Schreiben aus dem Snowden-Fundus.

Ein Jahr später waren es die Briten. Der Geheimdienst Ihrer Majestät GCHQ schleuste einen Agenten in die britische Delegation ein, der dort Zugang zu den Daten, Informationen und Mitgliederlisten aller Länderdelegationen hatte. Die Nachrichten des Spions waren zwar wenig brisant: Die 23-seitige Powerpoint-Präsentation zeigt Fotos von Echsen und Affen auf dem Gelände des Luxushotels oder die Tür des chinesischen Delegationsbüros.

In der heißen Phase der Verhandlungen spiele das Abhören der anderen ­Delegationen „eine wichtige Rolle“

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich dennoch empört: „Alle diplomatischen Informationen sind unantastbar. Sie sollten in ihrer gesamten Vertraulichkeit geschützt werden.“ Er ordnete eine Untersuchung an. Ein Jahr später war diese abgeschlossen, aber UN-Sprecher Farhan Haq gibt sich auf Anfrage nun kurz angebunden. „Dieses Thema wurde mit dem betroffenen Mitgliedstaat erörtert“, erklärt er. „Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“

Alle Diplomaten wissen, dass sensible Dinge nicht am Handy besprochen werden dürfen. Trotzdem hat die Spitze der französischen Delegation extra für die Konferenz neue und verschlüsselte Smartphones angeschafft, heißt es. Andere Länder lassen elektronische Geräte im Flugzeug zurück, wenn sie französischen Boden betreten. Die US-Delegation etwa zieht sich zu geheimen Gesprächen in ihre Pariser Botschaft zurück, die besser gegen Spionage gesichert ist. Und die deutschen Verhandler nutzen nur Laptops und Smartphones, die nicht mit dem IT-System der Bundesregierung verbunden sind.

Auch Umweltgruppen, die manchmal in engem Kontakt zu Regierungen stehen, sind vorsichtig. Manche nutzten die App „Signal“, um ihren SMS-Verkehr zu verschlüsseln. Christoph Bals von der Entwicklungsorganisation Germanwatch sagt: „Wir nutzen sichere Software für E-Mails und den Umgang mit Dokumenten.“ Klar sei aber auch, dass „wirklich sensible Unterlagen nicht elektronisch verschickt werden.“

Die NGOs erzählen von einem japanischen Aktivisten, dem auf einer Klimakonferenz sein Laptop gestohlen worden sei – mutmaßlich von Klimaleugnern. Und sie erinnern sich noch an die Aufregung, als aus einer anonymen Quelle kurz vor dem Gipfel von Kopenhagen gehackte E-Mails von Mitgliedern des UN-Klimarats IPCC veröffentlicht wurden.

Begehrte Patente

Den besten Zugriff auf die vertraulichen Gespräche haben allerdings immer noch die Gastgeber. So entstand „durch ein technisches Versehen“, wie die Dänen erklärten, eine Tonaufzeichnung der entscheidenden Hinterzimmerverhandlung beim gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen. Auf den fast 90 Minuten langen Sounddateien, aus denen das Magazin Der Spiegel 2010 zitierte, ist zu hören, wie dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy der Geduldsfaden reißt, wie der chinesische Verhandler die Forderungen nach Emissionsgrenzen zurückweist und wie auch US-Präsident Barack Obama die Klimaziele für einen Kompromiss verwässert.

Ob auch die Franzosen lauschen? Nach den Terrorangriffen in Paris hat Präsident François Hollande jedenfalls den Geheimdiensten im dreimonatigen Ausnahmezustand mehr Rechte und Freiheiten zugestanden.

Auch die Klimaverhandler nutzen Erkenntnisse ihrer „Dienste“ über die Lage in den anderen Staaten. „Das sind gut lesbare Zusammenfassungen von meist öffentlichen Informationen“, sagt ein erfahrener Gipfelteilnehmer. Aufpassen müsse man allerdings „bei taktischen Überlegungen für die Verhandlungen“. Und gut gesichert müssten Dokumente von wirtschaftlichem Interesse sein, etwa Patentunterlagen für begehrte Technologien. Schließlich geht es bei den Konferenzen auch um Milliardensummen und um ökonomische Vormachtstellungen.

Allerdings nehmen es manchmal selbst die Chefs mit der Sicherheit nicht so genau. In Kopenhagen, berichtet eine Teilnehmerin, hätten die Vertreter von USA, China und den wichtigsten Ländern ihre vertraulichen Unterlagen nach der entscheidenden Sitzung einfach auf den Tischen vergessen. Und der Staatssekretär im Umweltministerium und Veteran der Klimakonferenzen, Jochen Flasbarth, sieht die Vorkehrungen eher sportlich: „Bei den Delegationsbüros sind doch die Wände meistens aus Pappe. Wer da beim Nachbarn lauschen will, muss nur sein Ohr an die Wand legen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.