EU verhandelt mit der Türkei über Beitritt: Eine sehr pragmatische Politik

Dank der türkischen Hilfe bei der Abschottung gegen Flüchtlinge geht es mit den Beitrittsverhandlungen voran. Zwei neue Kapitel wurden jetzt eröffnet.

Von Scheinwerfern angestrahltes, voll besetztes Boot im Wasser bei Nacht.

Die türkische Küstenwache bringt in der Nacht ein Boot mit syrischen Flüchtlingen in der Ägäis auf. Foto: dpa

BRÜSSEL taz | Als der türkische Präsident Recep Erdogan Ende Oktober nach Brüssel reiste, empfing ihn die EU-Kommission mit einem großen Versprechen: Noch vor Weihnachten würden die seit Jahren auf Eis gelegten Beitrittsgespräche wieder aufgenommen. Wenn die Türkei der EU bei den Flüchtlingen entgegenkomme und die Seegrenze in der Ägäis abriegele, sei mit schnellen Fortschritten zu rechnen.

Nun hat Brüssel geliefert: Am Montag Abend wurde das erste von insgesamt fünf neuen Verhandlungskapiteln geöffnet. Die EU-Außenminister gaben grünes Licht für Gespräche über Wirtschafts- und Finanzthemen.

Klar ist, dass das Wirtschafts- und Finanzkapitel zu den leichteren Hürden der seit 2013 unterbrochenen Beitrittsgespräche zählt. Viel schwieriger - und wichtiger - sind die Kapitel 23 und 24, wo es um die Grundrechte, die Justiz und die bürgerlichen Freiheiten geht.

Denn die Türkei steht mit Bürgerrechten und Freiheiten auf Kriegsfuss, wie die EU-Kommission in ihrem - mit Rücksicht auf Erdogan lange unter Verschluss gehaltenen - jüngstem „Fortschrittsbericht“ selbst einräumt. Nachdem zwei führende türkische Journalisten verhaftet und der Spionage angeklagt worden waren, hatte die EU-Kommission versprochen, die Kapitel 23 und 24 besonders wichtig zu nehmen.

Auch deutliche Kritik an der Türkei

Noch wichtiger scheint allerdings die Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik zu sein, für die sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel stark gemacht hatte. Man müsse sich nicht gleich die dicksten Brocken vornehmen, sondern pragmatisch vorgehen, sagte Erweiterungskommissar Johannes Hahn - ein Österreicher - am Montag. „Pragmatismus“ sei „nicht der schlechteste Ratgeber“ in Beziehungen zu Nachbarstaaten.

Sebastian Kurz, Außenminister

„Dass die Flüchtlinge gar nicht nach Europa durchkommen“

Wesentlich unverblümter drückte es Hahns Landsmann Sebastian Kurz aus: „Es geht hier darum, dass die Türkei uns hilft, dass die Flüchtlinge gar nicht erst bis nach Europa durchkommen“, betonte der österreichische Außenminister. Man müsse „die Dinge ehrlich beim Namen nennen“ - die Menschenrechte spielen bei den Beitrittsverhandlungen eben nur die zweite Geige.

Allerdings sind damit längst nicht alle EU-Politiker einverstanden. Vor allem im Europaparlament wird Widerspruch laut. „Ich halte die Öffnung eines neuen Kapitels für verlogen“, kritisiert die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel. Der Türkei gehe es vor allem darum, in gutem Licht zu erscheinen. Dem „Wir sind die Guten“ müsse die EU jedoch klare rechtsstaatliche Standards entgegensetzen.

Noch ablehnender äußert sich die Linke im EU-Parlament. „Die Europäische Union muss damit aufhören, die Türkei als strategischen Partner bei der Lösung der Flüchtlingskrise anzusehen und ihre Verhandlungen stoppen“, fordert die Europaabgeordnete Sabine Lösing. Zur Begründung verweist sie auf den Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei.

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