Debatte Syrien-Einsatz des Westens: Ohne Plan zur zynischen Lösung

Der Westen agiert in Syrien ohne erkennbaren Plan. Am Ende könnte eine zynische Lösung stehen: Assad gewinnt Gebiete, der Westen Sicherheit.

Der syrische Präsident Assad sitzt auf einem Stuhl und gestikuliert mit der linken Hand

Der IS gefährdet die Stabilität des Westens, Assad nicht. Foto: dpa

Der Guardian hat vor wenigen Tagen einige Syrer interviewt, die aus der IS-Hochburg Rakka ins türkische Gaziantep fliehen konnten. Hier haben sie ihr Café wiedereröffnet, der Chef, die Angestellten und die Speisekarte sind die alten. Nur die Witze sind zynischer geworden: „Kann sich jemand freuen, wenn Rakka nun von jedem bombardiert wird?“, fragt einer der Gäste. Aus Sicherheitsgründen will er nur Abu Ahmed genannt werden – seine Söhne leben noch in Syrien. „Jeder, der sich gerade über seine Frau zu Hause ärgert, schickt nun seine Bomber los. Jordanien, die Emirate, die USA, Russland, Frankreich.“

Sie fürchten zivile Opfer der Luftangriffe in einer Stadt, in der sich der IS in den Wohnhäusern verschanzt. Pazifisten sind sie nicht. Sie hoffen auf eine Bodenoffensive, weil der IS anders nicht besiegt werden könne. Aber wer soll sie ausführen? Die Kurden? Sie könnten die arabische Bevölkerung Rakkas vertreiben, fürchten sie. Die Freie Syrische Armee? Zu schwach. Schließlich, so argwöhnen sie, würden die Assad-Truppen Rakka wiedererobern.

Das ist der syrische Pessimismus, genährt aus vier Jahren Bürgerkrieg, in denen alles immer schlimmer wurde. taz-Auslandsressortleiter Dominic Johnson sieht die Lage positiver. Wenige Kilometer vor Rakka haben sich kurdische Verbände und ihre Alliierten eingegraben. Im Verein mit Luftangriffen des Westens könnten diese Rakka vom IS befreien – und so bessere Optionen bei den Verhandlungen mit Assad und Russland über die Zukunft des Landes ermöglichen. Der Sturm von Kurden und ihren Verbündeten auf Rakka wäre wohl eine Lösung des kleinsten Übels, wenn man die Meinung teilt, dass man den IS militärisch bekämpfen muss und zugleich Assad nicht für seine Fassbomben belohnt werden darf.

Aber hat der Westen eine Strategie? Man darf skeptisch sein, betrachtet man die Historie seiner Interventionen. Im Kosovokrieg hoffte die Nato auf ein Einlenken Jugoslawiens nach wenigen Tagen Bombardement. Als das nicht eintraf, bombardierte sie auch Infrastrukturziele wie Brücken und innerstädtische Gebäude, Zivilisten starben. Als der Nato präzisere Waffen wie Cruise Missiles ausgingen, kamen Streubomben zum Einsatz. In Afghanistan verbündete sich der Westen mit Warlords, um möglichst wenige eigene Soldaten einsetzen zu müssen. Schließlich zog der Großteil der Truppen ab, die Taliban gewinnen wieder an Land.

Immer wieder Pathos

Im Irak waren die USA so sicher, als umjubelte Befreier dazustehen, dass sie glaubten, Armee und Baath-Partei auflösen zu können. Auf den dann beginnenden Guerillakrieg waren sie unvorbereitet. Als er befriedet schien, zogen die USA ab, obwohl die schiitische Regierung den sunnitischen Bevölkerungsteil ausgrenzte.

Großes Pathos, verbunden mit naiven Strategien, taktischen Fehleinschätzungen und der fehlenden Bereitschaft, Einsätze, wenn sie schon begonnen werden, auch ausreichend lange durchzuhalten: Das sind die Charakteristika der wichtigen Interventionen des Westens seit dem Kosovokrieg. Deutet etwas darauf hin, dass es diesmal anders sein wird?

Die Toten von Paris

waren unsere Toten,

die von Aleppo nicht

Nicht viel. Nach dem Beginn des Aufstands gegen Assad rechnete auch die Bundesregierung zunächst mit seinem Sturz innerhalb weniger Monate. Das russische Eingreifen hatte niemand auf dem Schirm, offenbar ebenso wenig die Möglichkeit, dass der IS auch im Westen wie in Paris angreifen würde. Dabei war doch der failed state Afghanistan vor 9/11 eine perfekte Blaupause für das IS-Gebiet und Paris. Die Bundesregierung hielt ein militärisches Eingreifen in Syrien noch 2014 trotz Kobani und Jesiden-Verfolgung nicht für nötig. Nun nach Paris die Kehrtwende. „Warum war im Westen niemand bewegt, als uns das Assad-Regime angegriffen hat?“, fragt im Guardian Mona, eine Lehrerin. „Warum ist der Einsatz nur eine Antwort auf den IS? Nur weil der Terror im Westen zugeschlagen hat?“

Der Westen, auch die Bundesregierung, konnte mit den 250.000 Bürgerkriegstoten in Syrien leben, nicht aber mit den 130 Toten von Paris. Die Toten vom Bataclan waren unsere Toten, die von Aleppo und Rakka nicht. Vor allem aber gefährdet der IS die Stabilität des Westens, Assad nicht.

Assad ist berechenbar

Und deshalb bleibt die Frage, ob eine zynische Lösung nicht ebenso wahrscheinlich ist wie eine, die die Interessen der oppositionellen, prowestlichen Syrer befriedigt. David Cameron spricht zwar von 70.000 „moderaten Kämpfern“ als Verbündete in Syrien, Ursula von der Leyen in ihrem in der Bild veröffentlichten 6-Punkte-Plan von „gemäßigten Stämmen im Irak und in Syrien“, mit denen man zusammenarbeiten müsse. Aber beide dürften wissen, dass Gruppen, die man in der Vergangenheit aus kurzfristigen Erwägungen heraus missachtet hat, beim nächsten Kurswechsel nicht wieder ohne Weiteres zur Verfügung stehen: Die „Freie Syrische Armee“ etwa leidet nach vier Jahren Bürgerkrieg nicht nur unter fehlender Bewaffnung und internen Spaltungen. Sie arbeitet auch mit islamistischen Milizen zusammen, die zwar weniger radikal als IS und al-Nusra sind, aber von denen niemand weiß, wohin sie sich entwickeln. Bei Assad weiß der Westen, woran er ist.

Die zynische Lösung geht daher so: Die russische Luftwaffe bombardiert die Gebiete der „gemäßigten Rebellen“. So nach Berichten von syrischen Aktivisten in den letzten Tagen rund um Asas in der Nähe der türkischen Grenze, wo anschließend der IS vorrückte. Der Westen bombardiert die IS-Gebiete. Die Assad-Truppen rücken zumindest in Teile vor, unterstützt von Hisbollah, Iranern und russischer Artillerie. In die anschließenden Friedensverhandlungen gehen die „gemäßigten Rebellen“ zumindest geschwächt, wenn nicht besiegt. Die Kurden erhalten im besten Fall eine regionale Autonomie. Der Westen hat wieder mehr Sicherheit, die Russen internationale Anerkennung, Assad bleibt an der Macht.

Dieses Szenario kann niemand ausschließen, solange sich westliche Regierungen weigern zu sagen, mit wem sie am Boden ihre Ziele erreichen wollen. Abu Ahmed sollte sich auf eine Zukunft in Gaziantep einrichten – oder nach Deutschland weiter fliehen.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.

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