Tatarenführer über Krim-Blockade: „Nur Menschen zweiter Klasse“

Mustafa Dschemilew fordert die totale Blockade der Halbinsel. Russlands Umgang mit den Krimtataren nennt er Terror. Der Rechte Sektor ist für ihn kein Problem.

Mustafa Dschemilew bei einer Demonstration

Mustafa Dschemilew bei einer Demonstration Foto: reuters

taz: Herr Dschemilew, vor der Krim-Annexion haben Sie Kiew dafür kritisiert, dass es sich zu wenig um die Krimtataren gekümmert hat. Jetzt wären Sie mit den Freiheiten zufrieden, die es damals gab?

Mustafa Dschemilew: Es geht um einen prinzipiellen Unterschied. Mit all ihren Schwächen war und bleibt die Ukraine ein demokratischer Staat. Das unmenschliche Regime, dass man auf der Krim nach der Annexion etabliert hat, ist noch schlimmer als das sowjetische. Das, was dort jetzt passiert, mutet wie der Terror unter Stalin an.

Welche Forderungen haben Sie?

Die Freilassung sämtlicher Geiseln und politischer Gefangenen. Die Zulassung internationaler Beobachter und Menschenrechtler, die die Mord- und Menschenraubfälle aufklären sollen. Die Gewährleistung demokratischer Freiheiten.

Was hat sich für die Krimtataren nach dem Anschluss an Russland geändert?

Sie sind zu Menschen zweiter Klasse geworden.

Der Abgeordnete, 75, ist Beauftragter des Präsidenten für die Krimtataren. Von 1998 bis 2013 war er Vorsitzender der Versammlung der Krimtataren.

Gibt es Proteste? Wie gefährlich ist es?

Du kannst gar nichts machen. Sobald jemand den Mund aufmacht, kriegt man als Antwort, ihr wolltet in Russland leben, wenn ihr unzufrieden seid, so haut doch ab.

Die von Russland annektierte Halbinsel Krim kämpft weiter mit Strommangel. Die Stadtverwaltung von Sewastopol bat die russische Schwarzmeerflotte, mehr Dieselgeneratoren zur Verfügung zu stellen. Zehn seien bereits zugesagt worden. Das russische Katastrophenschutzministerium sandte 300 Generatoren auf die Halbinsel, 170 davon für die Mobilfunkmasten. Reparaturarbeiten auf ukrainischer Seite waren am Donnerstagmorgen vorerst wieder eingestellt worden. (taz)

Sie fordern eine totale Blockade der Krim. Warum?

Der Sonderstatus der Krim als freie Handelszone ist absurd. Wir drohen jedem mit Sanktionen, der mit der Krim dort Geschäfte abwickeln will. Dahinter stehen ukrainische Oligarchen, die sich um die territoriale Integrität nicht scheren. Denen geht es nur um Gewinne.

Wer befürwortet die Blockade?

Es gab einen Beschluss der Versammlung der Krimtataren. Zu den Aktivisten zählen Vertreter ziviler Organisationen, der Freiwilligenvereine, auch Militäreinheiten wie Aidar, Asow.

Auch der Rechte Sektor …?

Ich verstehe nicht, warum man den Rechten Sektor dämonisiert. Sie unterstützen uns, wie viele andere Patrioten, die bei Wind und Regen an der Grenze zur Krim zelten und Wache schieben.

Was haben Sie erreicht?

Das ukrainische Kabinett hat beschlossen, dass Warenlieferungen zwischen der Krim und der Ukraine eingestellt werden. Das ist der erste Schritt. Der nächste wäre die Energieblockade. Solange die politischen Gefangenen nicht freikommen, darf die Stromversorgung nicht wieder hergestellt werden.

Erhalten Sie Unterstützung seitens der ukrainischen Regierung?

Ich bin im ständigen Kontakt sowohl mit dem Präsidenten als auch mit dem Premierminister, außerdem bin ich bei den Sitzungen des Kabinetts dabei. Überall stoße ich auf Verständnis und volle Unterstützung.

Das heißt, Petro Poroschenko unterstützt die Blockade der Krim?

Seine Position ist folgende. Er könne und wolle uns nicht an der Realisierung unserer demokratischen Rechte hindern, solange alles im Rahmen des Gesetzes bleibt. Bis jetzt hatte er uns gegenüber keine Einwände geäußert.

Wissen Sie, wer die Strommasten gesprengt hat?

Man versucht, die Schuld vor allem den Krimtataren zuzuschieben, um sie in den Augen der Krim-Bewohner zu diskreditieren. Die Untersuchung dauert noch an, und ich hoffe, dass die Täter möglichst bald gefunden werden.

Die Spannungen zwischen der Ukraine und Russland nehmen täglich zu. Haben Sie keine Angst, dass die Lage eskaliert?

Nach dieser Argumentation sollten wir lieber unsere Armee gleich nach Hause schicken und die Grenzen zu Russland öffnen. Das würde sicherlich die Lage deeskalieren. Aber die Frage ist doch eher, wer an all dem schuld ist. Wer der Aggressor ist. Wir kämpfen nur um unsere Rechte, nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Im März 2014, kurz vor dem Krim-Referendum, hatten Sie ein längeres Telefonat mit dem russischen Präsidenten. Drei Wochen später wurde Ihnen die Einreise auf die Krim verwehrt.

Wladimir Putin hatte weitreichende Rechte und Privilegien für die Krimtataren versprochen, wenn wir die Krim als Teil Russlands akzeptieren werden. Ich habe darauf geantwortet, dass wir das niemals tun werden, weil die Krim zur Ukraine gehört.

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