Nach den Anschlägen auf das „Bataclan“: Schüsse auf Laster und Leidenschaften

Die Musikwelt trauert um die Toten des Bataclan. Ein primär antisemitisches Tatmotiv halten viele inzwischen für unwahrscheinlich.

Das Gebäude des Bataclan

Eigentlich farben- und lebensfroh: Bataclan, Paris, 17. Novemer 2015. Foto: dpa

BERLIN taz | Vier Tage nach den Anschlägen ist ein dicker schwarzer Balken auf dem Facebook- und Twitter-Account des Clubs Bataclan zu sehen. „Keine Worte können unsere große Trauer zum Ausdruck bringen“, schreiben die Betreiber des Veranstaltungsorts, an dem mindestens 89 Menschen durch den IS-Terror zu Tode kamen, in einem kurzen Post. Am Bataclan, der eigentlich so lebens- wie farbenfrohen Location, ist Trauer angesagt.

Derweil wird weiter diskutiert, warum die Attentäter ausgerechnet diesen Club angriffen und ob die Tat einen direkten antisemitischen Hintergrund hatte. Denn der Club war jahrelang unter jüdischer Leitung, mit den Eagles Of Death Metal spielte an dem Abend eine Band, die zuletzt israelfreundlich in Erscheinung trat.

Richard Odier ist Vizepräsident des Bureau de Vigilance Contre l’Antisémitisme, des französischen Amts zur Bekämpfung von Antisemitismus. Er glaubt nicht an einen primär antisemitischen Hintergrund: „In erster Linie haben sie die Freiheit, die Kultur, die Demokratie angegriffen“, erklärt er im Interview mit der taz, „so gesehen war es ein naheliegendes, ein einfaches Ziel.“

Ein naheliegendes, einfaches Ziel

Odier, der auch Präsident des französischen Simon-Wiesenthal-Zentrums ist, fügt hinzu: „Sicher sind die Attentäter auch Antisemiten, aber sie richten sich genauso gegen Homosexuelle, gegen Frauen oder gegen demokratische Strukturen.“

Das Bataclan, ein legendärer Konzertort im 11. Arrondissement, in dem schon Velvet Underground, The Clash, The Cure oder die Ramones gespielt haben, war bereits mehrmals bedroht worden – zum Beispiel von propalästinensischen Gruppen im Jahr 2008, weil die seinerzeit noch von den jüdischen Brüdern Pascal und Joël Laloux betriebene Location Galas zugunsten des israelischen Grenzschutzes veranstaltete.

Auch Attentatspläne gab es in der Vergangenheit. Die ehemaligen Betreiber waren in der jüdischen Community in Paris bestens bekannt und vernetzt, Pascal Laloux war auch Präsident des Fußballklubs Maccabi.

Tempel des Hedonismus

Dass die einstigen Bedrohungen und jetzigen Angriffe unterschiedliche Hintergründe haben, sagt etwa auch Marc Hecker vom französischen Institut für internationale Beziehungen der New York Times. Es könne einfach Zufall gewesen sein, dass die Terroristen das Bataclan zum Anschlagsziel machten. Eine Verbindung zwischen propalästinensischen Aktivisten und dem Anschlag sieht Hecker nicht.

Im noch nicht verifizierten, mutmaßlichen Bekennerschreiben des IS klingt an, das Bataclan sei als Tempel des Hedonismus angegriffen worden – es sei ein Ort der „lasterhaften Party der Prostitution"(“profligate prostitution party“). Dass das Bataclan ein sehr offener Ort war, an dem etwa auch muslimische Rapper auftraten, legt nahe, dass der Beschuss des Clubs ein symbolischer Angriff auf die westliche Unterhaltungs- und Populärkultur generell war.

Der jüdische Inhaber des attackierten Cafés La Belle Equipe verlor seine Frau bei den Angriffen – sie war tunesische Muslimin.

Ungelegen kam es den Attentätern dabei sicher nicht, dass sie auch ins Herz eines Viertels trafen, in dem es viele jüdisch geprägte Cafés und Restaurants gibt. Der jüdische Inhaber des attackierten Cafés La Belle Equipe verlor seine Frau bei den Angriffen – sie war tunesische Muslimin.

Zahlreiche Musiker, die im Bataclan aufgetreten waren, brachten ihre Fassungslosigkeit zum Ausdruck: „Es ist schwer zu verstehen, wie das Bataclan von einem Ort des Vergnügens, wie ich ihn kannte zu … so etwas werden konnte“, schrieb etwa Alex Kapranos von der britischen Band Franz Ferdinand.

Mit dem britischen Merchandise-Mann Nick Alexander ist mindestens eine den Eagles Of Death Metal nahestehende Person von den Schüssen getötet worden. Alexander, der 36-jährig starb, war ein in der Rock- und Popszene beliebter und bekannter Tourbegleiter, der unter anderem schon mit den Black Keys oder MGMT auf Tour war. Derweil haben britische Musikfans dazu aufgerufen, den Song „Save a Prayer“ von den Eagles Of Death Metal in den Charts nach oben zu bringen – im Übrigen eine Coverversion des Duran Duran-Hits von 1982. Zumindest in den iTunes-Rock-Charts in Frankreich, Deutschland und Großbritannien steht die Band schon auf Platz 1.

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