Erwachsenenbildung für Flüchtlinge: Schule schlägt Volkshochschule

Viele Lehrkräfte von Volkshochschulen wechseln wegen besserer Bezahlung an Schulen – dann aber fehlen sie in Deutschkursen für erwachsene Flüchtlinge.

Flüchtlinge in einem Deutschkurs machen sich Notizen

Deutschkurs für Flüchtlinge in Niedersachsen. Foto: dpa

BERLIN taz | Pensionierte Hamburger GymnasiallehrerInnen haben vor Kurzem einen Brief von der Schulbehörde bekommen. Betreff: „Temporäre Unterstürzung und personeller Mehrbedarf im Flüchtlingsbereich“. Die Lehrer sollten jedoch nicht, wie zu erwarten, unbedingt als Lehrer an Schulen einspringen. Sondern als Sachbearbeiter, etwa im Ausländerrecht. „Das ist wenig attraktiv“, schimpft Karl Bergmann. Er fühlt sich unter Wert verkauft. „Da helfe ich lieber ehrenamtlich, in einem Bereich, für den ich qualifiziert bin.“ Damit meint der pensionierte Berufsschullehrer: Laien das Unterrichten beibringen.

Ehrenamtliches Engagement ist dieser Tage gefragt. In Kommunen und Flüchtlingsheimen ist der Bedarf an Ehrenamtlichen groß, die erwachsenen Flüchtlingen Deutsch beibringen. Auch deshalb, weil es an qualifizierten LehrerInnen mangelt.

Das spüren derzeit auch die Volkshochschulen (VHS), die bundesweit Hauptanbieter von Erstsprachkursen und Integrationskursen für Erwachsene mit Migrationshintergrund sind. Seit Monaten verzeichnen sie eine Abwanderung von Lehrkräften in den Schulbereich, wo sie besser bezahlt werden. Schon im September warnte der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV), dass Deutsch- und Integrationskurse „nahezu aller Volkshochschulen“ ausgelastet seien. Warteschlangen und -listen seien an der Tagesordnung.

Die Nachfrage dürfte jedoch erheblich steigen. Ab November sollen erstmals auch Geduldete und Asylsuchende mit hoher Bleibeperspektive die Integrationskurse besuchen dürfen. Ein entsprechendes Gesetz hat die Bundesregierung vergangene Woche durchs Parlament gebracht. Die Volkshochschulen gehen davon aus, dass sich der Bedarf im kommenden Jahr verdoppeln wird – auf 370.000 bis 400.000 Kursteilnehmer. Rund die Hälfte der neuen Kurse wird die Bundesagentur für Arbeit (BA) finanzieren.

Mit der Verdopplung der Kurse dürfte sich die Personalsituation weiter zuspitzen, sagt DVV-Verbandsdirektor Ulrich Aengenvoort: „Für nächstes Jahr haben wir nicht genügend Lehrpersonal.“ Um der akuten Personalnot zu begegnen, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Anforderungen für Sprachlehrkräfte herabgesetzt. Nicht nur Deutschlehrkräfte, auch SozialpädagogInnen, ÜbersetzerInnen oder ausländische Lehrkräfte können zugelassen werden. Und sie können direkt unterrichten, auch wenn sie die Zusatzqualifikation „Deutsch als Fremdsprache“ oder „Deutsch als Zweitsprache“ noch nicht haben. Die Sofortmaßnahme gilt vorerst bis Ende 2016.

Qualität oder schnelle Hilfe?

Die Volkshochschulen betrachten diese Absenkung der Standards mit gemischten Gefühlen: „Aus meiner Sicht ist das eine Gratwanderung“, sagt Verbandsdirektor Aengenvoort. „Einerseits stehen Hochschulen für Qualität. Andererseits wollen wir schnell Hilfe leisten.“

Nach Angaben des Bamf zeigt die Maßnahme nach dem ersten Monat bereits Wirkung. Bis zu 3.000 weitere Lehrkräfte will das Amt bis Jahresende zulassen, heißt es auf Anfrage. Dass diese Anzahl nicht genügen wird, um ausreichend Sprachkurse für erwachsene Flüchtlinge anzubieten, ist auch den Bundesländern bewusst. Die Ministerien überlegen, wie auch sie zusätzliche Deutschkurse bereitstellen können. Das sächsische Integrationsministerium will bis Ende Oktober einen Plan vorlegen. Niedersachsen hat 5 Millionen Euro bereitgestellt, um in den Landkreisen Sprachkurse für Erwachsene zu ermöglichen. Nordrhein-Westfalen hat soeben 900 weitere „Deutsch als Zweitsprache“-Förderstellen geschaffen.

Ohne Ehrenamtliche wird es aber nicht gehen. Deshalb unterstützen sie die Länder auch: In Niedersachsen gibt es einen „Freiwilligenserver“, auf dem Engagierte nach Anlaufstellen und Fortbildungsmöglichkeiten suchen können. In Rheinland-Pfalz hat das Integrationsministerium eine Koordinierungsstelle eingerichtet. In Hamburg gibt eine telefonische Flüchtlings-Beratungsstelle – für Helfer. Der pensionierte Berufsschullehrer Bergmann braucht sie vorerst nicht. Er will in seiner alten Schule nachfragen, ob sie Unterstützung benötigt.

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