Nachhaltiges Wohnhausmodell: Ein teures Heim für Aussteiger

In Süddeutschland entsteht das erste Ökohaus aus Müll. Hinter dem Projekt steckt eine findige Marketingidee.

Ein Earthship-Haus in New Mexiko

Das Luxushaus aus Müll ist optisch gewöhnungsbedürftig. Foto: imago/ United Archives International

BERLIN taz | Ein Acker, ein Erdwall, ein Haufen Autoreifen – so sah es noch vor zwei Wochen auf der Baustelle aus. Jetzt steht in Kreßberg bei Schwäbisch-Hall ein halbfertiger Bungalow. Genauer: ein Earthship, ein Ökohaus aus Müll. Es soll die Versorgungseinheit im Aussteiger-Dorf Tempelhof werden. 28 Menschen, Erwachsene und Kinder, wollen rundherum in Bauwagen leben. Am Haus sind bereits Holzrahmen für eine elegante Fensterfront angebracht – die spätere Heizung. Es soll die einzige für alle Bewohner sein.

Funktioniert so etwas? „Hoffentlich“, sagt Stefanie Raysz von der Initiative Earthship Tempelhof, die den Bau koordiniert. „Wir fanden, wir sollten es ausprobieren, sonst macht es am Ende niemand.“ Die experimentelle Haltung teilen 50 Freiwillige, die aus der ganzen Welt gekommen sind. Sie wuseln im Staub oder waten im Matsch, stapeln Autoreifen, vernageln Balken und puzzeln aus Flaschenböden Buntglasfenster. In zwei Wochen soll das Haus bezugsfertig sein.

Das Hickhack um die Energiewende, die fehlende Schlagkraft der Mietpreisbremse – wer auf Fortschritte in Sachen nachhaltiges und bezahlbares Wohnen wartet, ist schnell frustriert. In diese Kerbe schlagen Aussteigermodelle. Ihre Devise: Raus aus dem System. Ihr Stichwort: „Off the grid“, also abseits der zentralen Wasser-, Strom- und Wärmeversorgung.

Ähnlich wie beim Passivhaus ist beim Earthship die Dämmung zentral. Was es an Wärme aufnimmt – durch seine verglaste Südseite – soll es speichern und so jede Heizung überflüssig machen. Dazu kommen Photovoltaikmodule und ein eigenes Wasserfiltersystem. Das Besondere ist, dass Earthships aus Abfall gebaut werden. Billig ist das nicht: Die TempelhoferInnen rechnen mit 300.000 Euro Gesamtkosten. Sie hoffen, später Betriebskosten zu sparen.

Ein Haus für Hartgesottene

Das Modell ist ein Produkt der US-Firma Earthship Biotecture um den Ökohaus-Guru Mike Reynolds. Der Architekt genießt Popstar-Status in der Off-Grid-Szene. Seine Häuser, optisch zwischen Raumschiff und Hobbithöhle, bilden Siedlungen in der Wüste New Mexicos. Auch in Europa ist der Hype angekommen. Die Ökohäuser stehen unter anderem in Großbritannien, Spanien und Frankreich – das Earthship Tempelhof wird das erste in Deutschland sein.

Ähnlich wie beim Passivhaus ist beim Earthship die ­Dämmung zentral

Reynolds inszeniert sich als Visionär, ist aber vor allem Marketingstratege. Für die Baupläne berechnet Earthship Biotecture 8.000 Dollar. Dazu kommen Kosten für Ortsbegehungen und Workshops. Reynolds‘Firma hat auch einen schicken Onlineshop mit Ratgebern und DVDs.

Aber kann man mit Glasfenstern tatsächlich heizen, wenn wochenlang keine Sonne scheint? „Man muss wahrscheinlich seine Ansprüche runterschrauben“, sagt Kenneth Ip, Leiter des Centre for Sustainability of the Built Environment an der Universität Brighton. In der Stadt steht ein Earthship, das Ip untersucht hat. „Sie müssen hinnehmen, dass es schon mal sehr heiß oder sehr kalt werden kann.“ Damit eignet sich das Earthship mehr für Hartgesottene und weniger für jene, die sich konstante Raumtemperaturen wünschen. Das sieht auch die Initiative Tempelhof ein: „Wir überlegen, doch einen Ofen einzubauen“, sagt Raysz.

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Ob dort am Ende ein ganzjährig bewohnbares Haus ohne laufende Kosten stehen wird, ist also zweifelhaft. Forscher Kenneth Ip findet das aber nicht wichtig: „Es kommt darauf an, Materialien und Bauweisen auszuprobieren, die dann vielleicht im konventionellen Bau übernommen werden.“ Fragen sollte man sich aber, ob TüftlerInnen dafür extra ein Patent aus den USA einkaufen müssen.

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