Eröffnungstag der Frankfurter Buchmesse: Alles Bali oder was?

Meinungsfreiheit und Menschenrechte stehen dieses Jahr im Fokus der Buchmesse. Der Auftritt des indonesischen Kulturministers indes irritierte.

Indonesiens Kulturminister Anies Baswedan, seine Amtskollegin Monika Grütters und mehrere Mädchen im Sarong

Indonesiens Kulturminister Anies Baswedan, seine Amtskollegin Monika Grütters und die Sarong-Mädchen. Foto: dpa

FRANKFURT/MAIN taz | Diese Buchmesse soll, will und wird politisch sein. Dominierten die letzten Jahre eher brancheninterne Themen die Setzung der Frankfurter Buchmesse – „Gefährdet Amazon den Sortimentsbuchhandel?“, „Verdrängen die digitalen Medien die papierne Buchkultur?“ –, so stehen im Jahr des Attentats auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo sowie der Flüchtlingsströme aus Syrien Meinungsfreiheit und Menschenrechte im Fokus.

Von Mittwoch bis Sonntag werden 280.000 Besucher undBesucherinnen zur größten Buchmesse der Welt erwartet, und da will man entschieden für Toleranz und das freie Wort werben. Messedirektor Juergen Boos sprach am Dienstagabend bei der Eröffnungsfeier angesichts der neuen Herausforderungen (Flüchtlinge, Islam) von zuweilen „in Angst erstickenden“ westlichen Gesellschaften.

Er zitierte Salman Rushdie, den die Buchmesse am Vortag als Keynote-Sprecher eingeladen hatte. Rushdies Anwesenheit in Frankfurt hatte zum Rückzug des Iran von der Messe geführt. Das Mullah-Regime in Teheran hält an seiner Fatwa gegen den britisch-indischen Autor der „Satanischen Verse“ fest.

So überzeugend Boos‘ Engagement insgesamt ist, so schematisch klang manches in seiner Rede. Der Messechef bemängelt, dass es angesichts des Siegeszugs des globalen Kapitalismus an „konkreten Utopien“ und Gesellschaftsalternativen fehle. Denn vor allem durch diese könne man „schwärmerische junge Menschen“ vor dem Abgleiten in den politischen Islam bewahren.

Aber geht es wirklich darum, in einer Zeit, in der die demokratischen Kräfte der Arabellion längst eine Alternative formuliert haben, derentwegen sie überall von Islamisten, Diktatoren und russischen Raketen zusammengeschossen werden? Die meisten im Nahen Osten würden gerne in einer demokratisch-kapitalistischen Gesellschaft leben.

Die Veranstaltung: Die Frankfurter Buchmesse ist der weltgrößte Treff der Branche. Bei der diesjährigen 67. Ausgabe sind mehr als 7.000 Aussteller aus rund 100 Ländern anwesend.

Gastland: Indonesien.

Zeitraum: 14.–18.Oktober; am 17. und 18. Oktober öffnet die Messe auch für Privatbesucher. Samstag 9 bis 18.30 Uhr, Sonntag 9 bis 17.30 Uhr.

Eintritt: Für Privatbesucher kostet die Tageskarte zwischen 12 und 18 Euro.

Blog: Margarete Stokowski bloggt für die taz von der Buchmesse

Auch Staatsministerin Monika Grütters von der CDU ging in ihrer Rede auf Salman Rushdie und die Bedeutung der Meinungsfreiheit ein. Sie begrüßte dabei das diesjährige Gastland der Messe, Indonesien, das die größte islamische Bevölkerung der Welt repräsentiert und sich seit 1998 zur Demokratie entwickelt hat. Grütters nannte Indonesien als leuchtendes Beispiel für die mögliche Vereinbarkeit von Islam und Demokratie. Die Merkelfrau schien jedoch darauf bedacht, vor allem in der Flüchtlingsfrage den Konservativen in ihrer Partei nur ja keine Nahrung zu liefern. „Asyl – ja. Preisgabe unserer Werte – nein“.

Indonesien als Vorbild für Europa

Dass in Indonesien nicht alles Bali ist, war dann der Rede von Anies Rasyid Baswedan zu entnehmen. Der Bildungs- und Kultusminister des indonesischen Inselstaates empfahl sein Land Europa als Vorbild in Sachen Pluralität und Meinungsfreiheit. Seit der 1945 ausgerufenen Unabhängigkeit, so Baswedan, habe man eine Erfolgsgeschichte hingelegt, nicht nur eine einheitliche Landessprache geschaffen. Die Alphabetisierungsrate betrug 1945 5 Prozent, heute liegt sie bei 95 Prozent.

Das mag alles stimmen. Dass Baswedan die Massaker bei der Etablierung der Suharto-Diktatur 1965/66 (etwa eine Million Opfer) als eine kurzfristige „Störung“ bagatellisierte, diskreditiert ihn. Von der sozialen und juristischen Fortdauer der „Störung“ könnten ihm viele der in Frankfurt vertretenen SchriftstellerInnen seines Landes erzählen, da sie diese in ihren Werken auch thematisieren. Auch von den Sorgen, die die Akzeptanz der Scharia im Teilstaat Aceh vielen IndonesierInnen bereitet und von denen der Minister schwieg.

Vielleicht war Monika Grütters ob der Ungereimtheiten beim anschließenden Fotoshooting mit Minister Baswedan und indonesisch singendem Kinderchor auch so neugierig. Jedenfalls fragte sie die niedlichen, in Sarongs gekleideten Kindersänger und -sängerinnen, wer sie denn seien. Nein, es war kein aus Jakarta eigens eingeflogenes Oberschichtenluxusensemble. Hier sang auf Indonesisch der deutsch-asiatisch zusammengemixte Kinderchor der Migration von hier.

Hohe Kunst war auch, wie Endah Laras ein altes javanisches Gedicht in Frankfurt in Originalsprache vortrug. Die noch höhere Kunst bestand aber vielleicht darin, dieses Gedicht auszuwählen, wie Goenawan Mohamad es tat, um so als literarischer Redner des Gastlands Indonesien durch eine Parabel auf die Grenzen von Macht, Politik und Religion zu sprechen zu kommen. So geht Politik auf einer Literaturmesse.

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