„Angekommen – Flüchtlinge erzählen“: Wer ich gerade bin, weiß ich nicht

An meine letzten Tage in Syrien will ich mich nicht erinnern. Mein Damaskus war so traurig. Ich erkannte meine Heimat nicht mehr.

Menschenmassen zwischen zerstörten Häusern

Die Freiheit wurde ein furchtbarer Krieg, der alles zerstörte. – Essenausgabe der UN in Damaskus im Februar 2014. Foto: United Nation Relief and Works Agency/dpa

Deutschland war immer der Traum, das Ziel. Als wir Studenten waren, als unsere Träume so groß wie die Welt waren, wollten wir unser Medizinstudium in Deutschland abschließen. Keiner von uns hatte erwartet, dass Traum Notwendigkeit werden würde.

Bei der ersten Demonstration an unserer Universität war die Hoffnung auf Freiheit so stark, die Hoffnung, endlich unsere Meinungen ohne Angst äußern zu können, unser Land zu entwickeln, unser Lernsystem zu verbessern. Dann bräuchten wir nicht mehr auszuwandern!

Was für naive Ideen wir hatten. Der Traum wurde ein Albtraum. Die Freiheit wurde ein furchtbarer Krieg, der alles zerstörte.

An meine letzten Tage in Syrien kann ich mich nicht mehr erinnern. Will ich auch nicht. Ich erkannte die Stadt nicht wieder. Mein Damaskus, die Stadt der Liebe, die Heimat des Jasmins, war so blass, so traurig und die Menschen waren deprimiert. Ich erkannte meine Heimat nicht mehr und hatte, ja ich habe immer noch, das Gefühl, dass wir alle schuld daran sind.

Ich hatte Glück. Mein Vater arbeitet in Dubai und konnte meine Reise nach Deutschland bezahlen. Ich beantragte das Visum. Ich lernte Deutsch. Und wartete. Acht Monate wartete ich. Irgendein Beamter in der Botschaft hatte vergessen, meine Unterlagen nach Deutschland zu schicken. Dieser Beamte und die böse Frau auf der Ausländerbehörde: Das waren meine ersten Eindrücke von diesem Land.

Das Nächste, was mir auffiel, waren die nummerierten Bäume. Jeder Baum hat eine Nummer, einen Ausweis, damit man ihn schützen kann. Die Bäume in Deutschland, habe ich gelernt, haben einen besseren Schutz als die Menschen in Syrien.

In einer 16-teiligen Serie haben wir Flüchtlinge gebeten, uns das zu erzählen, was ihnen jetzt gerade wichtig ist. Wie erleben sie Deutschland, worauf hoffen sie, wie sieht ihr Alltag aus? In ihren Ländern waren sie Journalisten, Autoren, Künstler. Sie mussten Syrien verlassen, Russland, Aserbaidschan oder Libyen. Jetzt sind sie in Deutschland. Was sie zu sagen haben, lesen Sie im Oktober täglich auf taz.de. Alle Geschichten gebündelt gibt es in der taz.am wochenende vom 2./3./4. Oktober, erhältlich am eKiosk.

Von meinem ersten Jahr in Berlin kann ich viele Geschichten erzählen. Die Hauptsache für mich ist, dass ich hier eine zweite Chance bekam. Im nächsten Monat werde ich mein Medizinstudium weiterführen. Ich bin an das schöne einfache Leben hier gewöhnt. Ich habe nette Freunde. Eine liebe Gastfamilie.

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Aber ich vermisse meine Heimat, meine Sprache, meine Familie, meine Freunde, unsere liebevollen Beziehungen. Ich bräuchte ein Jahr, um die neue Sprache zu lernen. Doch ich brauche viele Jahre, um eine Balance zwischen meinem alten und meinem neuen Leben finden zu können. Wer ich gerade bin, weiß ich nicht genau.

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Die Person: Die 25-jährige Medizinstudentin Douaa Nabwani musste ihr Studium an der Universität Aleppo wegen des Krieges im vierten Jahr abbrechen. Sie zog zu ihrem Vater nach Dubai und lernte Deutsch. Im Frühjahr 2014 kam Douaa Nabwani mit einem Studentenvisum nach Berlin.

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