Kulturbrücke: Nicht nur Flüchtlinge

Syrische Musiker gründen ein Auslandsorchester. Es will die Vielfalt und Schönheit der arabischen Kultur zeigen.

Aus dem ganzen Land zusammengetrommelt: die MusikerInnen des Syrian Expat Philharmonic Orchestra. Foto: Nikolai Wolff

BREMEN taz | Da ist dieser Augenblick in der kurzfristig anberaumten Pressekonferenz des Syrian Expat Philharmonic Orchestra am Samstag in der Musikschule Walle. Eigentlich hätten sie alle Wichtigeres zu tun: proben nämlich. Denn erst heute sind die Musiker zusammengekommen, um ein Konzertprogramm zu erarbeiten, das schon am Dienstag aufgeführt wird, im längst ausverkauften Sendesaal. Aber die Presse will vieles wissen, unter anderem, wie alt Raed Jazbeh ist, der dieses Projekt ins Leben gerufen hat. Aber da, lächelt er, hätten sie keine Chance.

Flüchtlingsschicksale – ob es die gebe? Ja, eine Harfenistin, die erst vor drei Wochen in Deutschland angekommen ist und vor einem Jahr von Damaskus über die Türkei und das Mittelmeer nach Griechenland reiste, erzählt Jazbeh. Er, der so sanft und humorvoll alle Fragen über sich ergehen lässt, wird dann aber auf einmal sehr bestimmt. Es handele sich bei dem Orchester eben nicht um ein Flüchtlingsorchester, auch wenn einige Flüchtlinge dabei sind. Ein großes deutsches Nachrichtenportal hatte getitelt: „Flüchtlinge: Syrische Musiker gründen Exil-Orchester“. Weil das mehr Klicks bedeutet? Oder weil beim Thema Syrien heute jeder reflexartig sofort an Flüchtlinge denkt? Allerdings heißt die Formation eben Syrian Expat Philharmonic Orchestra – und ein Expat ist nun einmal nicht gleich ein Refugee, sondern jeder und jede, der oder die in einem anderen Land fern der Heimat lebt.

Einige Mitglieder des Orchesters sind schon vor dem Krieg nach Europa gekommen, um hier zu studieren oder zu arbeiten. Andere sind in den letzten Jahren ganz regulär mit einem Visum eingereist, wie Jazbeh selbst. Vor zwei Jahren wurde er für ein Konzert in Berlin eingeladen, zog später nach Bremen, das er bei einem Konzert 2011 in der Glocke kennen und lieben lernte. „I am lucky“, sagt er und wünscht sich, dass Syrer grundsätzlich regulär mit Visum einreisen können.

Aber nun tun sie erst einmal und endlich das, was sie gelernt haben: Musik machen. Die meisten von ihnen kennen sich schon lange, aus der Musikhochschule in Damaskus, wo sie studiert haben. Über die viel gescholtenen sozialen Netzwerke haben sie im Exil Kontakt gehalten.

Auf diesem Weg hat Jazbeh sie aus ganz Deutschland und darüber hinaus zusammengetrommelt für dieses Orchester, das nach dem Auftritt in Bremen noch einen weiteren am 3. Oktober in Hitzacker hat. Was dann kommt, weiß niemand. Jazbeh hofft, dass über die Medienaufmerksamkeit Sponsoren gewonnen werden können, die das Expat Orchestra so weit unterstützen, dass eine kontinuierliche Arbeit möglich ist.

Dank der schnellen Hilfe des Bremer Rats für Integration kam immerhin das Geld für die Unterbringung und Verpflegung zusammen. Die Bremer Musikschule stellt Proberäume und Instrumente, der Verein der Freunde des Sendesaals überließ dem Orchester seinen Saal, Gastfamilien bringen die Musikerinnen und Musiker, die nicht in Bremen leben, unter. Nur Gagen gibt es nicht, sie arbeiten ehrenamtlich. Aber immerhin können sie arbeiten.

Entsprechend gut ist die Stimmung bei der ersten Probe dieses Orchesters, das allerdings am Samstag noch nicht vollständig ist. Einige der rund 50 Orchestermitglieder sind noch auf dem Weg nach Bremen, als Martin Lentz nach der Pressekonferenz den Taktstock in die Hand nimmt. Und weil nicht alle Positionen besetzt werden konnten, sind Kollegen aus anderen Bremer Orchestern eingesprungen. Der Mendelssohn-Bartholdy hakelt noch ein wenig. Seine Ouvertüre zum Singspiel „Heimkehr aus der Fremde“ ist eines der Stücke der europäischen Tradition, die am Dienstagabend neben Werken zeitgenössischer syrischer und algerischer Komponisten auf dem Programm stehen.

Diese dürften den westlichen Kollegen fremder sein als die europäische Klassik den syrischen Musikern und Musikerinnen. Denn zu deren Ausbildung gehört auch die westliche Musik. Andersherum hat sich das noch nicht so eingebürgert. Die Vielfalt, aber auch die Schönheit der syrischen Kultur zu zeigen, ist Jazbeh ein zentrales Anliegen – ein Gegenbild zu Tod und Blut und Krieg. „Die Menschen hier wissen ja nicht viel über unsere Kultur“, sagt er.

Lentz, der schon in Ramallah mit palästinensischen Musikern arbeitete und Jazbeh seit zwei Jahren kennt, erläutert: „Die arabische Musik funktioniert vor allem über die Melodie mit ganz eigenen Skalen und den Rhythmus.“ Die harmonische Sprache sei dagegen weniger ausgeprägt. Jazbeh deutet zudem eine weniger ausgeprägte Abgrenzung klassischer Musik zu Jazz und traditionellen und populären Spielweisen an. Die Kompositionen, die er ausgewählt hat, decken ein breites Spektrum ab.

In so kurzer Zeit ein so gemischtes Orchester zusammenzuschweißen, das bedeutet auch deshalb eine Menge Arbeit. „Das ist wie bei einer Fußballmannschaft“, sagt Lentz. Die Musiker müssten sich erst aufeinander einspielen.

Aber der Dirigent ist optimistisch. Dass es bei einer derart kurzen Probezeit und einem so jungen Klangkörper noch nicht um die interpretatorischen Tiefen gehen kann, ist ihm aber klar. „Ich sehe mich vor allem als Organisator der musikalischen Strömungen“, sagt er. Und er hoffe, dabei auch selbst etwas zu lernen.

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