Vor der Wahl in der Türkei: Erdoğan will seine Macht halten

Laut Umfragen wird die AKP bei der Neuwahl erneut keine Regierungsmehrheit erhalten. Präsident Erdoğan macht ordentlich Wahlkampf.

Der türkische Staatspräsident Erdoğan

Ist zu Neutralität verpflichtet: der türkische Staatspräsident Erdoğan. Foto: reuters

ISTANBUL taz | Vor wenigen Tagen hat Staatspräsident Erdoğan die Türken erneut dazu aufgerufen, die Regierungspartei AKP zu wählen, und damit wieder gegen die Verfassung verstoßen. Die Bürger, sagte Erdoğan bei einer Rede, sollten sich am 1. November zu einer Entscheidung durchringen, um so die Unruhen zu beenden. Zwar nannte er nicht den Namen der Partei, aber natürlich meinte er die AKP. In derselben Rede bezichtigte er erneut die HDP, die PKK zu unterstützen.

Damit führte er fort, was er seit Monaten schon macht: Als Staatspräsident eigentlich zur Neutralität verpflichtet, war er vor den Parlamentswahlen vom 7. Juni über Wochen hinweg täglich auf Tour, um für die AKP zu werben und gegen die Kurden zu ätzen.

Doch trotz Erdoğans unermüdlichen Wahlkampfs verlor die AKP die absolute Mehrheit, und die prokurdische HDP schaffte mit 13 Prozent den Einzug ins Parlament. Wochenlange Koalitionsgespräche scheiterten; bis zu den Neuwahlen am 1. November regelt nun eine Übergangsregierung die Staatsgeschäfte.

Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Metropoll zufolge wird die AKP bei der Neuwahl erneut keine Regierungsmehrheit erhalten. Die Umfrage kommt gar zu dem Ergebnis, dass nicht die AKP, sondern die HDP als eigentlicher Gewinner aus der Wahl hervorgehen könnte. Denn laut Metropoll wird die AKP 41,7 Prozent der Stimmen holen und damit nur minimal zulegen gegenüber den knapp 40,9 Prozent bei der letzten Parlamentswahl vom Juni. Die HDP, so Metropoll, legt zu und wird nun sogar 14,7 Prozent der Stimmen erhalten.

Unmittelbar nach der Wahlschlappe im Juni hatte Erdoğan begonnen, die kleine Oppositionspartei zu kriminalisieren und in die Nähe des Terrorismus zu rücken.

Keine Rede mehr vom Friedensprozess

Nach dem Terroranschlag in der türkisch-syrischen Grenzstadt Suruç am 20. Juli begann Ankara damit, Stellungen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im Nordirak und der PKK zu bombardieren. Die kurdischen Rebellen schlagen zurück, im Osten der Türkei herrscht seitdem der Ausnahmezustand. Von einem Friedensprozess ist keine Rede mehr. In dieser Atmosphäre der Gewalt sei es nicht möglich, im Südosten des Landes einen Wahlkampf zu führen, kritisiert HDP-Chef Demirtaş.

Die Angriffe gegen die PKK und die HDP sehen Beobachter als ein Manöver, mit dem Erdoğannach dem herben Dämpfer vom Juni bei den Neuwahlen doch noch mit der AKP eine satte Mehrheit erreichen kann. Für die einen handelt Ankara in Notwehr und verteidigt die Republik gegen die PKK.

Für die anderen ist der blutige Konflikt und der von Erdoğan auf Eis gelegte Friedensprozess mit den Kurden nichts anderes als Wahlkampf, um der AKP eine Zweidrittelmehrheit zu bescheren. Mit einem zweiten Anlauf zur Schaffung eines Präsidialsystems will er seine innenpolitische Machtbasis festigen.

Der HDP-Parlamentarier Mithat Sancar ist dennoch zuversichtlich. „Ich nehme an, dass wir bei den nächsten Wahlen 17 Prozent holen werden“, sagte er kürzlich auf CNN-Türk. Die Moderatorin fragte angesichts der Schätzung sichtlich irritiert, ob er dies tatsächlich glaube. Sancar lächelte und antwortete: „Niemand hat geglaubt, dass wir die 10 Prozent holen würden, an 13 Prozent hatte überhaupt niemand gedacht. Die 17 Prozent halte ich für realistisch.“

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