Wo die Schlüpper wegfliegen

PARTY-POP Feiern um jeden Preis: Culcha Candela wollen mit dem neuen Album, „Candelistan“, an glorreiche Zeiten anknüpfen

Was man so gehört hat, soll Berlin ja zu den beliebtesten Party-Metropolen weltweit zählen. Irgendwo zwischen Ibiza und Ballermann hat die Stadt ihren Platz gefunden. Und wenn das tatsächlich so sein sollte, dann ist – sehen wir der Wahrheit ins Auge – wohl Culcha Candela die Band zur Stadt. Denn keine andere Berliner Formation propagiert in ihren Songs so ausdauernd, ausgiebig und ausnahmslos die Feierei.

Trotzdem war die Multikulti-Truppe zuletzt etwas in Vergessenheit geraten. Zwei Jahre lag die Band auf Eis, das letzte Album datiert sogar von 2011. In der Zwischenzeit reüssierten einzelne Bandmitglieder als Casting-Show-Juroren oder scheiterten mit dem Versuch, Solokarrieren zu lancieren.

Mit „Candelistan“ versuchen Culcha Candela nun an die vergangenen glorreichen Zeiten anzuknüpfen. Zwar hat man die ursprünglich siebenköpfige Besetzung zum Quartett abgespeckt, aber sonst ist alles beim Alten: Schon im Auftaktlied wird der Zuhörer auf die Tanzfläche geschubst, die Aufforderung „Sag all deinen Sorgen Bye-Bye“ im Rücken.

So geht es fröhlich weiter. „Alle gehen steil wie an Silvester“, versprechen Culcha Candela, „wir feiern ohne Punkt und Komma.“ Sie suchen „positive Energie“ und propagieren „Siesta Forever“. Wenn es nach ihnen geht, löst die ewige Party gar drängende Weltprobleme: „Christen, Juden, Hindus, Moslems sind endlich beste Freunde.“

Kurz, diese Band kennt nur ein Thema: die Party, deren Begleitumstände und Folgen. So gesehen könnte man „Candelistan“ fast als Konzeptalbum lesen. Systematisch werden alle Aspekte des Themas durchdekliniert: Das weibliche Geschlecht, die im Song „Schöne Frauen“ gewürdigt werden, unterstützende Substanzen („Lass ma einen bauen“), strukturierende Rhythmen („Ohne Musik hat mein Leben keinen Groove“) und knifflige Bekleidungsfragen („Die Schlüpper fliegen weg“).

Außer Party nicht viel los

Diese, nennen wir sie mal: Inhalte werden zwar vorgetragen in verschiedenen Sprachen von Deutsch über Englisch bis Spanisch, mal gesungen, mal gerappt, sie werden unterlegt mit lateinamerikanischen Klängen oder Electro-Beats, mal schneller und mal langsamer, aber offenbaren auf Dauer dann aber doch eine erschreckende Eindimensionalität.

In der Welt von Culcha Candela ist das Leben zwar eine ewige Party, sonst aber nicht viel los. Ja, um genug Zeit zum Feiern zu haben, empfehlen Culcha Candela gleich in mehreren Songs, jedwede störende Erwerbsarbeit doch einfach aufzugeben. Ihr Heilsversprechen: „Ich lass mich nicht stressen, das könnt ihr vergessen/ Ich mach easy, egal was passiert.“

Doch diese Diktatur des gnadenlosen Hedonismus kennt keine Ironie, selbst wenn die eigene „Traumwelt“ besungen wird. „Weck mich nicht auf“, flehen sie dann.

Das grenzenlose Vertrauen in die Macht des Amüsements stößt immerhin nach 13 Songs an seine Grenzen. Im allerletzten Stück, „Zeiten ändern sich“, wollen Culcha Candela dann doch noch eine Botschaft unters Partyvolk bringen. Sie rufen die Revolution aus, brechen eine Lanze für „gewaltlosen Widerstand“ und behaupten: „Noch haben wir Zeit, was zu ändern.“ Wenn also die große, endlose Party doch mal vorbei sein sollte, wenn der Kater ausgenüchtert ist und der letzte Beat verklungen, dann retten Culcha Candela die Welt. Vielleicht. Thomas Winkler

Culcha Candela: „Candelistan“ (Warner)

Live am 11. 11. in der Columbiahalle