„Es ist so traurig“: Bettina Stauch in ihrem leeren Laden Bannat in der Lietzenburger Straße Foto: David Oliveria

Die Kundin will verführt werden

Shopping I Die Lage ist ernst für den Einzelhandel in dieser Stadt. Die einzige Chance im Kampf gegen den Onlinehandel: Individuelle Beratung und die Verwandlung des Einkaufs in ein Erlebnis, sagt auch Caroline Kratzsch, Inhaberin von Körpernah, Deutschlands zweitgrößtem Fachgeschäft für Lingerie

von Plutonia Plarre

Das gelbe Schild mit der Kamel-Karawane hängt noch über dem Eingang. Aber der Laden in der Lietzenburger Straße ist leer. Ein Mann Mitte 40 rüttelt an der Tür. Dann sieht er den Zettel: „Liebe Kunden, der Geschäftsbetrieb musste leider eingestellt werden.“ Bannat, Berlin ältestes Fachgeschäft für Globetrotter- und Expeditionsbedarf, gibt es nicht mehr. Gegen die wachsende Konkurrenz auf dem Markt und den E-Commerce hatte die Inhaberin auf Dauer keine Chance (siehe Interview rechts).

Im stationären Einzelhandel ist das kein Einzelfall. Der interaktive Handel verzeichnet 20 Jahre nach Einführung weiterhin große Umsatzsteigerungen. Für die rund 21.000 Geschäfte mit 80.000 Beschäftigten im Berliner Einzelhandel ist das zum Teil eine massive Bedrohung. Der Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, nennt es Herausforderung: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“

Rote Spitzenware

Auf der Vitrine liegt schon die Winterware. Gerade geliefert. Rote Spitzenware eines französischen Dessousherstellers. Zwischen 50 und 200 Euro kosten BHs bei Körpernah. Winterware schon Ende August? Alles gehe immer schneller, sagt Caroline Kratzsch. Viel zu viele Waren würden produziert, die Wertigkeit gehe verloren. Das Netz sei der Vorreiter: „Dort verfallen die Preise immer schneller.“ Die sportliche Frau ist Inhaberin von Deutschlands zweitgrößtem Fachgeschäft für Lingerie.

„Uns geht es gut“, sagt Kratzsch. Angefangen habe alles damit, dass sie im Alter von 18 Jahren auf dem Winterfeldtmarkt in Schöneberg mit großem Erfolg bunt geringelte Strumpfhosen verkauft habe. Sie stieg auf Dessous um. Ihre drei Filialen mit 13 Beschäftigten befinden sich alle in Berlin. Den ersten Laden hat sie vor 25 Jahren in Schönberg aufgemacht, einen zweiten in Zehlendorf. Der dritte in der Uhlandstraße in Charlottenburg existiert erst seit 2013. Kratzsch nennt ihn „Flagshipstore“. Die Mehrzahl der Kundinnen ist gutsituiert.

Gesamtumsatz wächst

Der Gesamtumsatz im deutschen Einzelhandel wächst seit Jahren. Auch in Berlin, das in der Kaufkraft deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Wurden in der Hauptstadt im Handel 2011 noch 12,7 Mil­liarden Euro umgesetzt, waren es 2014 bereits 14,8 Milliarden Euro. Das ändert aber nichts daran: Der stationäre Einzelhandel ist in seinen Grundfesten erschüttert. Das Wachstum wird durch die steigenden Umsätze im Onlinehandel generiert (siehe Grafik rechts oben). Am besten verkaufen sich Textilien, Medien, Unterhaltungselektronik und Computer. Den Läden dagegen gehen die Käufer verloren. Busch-Petersen schätzt den Rückgang seit 2012 auf bis zu 20 Prozent.

Die Kunden kommen zwar noch in die Fachgeschäfte, aber viele wollen sich nur informieren. Sie probieren Jacken an, lassen sich Zelte vorführen, die Technik von Computern erklären. Wenn sie wissen, was sie wollen, fotografieren sie das Preisschild, gehen nach Hause und bestellen zum günstigeren Preis im Internet. Beratungsklau nennt Busch-Petersen das. Es gebe sogar Versuche, die Verkäufer zu erpressen, „online kriege ich es billiger“, erzählt Stefan Najba, bei Verdi Gewerkschaftssekretär für Onlinehandel.

Die Lage ist ernst. „Wir müssen die Leute wieder in die Geschäfte locken“, sagt Busch-Petersen. Läden seien schließlich das Lebenselixier der Städte. Im Zweifelsfall empfiehlt er Beratungshonorare zu kassieren. „Wir haben nichts zu verschenken.“ Der mittelständische Einzelhandel dürfe den Onlinehandel nicht ignorieren, meint Christian Wiesenhütter, Vizegeschäftsführer der Berliner Industrie und Handelskammer. Er mahnt eine „Mehrkanalstrategie“ an: Differenzierung des Angebots, bessere Beratungs- und Serviceleistungen, Schaffung von Einkaufserlebnissen.

Die größten Überlebenschancen hätten Händler, die alles anbieten, meinen einige in der Branche: Eigene Website und Onlineshop neben dem Ladengeschäft seien ein Muss.

David gegen Amazon

Nicht nur, was das betrifft, ist Fotomeyer, ein Fachgeschäft am Victoria-Luise Platz in Schöneberg, breit aufgestellt. Seit 1969 existiert der Laden. Auf 170 Quadratmetern gibt es einen Verkaufsraum, ein Fotostudio und ein Labor. Es gibt eine Website und einen Onlinestore, die Preise sind mit den Ladenpreisen identisch. Es gibt Workshops für die Kundschaft, ein Newsletter, eine Foto-Community ist im Entstehen. „Kundenbindung wird bei uns großgeschrieben“, erzählt Vincent Meyer, Juniorchef des Fami­lien­betriebs mit 27 Angestellten. Der große Mann mit gebräuntem Teint ist Jurist.

Die Umsatzentwicklung beschreibt Mayer als sehr positiv, die Kundenfrequenz nehme sogar zu. „Das ist selten im Einzelhandel.“ Wie schafft man das, angesichts der harten Konkurrenz von Amazon, Saturn und Media Markt? Meyer rührt in seinem Kaffee und lächelt vielsagend.

Margen sinken

„Wir stellen uns dem Preiswettbewerb im Netz.“ Wie bitte? „Wir haben uns dem Preisniveau im Internet angepasst und bieten dazu noch den vollen Service.“ David gegen Amazon? Der amerikanische Onlineversandhändler, berüchtigt für miese Arbeitsbedingungen, ist weltweit der Goliath in der Branche. Wenn er will, unterbietet er alle.

„Unsere Margen sinken, aber der Umsatz steigt“, sagt Meyer. Details verrät er nicht. Nur so viel: In der Berliner Region sei man inzwischen der Marktführer für Fotografie und Video. Zielgruppe sind nicht die Handyfotografen, sondern die Spezialisten. Die Bedienung von hochwertigen Kameras setze Fachwissen voraus, der Beratungsbedarf sei immens. Verkäufer von Elektronikmärkten seien auf dem Gebiet zumeist überfordert, so Meyer. Dagegen seien viele seiner Angestellten selbst Fotografen. Und was die Lieferzeiten betreffe, sei Fotomeyer sogar noch schneller als die große Onlinekonkurrenz. „Wir liefern in Berlin noch am selben Tag“.

Auch Körpernah hat eine eigene Website und einen Onlineshop. „Wir sind gut aufgestellt“, sagt Caroline Kratzsch. Die Dessous kosten das Gleiche wie im Laden. Was also ist der Vorteil? Eigentlich sei das Onlineangebot nur eine Kulanzleistung, verrät sie. Der virtuelle Shop an sich sei überhaupt nicht rentabel.

Bis zu 70 Prozent der Waren, die im Textil- und Wäsche­bereich online geordert wird, werden von den Kunden wieder zurückgeschickt. Bei Körpernah ist das nicht anders als bei Zalando, Deutschlands größtem Onlinehändler für Kleidung und Schuhe, der mit dem Slogan wirbt: „Schrei vor Glück – oder schick’s zurück“. Die sogenannten Retouren müssen ausgepackt, auf Verschmutzungen und Beschädigungen kontrolliert werden. Das kostet. Auch die Großen würden die Rücksendungen inzwischen verfluchen, weiß Verdi-Fachmann Najba.

Hochwertige Qualität, guter Service, individuelle Beratung – so beschreibt Caroline Kratzsch ihr Erfolgsrezept. Die Mehrzahl ihrer Kundinnen seien Mitte 30 aufwärts. Auch Frauen, die aufs Geld schauen müssen, zählt sie dazu. Wer den Unterschied zwischen einem unbequemen und einem gut sitzenden BH kennengelernt habe, kehre in der Regel nicht zu einem billigen zurück, ist ihre Erfahrung. „Über 70 Prozent tragen die falsche BH-Größe, auch deswegen ist es so uneffektiv, online zu kaufen.“ Insbesondere Frauen mit großen Brüsten hätten Probleme, das Richtige zu finden. Die Schöneberger Filiale habe sich deshalb auf besondere Größen spezialisiert. „Bei den Konzernen findet man das nicht.“

„Uns geht es gut“: Caroline Kratzsch in ihrer Körpernah-Filiale in der Uhlandstraße Foto: David Oliveira

Spaß am Spiel

Die Kunst sei, den Kunden zu verführen, sagt Busch-Petersen,. „Der Umsatz lebt von Spontankäufen.“ Die Leute wollten in anderen Welten einkaufen, Kajaks am besten gleich vor Ort ausprobieren. „Action und Unterhaltung, Mystery-Shopping und Ladynights sind gefragt“, sagt auch Stefan Najba von Verdi. „Wer das nicht bekommt, geht online einkaufen.“

Mit der Filiale in der Uhlandstraße habe sie sich ihren Traum erfüllt, erzählt Caroline Kratzsch. Auf 360 Quadratmetern verkauft sie auch Bade­moden, veranstaltet Events und Modenschauen. Es gibt sogar eine Secret-Lounge. Beim Kauf erotischer Dessous kämen selbst die Herren gern mit, erzählt sie. Vor der Anprobekabine stehen Sessel. Es gibt Kaffee, WLAN und einen Kundenparkplatz. „Auch das gehört zum Service.“ Das Credo von Körpernah, „Spaß am Spiel mit der Ver­führung“, zahlt sich tatsächlich aus.

Beratungsklau

Im Unterschied zu Fotomeyer macht sich die junge Generation bei Körpernah eher rar. Die jungen Frauen seien mit dem Netz groß geworden. Wenn sie kämen, dann eigentlich nur, um anzuprobieren und sich beraten zu lassen. „Die Bestellung machen sie dann leider im Netz“, sagt Kratzsch.

Einer Studie des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel von 2013 zufolge dominieren Frauen mit einem Umsatzanteil von 53,4 Prozent den Onlinehandel. Allerdings kaufen sie oft nicht nur für sich, sondern auch für ihre Familie ein.

Eigentlich habe er Wanderschuhe erwerben wollen, verrät der Mann, der vor dem geschlossenen Laden in der Lietzenburger Straße gestrandet ist. Dann werde er sich wohl zur Konkurrenz begeben müssen. Schade, meint er, denn die Beratung bei Bannat sei immer so gut ge­wesen.