Neues aus dem HipHop-Underground: Musik für die Oma

Chefket bringt nach 10 Jahren im HipHop-Underground sein erstes Album raus. Seine Musik sollen die Fans auch ihrer Oma vorspielen können.

Rapper Chefket sitzt mit seinem Spiegelbild am Tisch

Jetzt ist er bei einem Majorlabel gelandet: Rapper Chefket. Foto: Christian Mang

Die Musikindustrie wollte Chefket schon einiges einreden. Manche meinten, er solle seinen Fokus auf den Gesang legen und eine Art türkischer Xavier Naidoo werden. Andere sagten, er solle nur noch rappen, dabei aber eine härtere Sprache verwenden.

Doch der Thirtysomething, der bürgerlich Şevket Dirican heißt, ging unbeirrt seinen Weg zwischen Rap und Soul und präsentiert nun nach über zehn Jahren im HipHop-Untergrund sein Majordebüt: „Nachtmensch“, ein subtil politisches, sehr musikalisches HipHop-Album, ohne Ghetto-Attitüde, ohne moralischen Zeigefinger.

Er sitzt in einem Café in Berlin-Neukölln. „Endlich komme ich mal aus meinem Kiez raus“, sagt Chefket. Gestrandet ist er vor fast zehn Jahren im Wedding, lebt aber inzwischen in Friedrichshain. Er bestellt Cappuccino und nimmt dabei die französische Bedienung auf den Arm. Es ist ihr erster Tag, seine ironisch-charmante Art bringt sie durcheinander. Er ist ein netter Typ, dieser Chefket — aber auch Künstler und Bohemien, durch und durch.

Aufgewachsen ist Chefket in einem Arbeiterviertel von Heidenheim in der baden-württembergischen Provinz, als einziges türkischstämmiges Kind in seiner Klasse. Trotz seines guten Notendurchschnitts in der Grundschule sollte er nach Ansicht seiner Lehrer nicht aufs Gymnasium gehen.

Doch sein Vater erkämpfte ihm die besten Bildungschancen. So bekam Chefket zum ersten Mal Vorurteile und Benachteiligung zu spüren. Erst als Jugendlicher begann er sich mit seinen Wurzeln und der türkischen Geschichte zu befassen. Für ihn waren türkische Werte bis dahin immer positiv besetzt gewesen: Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft, Familienzusammenhalt.

Toiletten putzen

„In Heidenheim war ich in allen Cliquen unterwegs: Ich habe viel mit Älteren abgehangen, mit Punks, aber auch mit Skatern und Türken.“ Irgendwann hörte Chefket bei seiner Schwester ein Album des Rappers Nas. Dadurch eröffnete sich ihm eine neue Sichtweise auf Musik als Mittel zum Geschichtenerzählen. „Das war der Urknall“, sagt er.

Über ein Schulprojekt lernte er andere Musiker kennen und wurde Teil der Funk-Band Nil. Drei Jahre blieb sie zusammen. Sie zerfiel, als sich die Mitglieder nach der Schule über ganz Deutschland verstreuten. Chefket blieb zurück und putze einen Sommer lang Toiletten, um sich einen Computer mit einer gecrackten Musiksoftware zu kaufen. Das darauf entstandene Album verkaufte er auf der Straße und vor den Clubs, in denen er kostenlos auftrat.

Chefket war Anfang 20, als er spürte, dass das Leben in der südwestdeutschen Provinz nicht mehr viel für ihn bereithielt. Über Bekannte landete er in einer WG im Berliner Wedding.

Der Cappuccino kommt. Chefket erklärt, wie er sich in seiner Anfangszeit in Berlin ohne Geld über Wasser gehalten hat: „Du musst nur, wenn du ein türkisches Café betrittst, in möglichst akzentfreiem Türkisch die Worte ‚kolak gelsin‘ sagen, das bedeutet in etwa: ‚Möge dir die Arbeit leichtfallen‘. Dann bekommst du auf jeden Fall schon mal einen Tee umsonst.“

Der junge HipHop-Fan wähnte sich in Berlin plötzlich im subkulturellen Paradies: Graffiti, Partys, Battles und Konzerte. Er tauchte in die Rap-Szene ein, nahm an jedem Freestyle-Wettbewerb teil. Doch schon bald merkte er, dass Battle-Rap nicht sein Genre war. Er wollte seine Gegner nicht unter der Gürtellinie beleidigen, wie es dort üblich war. Chefket rappte nicht aus Lust an der Erniedrigung.

Von seinen Kollegen aus dem Gangsta-Rap wurde Chefket damals, Mitte der Nullerjahre, als harmloser „Conscious-Rapper“ belächelt. „Ich war ja eher ein Paradiesvogel. Manche haben mir geraten, mehr auf meinem türkischen Background herumzureiten. Damit könne man Geld verdienen“, sagt er.

Doch es gab auch Gleichgesinnte: Amewu etwa, ein im Berliner Untergrund gefeierten Rapper mit dezidiert politischer Agenda. Sie wurden ein festes Team auf der Bühne. Chefkets erstes richtiges Album „Einerseits, andererseits“ erschien 2009 über das Berliner Indie-Label Edit Entertainment, bei dem auch Amewu unter Vertrag stand.

Desillusionierung

Chefket hatte gehofft, nach der Veröffentlichung würde sich sein Leben nachhaltig verändern. Doch das Echo auf die Platte verhallte schneller als gedacht, für ihn heute rückblickend „eine große Desillusionierung“. Immerhin sprach ihn auf seiner Release-Party ein junger Rostocker Rapper namens Marteria an und fragte ihn, ob er ihn auf seiner nächsten Tour unterstützen wolle. Dessen Durchbruch stand damals erst noch bevor. Chefket ergriff die Chance, auch wenn das bedeutete, an manchen Abenden als Vorgruppe vor 30 zahlenden Gästen aufzutreten.

In den folgenden Jahren betrachtete Chefket den rasanten Aufstieg seines neuen Freundes aus nächster Nähe. Selbst auf den größten Konzerten und Festival-Gigs räumte Marteria ihm einen prominenten Platz in seiner Show ein: Während Marteria das Outfit wechselte, bekam Chefket die Chance, abertausende Menschen von sich zu überzeugen. „Das war ein Schubs, den ich brauchte“, erklärt er. Ein Schubs, der ihn aber auch so produktiv machte, dass er 2013 genug neues Material aufgenommen hatte, um eine EP und ein Mixtape zu füllen. Er wollte es noch mal wissen.

Das Feedback auf die neuen Songs fiel wohlwollend aus und die Zeit schien richtig, um an einem zweiten Album zu arbeiten. Nur war der musikalische Kompagnon noch nicht gefunden. Der trat schließlich in Form von Farhot in sein Leben.

Der afghanischstämmige, in Hamburg aufgewachsene Produzent hatte sich mit Arbeiten für so unterschiedliche Künstler wie die nigerianische Reggae-Sängerin Nneka oder den Frankfurter Gangsta-Rapper Haftbefehl einen Namen gemacht — vor allem für sein organisches Sounddesign und das Zusammenspiel aus harten HipHop-Drums und glasklaren Melodien. Die beiden Eigenbrötler verstanden sich auf Anhieb und beschlossen, eine Platte zu produzieren.

Aufstieg

„Nachtmensch“ entstand über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren zwischen Berlin und Hamburg. Während Chefket früher Themen wie Politik und Spiritualität recht plakativ in seinen Texten behandelte, sind diese Elemente präzisen Alltagsbeobachtungen und Geschichten gewichen, die ihre Botschaft zwischen den Zeilen transportieren.

Wenn er in „Tanz“ über den Berliner Party-Eskapismus rappt, dann folgt hierauf auch die Frage nach den Ursachen für diese Flucht aus dem bürgerlichen Alltag. Oder er überspitzt seine Sozialkritik in einem Song, in dem er sich die „Vernichtung“ der Menschheit zum Wohle des Planeten wünscht. Chefket nimmt kein Blatt vor den Mund, aber er will auch nicht missionieren.

Vor allem ist Chefket eines wichtig: in seinen Texten „keinen Bullshit zu erzählen.“ Im Gegensatz zu vielen anderen Rappern glaubt er durchaus daran, dass er als Künstler auch eine Verantwortung für seine Hörer trägt — mehrheitlich junge Rap-Fans, die in ihren Meinungen und Ansichten leicht beeinflussbar sind. Doch wenn er zurückblickt, muss er sich für nichts schämen, findet er. „Meine Musik soll man auch seiner Oma vorspielen können.“ Was Chefket nicht mehr möchte: auf die Herkunft seiner Eltern reduziert werden. Auch wenn er einen Teil des Albums bei ihnen schrieb, die inzwischen wieder in ihre türkische Heimat zurückgekehrt sind.

Nicht wie die anderen sein, sein Glück nicht im Materialismus oder in der oberflächlichen „Selbstoptimierung“ suchen — Chefket ist in der aktuellen Rap-Szene tatsächlich so etwas wie ein Querdenker. Trotzdem sieht er sich keinesfalls als besseren Menschen. Man müsse auch „den Trottel in sich akzeptieren“, sich selbst nicht zu ernst nehmen. „Ich will niemals Sklave meiner Worte sein“, sagt Chefket. „Das würde bedeuten, dass man stehen bleibt.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.