Spanische Pyrenäen: Zerschnittene Berge

Im Montsec-Gebirge zwischen Katalonien und Aragón. Selten kann man auf engstem Raum so dramatische Landschaftswechsel erleben wie hier.

wasserfall

Wasserfall im Ordesa Nationalpark. Foto: imago/Westend61

Quebrantahuesos: Dieses Wort kommt einem nicht so schnell über die Lippen. Aber wenn man in den Vorpyrenäen unterwegs ist, geht es einem irgendwann nicht mehr aus dem Kopf. Wörtlich übersetzt heißt es „Knochenbrecher“, und es ist der spanische Name für „Bartgeier“. Und die gehören zum Land der Schluchten nun mal dazu, wie die bizarren Felsen aus erodiertem Kalkstein und die sengende Hitze. Auf der Wanderung im Montsec sind die Vögel jedenfalls unsere ständigen Begleiter.

Kilometerlange Anfahrt auf steiniger Piste. Kurven über Kurven, immer wieder müssen tiefe Löcher umfahren werden. Wo soll das hinführen? Schließlich kommen wir am Albergue de Montfalcó an, einer Herberge, die von einem verlassenen Dorf übrig geblieben ist. „Ihr könnt hier nicht rein. Ich muss sofort weg“, meint eine junge Frau, bevor wir das Haus überhaupt betreten haben, steigt in einen Jeep und fährt hastig davon. Wir stehen ratlos im Regen. Bei Nässe soll das Gelände nicht ungefährlich sein.

Gern hätten wir erst mal einen Kaffee getrunken. Stattdessen laufen wir jetzt etwas ziellos ins Tal hinunter. Links und rechts die tropfnassen Blätter von Steineichen und Erdbeerbäumen, der würzige Duft von Rosmarin. Als wir unten an der Talsperre Canelles ankommen, hat der Regen aufgehört.

Der Nebel lichtet sich. Und wir trauen unseren Augen nicht: Vor uns tut sich eine gewaltige Schlucht auf. Gran Canyon? Nein, der Congost de Mont-rebei. Das Spektakulärste, was die Vorpyrenäen zu bieten haben. Im Montsec-Gebirge zwischen Katalonien und Aragón blieb die Schlucht touristisch lange Zeit unentdeckt, ist heute aber beliebtes Klettergebiet. Der Name „Mont-sec“, der sich von „Mont segat“, zu Deutsch „zerschnittenes Gebirge“ herleitet, sagt schon alles: Berge, wie mit dem Messer scharf zerteilt, mit bis zu fünfhundert Meter hohen Felswänden.

Inividualreisen: Wer die Pyrenäen auf eigene Faust erkunden möchte, kann sich mit dem "Rother Wanderführer Pyrenäen 1-4" (je 14,90 Euro) oder dem Band "Spanien: Pyrenäenweg GR 11" (erschienen in der Serie "Outdoor" des Conrad Stein Verlags, 14,90 Euro) auf den Weg machen.Für maßgeschneiderte, individuelle Pyrenäenreisen kann man sich an Harry Ebinger von Natura Tour wenden (www.naturatour.com, Tel. 0034 938989002)

Startpunkte: Guter Ausgangspunkt für Touren im Nationalpark Aiguestortes ist das Hotel Roya in Espot (DZ mit Frühstück ab 65 Euro, www.hotelroya.net), für den Nationalpark Ordesa das Hotel Bujaruelo in Torla (DZ mit Frühstück ab 55 Euro, www.hotelbujarueloordesa.com), jeweils mit zwei-Sterne-Komfort und gutem Essen. Auf dem Weg dorthin empfiehlt sich ein Abstecher ins Montsec-Gebirge, wo man z. B. im Hotel Terradets in Cellers/LLeida mit großem Schwimmbad am Stausee von Terradets (DZ mit Frühstück ab 55 Euro, www.hotelterradets.com) übernachten kann.

Pauschalangebot: Das attraktivste Angebot an geführten Wanderreisen in die Pyrenäen bietet der DAV Summit Club des Deutschen Alpenvereins. Bergsteiger haben die Wahl zwischen "Kulturwanderungen", bei denen es neben mittelschweren Touren in den Nationalparks um Mythen, Legenden und Menschen geht (11 Tage, mit Linienflug und Halbpension.)

Erodierter Kalkstein, mediterranes Buschwerk

An manchen Stellen kommen sie sich so nah, dass sie sich fast berühren. Dann driften sie wieder auseinander und machen Platz für den Stausee Canelles. Wie ein Smaragd schimmert das Wasser zwischen den rotbraunen Felsen. „Die Farbe hat es vom Kalkstein im Untergrund“, erklärt Harry, unser Guide. Eine Weile laufen wir am Ufer auf und ab, dann windet sich der Weg hinauf in schwindelnde Höhe. Auf Himmelsleitern – Holztreppen und Stegen, die in das Gestein montiert wurden und über dem Abgrund schweben – geht es konzentriert an den Felswänden hoch.

Tief unten das Wasser, rundum die wilde Landschaft aus erodiertem Kalkstein und mediterranem Buschwerk, über uns ziehen Bartgeier, Gänsegeier und Steinadler ihre Kreise. Da ist alle paar Schritte ein Foto fällig. Der ein oder andere macht natürlich auch ein Selfie. So dauert es über vier Stunden, bis wir den rund acht Kilometer langen, vorbildlich angelegten Weg durch die Schlucht bewältigt haben.

Einigermaßen erschöpft, aber stark beeindruckt kommen wir schließlich an. Und überzeugt, dass es sich lohnt, auf einer Pyrenäenreise einen Zwischenstopp im Montsec einzulegen. „So faszinierend das Hochgebirge ist, so faszinierend ist der Kontrast zwischen alpiner Landschaft und den Schluchten der Vorpyrenäen. Hier die alpine Vegetation, dort die Halbsteppe. Nur selten kann man auf so engem Raum so dramatische Landschaftswechsel erleben“, schwärmt Harry, der die Gegend seit Jahren durchforstet und maßgeschneiderte Reisen für den Summit Club des Deutschen Alpenvereins konzipiert.

Die typischen Bergdörfer als Skigebiet

Tatsächlich: Dreißig oder vierzig Kilometer weiter nördlich ändert sich das Bild komplett. Nadelbäume ersetzen die Steineichen, statt des rotbraunen Konglomeratgesteins dominieren Granit und dunkler Schiefer. Neben der Straße rauschen Gebirgsbäche, hier und da gibt es saftige Wiesen. Dazu typische Bergdörfer. Sort, Rialp, Llavorsí … In Espot machen wir halt. Im Winter eine kleine Skistation, ist es im Sommer idealer Ausgangspunkt für Touren in den Nationalpark Aigüestortes.

Um das Ortszentrum gruppieren sich rustikale Beherbergungsbetriebe wie das hundertjährige Hotel Roya, das heute in der vierten Generation geführt wird. Die Chefin tischt persönlich die Spezialitäten der Region auf: luftgetrockneten Schinken, Stockfischkroketten, Trinxat, ein Gericht aus gebratenem Kohl und Kartoffeln, das mit ausgelassenem Speck gewürzt wird und Vedella amb bolets, ein Kalbfleischragout mit Waldpilzen. Noch eine Crema catalana – die katalanische Variante der Crème brulée – und unsere Batterien sind wieder aufgeladen.

Am nächsten Morgen kann es dann in den Nationalpark gehen. Privaten Fahrzeugen ist der Zugang versperrt. Dafür steht eine Kolonne von Geländewagen bereit, für rund fünf Euro wird man nach oben chauffiert. Kaum sind wir angekommen, zücken alle ihre Kameras. Vor uns das Motiv, das jede Postkarte vom Nationalpark ziert: der Sant-Maurici-See, in dem sich die hochalpine Landschaft mit Schwarzkiefern, Fichten und Almrausch spiegelt. Dazwischen ein paar Schneeflecken, ringsum die zackigen Gipfel der Dreitausender. Die grauen Felsnadeln sind ebenso charakteristisch wie das Gewässer, das zusammen mit mäandernden Bächen und rund zweihundert Karseen dem Nationalpark seinen Namen Aigüestortes – zu Deutsch: „verschlungene Wasser“– gab. Gleich neben uns ragt der markanteste Doppelgipfel Encantats auf.

Hohe Baukunst in der Bergabgeschiedenheit

Der Sage nach handelt es sich um zwei Jäger, die den Gottesdienst verlassen hatten, um zu jagen, und zur Strafe versteinerten. Doch die lassen wir links liegen und laufen in weitem Bogen um den See herum. Mal durch schattigen Wald, mal über Geröllfelder steigen wir zum Refugi d’Amitges auf. Die Hütte in 2.380 Meter Höhe ist die erste Etappe auf der Querung des Nationalparks. Kaiserschmarrn gibt es nicht. Aber gute Sandwichs mit Tortilla. Dazu serviert das junge Team das beliebte Naturbier aus der Brauerei Moritz in Barcelona.

Viele wandern von hier aus eine ganze Woche auf der Carros-de-Foc-Runde von Hütte zu Hütte. Wir begnügen uns mit der Querung des Nationalparks und kommen auf der anderen Seite ins Vall de Boí hinunter. Auch hier im Tal ein betriebsames Bergdorf mit kleiner Skistation. Doch was Espot nicht hat: In Taüll stehen gleich zwei romanische Kirchen aus dem 12. Jahrhundert, die zum Weltkulturerbe der Unesco zählen.

Weithin sichtbar erhebt sich der elegante sechsstöckige Glockenturm von Sant Climent in der Gebirgslandschaft, im Ort selbst steht das kleinere Pendant Santa María de Taüll. Beide Male umschließt das dreischiffige Innere expressive Fresken, deren Originale im Nationalmuseum katalanischer Kunst in Barcelona aufbewahrt werden. Welch hohe Baukunst in der Bergabgeschiedenheit! Und was für ein Kontrast zu den einförmigen Ferienhäusern, deren Fensterläden außerhalb der Hochsaison fest verschlossen bleiben!

Immerhin begegnen uns die romanischen Kirchen immer wieder, sie sind eine Art Markenzeichen der Pyrenäen. Auch in Torla westlich vom Boí-Tal steht ein schönes Exemplar. Ansonsten ist das tausend Meter hoch gelegene mittelalterliche Dorf in Aragón Tor zum Nationalpark Ordesa und Ausgangspunkt unserer nächsten.Wanderung. Wieder eine neue Facette der Pyrenäen: Auf dem Sendero de Cazadores, dem legendären Jägerpfad, laufen wir durch kühlen Buchenwald gemütlich an einem Bach entlang bergauf, bis plötzlich gewaltiges Donnern ertönt. Das vorausgesagte Gewitter?

Fast wie im Gran Canyon

Nein, die Cascada de Aripas, wo eine geballte Ladung Wasser mit voller Wucht in die Tiefe stürzt. Dort dreht es sich wütend in einem Strudel, um danach über weitere Felsen zu schäumen. Ein Stück weiter bekommen wir noch eine Zweitauflage dieses Schauspiels zu sehen. Dann mündet der Weg in einen schmalen Pfad und führt oberhalb der Baumgrenze in ein weite Ebene. Grüne Almwiesen, die von gewaltigen Felswänden eingekesselt sind. Jetzt ist der Vergleich mit dem Gran Canyon tatsächlich angebracht.

Und wieder greifen alle zur Kamera. Aber ausgerechnet jetzt fallen die ersten Tropfen. Ob wir dennoch noch zur Cola de Caballo laufen soll? Zu jenem Punkt, wo sich der Wasserfall wie ein Pferdeschwanz auffächert und über die Felsen ergießt?

Harry besteht darauf und erzählt vom verlorenen Berg, dem 3.348 Meter hohen Monte Perdido darüber, der das höchste Kalkmassiv Europas darstellt. Ja, doch, den hätten wir uns schon gern noch näher angesehen. Doch bleibt uns nur noch Zeit für ein schnelles Picknick, dann spült uns der Gewitterregen wortwörtlich ins Tal hinunter. Unser Guide hatte recht: In den Pyrenäen kann man dramatische Landschafts- und Wetterwechsel erleben!

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