Justiz in Russland: Auf viele Jahre Knast eingestellt

Der ukrainische Regisseur Oleg Senzow und ein Mitangeklagter stehen wegen terroristischer Aktionen auf der Krim in Rostow vor Gericht.

Oleg Senzow

Oleg Senzow am Dienstag in Rostow vor Gericht Foto: reuters

ROSTOW AM DON taz | „Ich erkenne dieses Gericht nicht an, deswegen könnt ihr verhandeln, über was ihr wollt!“, erklärt der ukrainische Regisseur Oleg Senzow zu Beginn seines Prozesses. Seit Dienstag verhandelt ein Gericht im russischen Rostow am Don öffentlich über Senzows Fall. Dem Regisseur werden terroristische Aktivitäten auf der Krim zur Last gelegt. Senzows Mitangeklagter, Aktivist und Antifaschist Alexander Koltschenko wird der Mittäterschaft beschuldigt.

Die angeblichen Straftaten liegen bereits über ein Jahr zurück. Seit dieser Zeit sitzen die beiden wie auch die inzwischen berühmt gewordene ukrainische Pilotin Nadeshda Sawtschenko, in russischen Gefängnissen. „Meine Rechte sind schon so oft und so grundlegend verletzt worden, dass mich nichts mehr aus der Fassung bringen kann. Ich bin moralisch darauf eingestellt, eine lange Haft anzutreten“, sagt Senzow am Ende eines langen und aufwühlenden Verhandlungstages.

Laut Anklage haben die „Krim-Terroristen“ die Büros der Organisation „Russische Gemeinde der Krim“ und der Partei „Einiges Russland“ in Brand gesetzt sowie Bombenexplosionen vor sowjetischen Denkmälern in Simferopol vorbereitet. Die Ankläger gehen davon aus, dass die Beschuldigten auf der Krim eine Zelle der rechtsradikalen Organisation „Rechter Sektor“ gegründet haben, die in Russland als Terrororganisation gilt. Senzow drohen als angeblichem Organisator 20 Jahre Haft.

Oleg Senzow trägt im Gerichtssaal ein weißes T-Shirt mit roten ukrainischen Stickereien und der Aufschrift „Ruhm der Ukraine! Es ist für ihn ganz offensichtlich eine der wenigen Möglichkeiten, um seinen Protest zum Ausdruck zu bringen. Ein selbstsicherer Blick, souveräne Selbstbeherrschung und freche Antworten auf Fragen der Richter – das alles erweckt den Eindruck, als wäre er kein Angeklagter, sondern ein Angreifer. Seine Freiheitsberaubung stünde für den Regisseur in derselben Reihe der Rechtsverstöße wie das strittige Krim-Referendum und die anschließende Krim-Annexion, erklärt Senzow. Dasselbe hatte er bereits bei früheren Gerichtsverhandlungen erklärt.

Erstes Wiedersehen seit über einem Jahr

Diese Gerichtsverhandlung ist die erste, die für die Öffentlichkeit zugänglich ist. So bekommt die Mutter von Alexander Koltschenko ihren Sohn zum ersten Mal seit seiner Verhaftung im Mai 2014 zu Gesicht. Mit Tränen in den Augen erzählt die zierliche blonde Frau, dass sie dafür eine beschwerliche 24-stündige Reise aus Simferopol nach Rostow auf sich genommen hat.

Oleg Senzow trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: Ruhm der Ukraine!

„Diese Sache mit Sascha hat mir viel Ärger eingebracht. Einige Arbeitskollegen unterstützen mich, die anderen wiederum meiden mich deswegen. Selbst innerhalb der Familie gibt es darüber unterschiedliche Meinungen“, seufzt Larissa am Eingang des Gerichtssaals und nestelt an ihrem russischen Pass.

„Welche Nationalität haben Sie?, fragt der Richter Alexander Koltschenko. „Ich bin russischer Ukrainer“, kommt die prompte Antwort. Oleg und Alexander bestehen darauf, dass sie ukrainische Staatsbürger sind und keine russischen Pässe besitzen. Die Ankläger jedoch behandeln die beiden als Bürger der Russischen Föderation.

Das war auch die Begründung dafür, dass bis jetzt keine Vertreter des ukrainischen Konsulats zu den Gerichtsverhandlungen zugelassen wurden. Diesmal haben die Richter erstmals dem Antrag der Verteidiger auf ein Treffen mit dem ukrainischen Konsul stattgegeben. Auch ein Treffen der Angeklagten mit Angehörigen wurde erlaubt.

Unzufrieden mit den Haftbedingungen

Olegs Cousine, Natalja Kotschnewa, lebt in Moskau. Sie ist die einzige in der Senzow-Familie, die regelmäßig die Öffentlichkeit über den Fortgang des Prozesses informiert. An diesem ersten Verhandlungstag wird die Bitte des Anwalts Dmitri Dinze abgelehnt, Natalja als Prozessbeobachterin einzusetzen.

„Oleg hat mir erzählt, dass er mit den Haftbedingungen in Rostow unzufrieden ist“, berichtet Natalja. „Er sagt, dass es in Moskau um sie besser bestellt war. Der Anwalt hat mir gegenüber erklärt, dass man die beiden hier wie bereits zu einer lebenslangen Haftstrafe Verurteilte behandelt. Leider habe ich im Moment wenig Informationen, die Verbindung zu meinem Bruder ist schlecht. Ich bin mir sicher, dass der Staat die Gerichtsverhandlungen nach Rostow verlegt hat, damit der Prozess nicht so viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommt“, erklärt Natalja. „Aber der Kampf geht weiter“, fügt sie hinzu, „Dieses ist ja erst der erste Tag.“

Die Verhandlungen werden voraussichtlich drei Monate dauern. Zwei weitere Mitangeklagte in der Sache „Krim-Terroristen“– Gennadi Afanasjew und Alexej Tschernij – haben ihre Schuld eingestanden und mit ihren Geständnissen Senzow und Koltschenko schwer belastet. Sie sind mit einer „geringeren“ Strafe davongekommen, „nur“ sieben Jahre Strafkolonie.

Aus d. Russischen Irina Serdyuk

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