Verliebt in Dong Xuan

Großmarktbesuch Eine Dänin erkundet die Schätze Vietnams: Unsere Autorin brauchte nur ganz kurz mit der Straßenbahn zu fahren, und schon landete sie im östlichen Berlin in Asien. Dies ist der Auftakt zu ihrer Serie „Blick von außen“

Im Dong Xuan Center findet man so ziemlich alles. Ob man es nun braucht oder nicht. Foto: Kiên Hoàng Lê

von Henriette Harris

Ist das die vietnamesische Schreibweise von Don Juan? Wie ich mich bis weit in mein Erwachsenenalter gewundert habe, warum das Wort „Rettungsdienst“ auf den Krankenwagen oft spiegelverkehrt steht, so habe ich bis Anfang dieser Woche gedacht, dass der Vietnamesenmarkt in Lichtenberg nach der spanischen Version des Frauenhelden genannt worden ist.

So was von falsch. Dong Xuan hat einen großen Bruder in ­Hanoi, er trägt den gleichen Namen und ist kein asiatischer Herzensbrecher. „Frühlingswiese“ bedeutet das Wort.

In die M8 Richtung Osten steigen immer mehr asiatisch aussehende Menschen ein, und als wir die Haltestelle Herz­berg­straße/Industriegebiet erreichen, steigen sie alle aus und überqueren die Straße. Ich auch, obwohl ich keine Asiatin bin. Migrationshintergrund habe ich aber im selben Ausmaß.

Ich bin eine seit elf Jahren in Berlin lebende Dänin. In Lichtenberg war ich bis jetzt bloß, um über das Stasi-Museum zu berichten. Und dann noch einmal an einem eiskalten Januarsonntag, als alte SED-Mitglieder in Schnee und Sonne Rosa Lu­xem­burg (und auch einigen zweifelhaften ­Persönlichkeiten wie Josef Stalin) am Sozialisten­friedhof in Friedrichsfelde huldigten. Es war schön und stimmungsvoll und angst­erregend anachronistisch. Als ob die Geschichte gar nicht passiert wäre.

Jetzt stehe ich wieder in Lichtenberg. Die Sonne strahlt immer noch, und über dem Eingang mit den bogenförmigen Wörtern „Dong Xuan Center“ wehen die Fahnen wie damals auf dem Sozialisten­fried­hof. Hier weht aber neben der deutschen schwarz-rot-goldenen die rote mit dem gelben Stern der Sozialistischen Republik Vietnam. Gleich nebenan eine Bude, wo man Hotdogs mit Röstzwiebeln und Gurke für 1,80 kriegt.

Mit einer Frühlingswiese hat das Gelände wenig zu tun. Es gibt kein Grün, sondern Autos am Parkplatz. Die Häuser rundherum haben kaputte Fenster, Graffiti und vietnamesische Werbeposter.

Unverständliche Zeichen

Mag sein, dass Dong Xuan kein Freund ist, den man mit nach Hause bringt. Aber hallo. Er hat sofort mein Herz erobert. Meins und die Herzen von einem jungen Paar aus Kopenhagen, das ich mitgebracht habe. Sie sind beide Mitte 20, er Akademiker, sie Künstlerin. Sie haben ihren zwei Monate alten Sohn dabei.

Zum Vergleich: Meine Generation, die Anfang 40 ist, kauft sich ein hippiemäßig gutes Gewissen mit LPG-Biomarkt-Mitgliedskarte und taz in der Seitentasche am Fjällräven-Rucksack. Diese jungen Leute sind Hippies. Obwohl jetzt mit Baby, leben sie in Kopenhagen immer noch in einer WG. Und sie erzählen mir, dass sie im Juli nur 11 Kronen (ungefähr 1,50 Euro) pro Tag für Essen ausgegeben haben. Den Rest haben sie skraldet (dänisch für „im Müll gefunden“). „Ziemlich cool!“, sagen die beiden, als wir entdecken, dass insgesamt sechs riesige Hallen das Dong Xuan Center ausmachen. Dann weiß ich: Cooler geht nicht.

Das Dong Xuan Center in der Herzbergstraße 128–139 ist täglich außer dienstags von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Es befindet sich auf dem Gelände, auf dem früher der VEB Elektrokohle Lichtenberg residierte: Der Betrieb war der einzige Hersteller für Grafitprodukte in der DDR; nach der Wende wurde die Produktion eingestellt.

2003 wurde das Areal für den riesigen Asiamarkt von Nguyen Van Hien gekauft. 2005 eröffnete dort dann das Dong Xuan Center, in dessen Hallen sich längst nicht nur vietnamesische Handelsware findet.

Für vietnamesisches Leben aber ist das Dong Xuan Center ein wichtiger und zudem für viele ortsnaher Mittelpunkt: Lichtenberg darf als Hauptstadt der Vietnamesen in Deutschland gelten, gut 4.500 der insgesamt etwa 14.000 Vietnamesen Berlins leben hier.

Wir fangen in Halle 8 an. Hier ist eine Wand mit Nachrichten auf Vietnamesisch. Vielleicht sucht jemand Personal für ein Thai-Sushi-Restaurant in der Nähe vom Tierpark? Vielleicht gibt es Arbeit in einem Bistro am S-Bahnhof Oranienburg? Und womöglich ist ein Platz als Koch frei in einem Viet-Thai-Restaurant in Mitte? Ich weiß es nicht genau, aber es sieht gut aus mit den deutschen Wörtern unter den für Ignoranten wie mich unverständlichen viet­namesischen Zeichen. Diese Wand taucht sicherlich zigmal auf Facebook auf.

Danach kommen Hunderte von Metern mit Geschäften. Ich erwähne hier nur einen Bruchteil der Einkaufsmöglichkeiten: In Halle 8 kann man einen neuen Toilettensitz mit Marienkäfern, Tigern, Eisbären, Mohnblumen, Südmeerpalmen oder niedlichen Kätzchen ergattern. Sollte man den Wunsch nach Plastikblumen haben, kriegt man alles. Wirklich alles.

Immer wieder lässt man sich überraschen. Es gibt sämtliche Ingredienzen der asiatischen Küche, jede Menge Feng-Shui-Katzen und bunte indische Tücher, die man umgehend kaufen möchte, obwohl man weiß, dass man sie nie tragen wird. Es gibt Papiertüten mit dem Weihnachtsmann und Stoffhäuser für Hundewelpen. Ein Paar gefütterte Pantoffeln mit Leopardenmuster muss ich leider stehen lassen. Man kann sie nur im Großhandel kaufen. Und obwohl sie nach der Meinung meiner jungen Freundin „megasexy“ sind, finde ich zwölf Paar (das Minimum im Großhandel) in verschiedenen Größen einen Hauch übertrieben.

Im Dong Xuan kann man sich tätowieren, die Haare schneiden, piercen und maniküren lassen. In Halle 2 lasse ich mich mit einer Maniküre verwöhnen. Plaudern mit der Maniküredame gibt es nicht. Aber ich höre ihr und drei anderen Damen beim eifrigen vietnamesischen Gespräch zu. Ich trage Birkenstocksandalen, sie sind in High Heels aus Lack. Und haben deutlich mehr Spaß als ich.

In Halle 3 steht Yan Zhou in ihrem Laden Kelly Trading. Als Einzige im Dong Xuan Center verkauft sie Stoffe und Nähzubehör. Yan Zhou ist Chinesin und 1969 geboren. Sie kam 1990 nach Deutschland, hat auch einen 300-Quadratmeter-Stoffladen in Spandau und schon seit neun Jahren ihren Laden hier. Ihre Stoffe kommen meistens aus China, aber auch aus Holland und Italien „Alles hat sich hier rasant entwickelt. Anfangs gab es nur drei Hallen, jetzt hat sich die Zahl verdoppelt. Und hier ist es viel schöner geworden. Besonders die Restaurants“, sagt Yan Zhou.

Ende des Jahres wird auch ein Hotel aufgemacht. Sie erzählt, dass ein Drittel der Verkäufer aus Vietnam kommt, ein Drittel aus China und das letzte Drittel aus Indien, Pakistan und der Türkei. Früher gab es auch ein türkisches Restaurant, aber jetzt nicht mehr. Die Türkei besucht man anderswo in Berlin.

Außerhalb von Halle 2 befindet sich das Restaurant Viet Pho, dass mit „Street Kitchen“ und „Viet Cuisine“ wirbt. Junge Vietnamesen unterhalten sich auf schlichten, modernen Bänken, essen zu Mittag und trinken Mango-Lassi. Ein dänisches Paar (Haben alle Dänen das Land nach dem Sieg der Rechtspopulisten bei der Parlamentswahl letzten Monat verlassen?) ist oft hier, um für seinen Laden einzukaufen.

Die beiden meinen, dass dieses Restaurant das beste der sechs vietnamesischen Restaurants sei. Und sie bestätigen, dass das Gelände sich in den letzten zwei, drei Jahren wahnsinnig entwickelt hat. Die Restaurants sind schicker, mehr Leute kommen einfach zum Bummeln, aber man soll aufpassen, was man kauft. „Es gibt wirklich ganz viel crap. Aber dann auch ganz tolle Sachen, bei denen alles in Ordnung ist, die Nähte und so weiter“, sagen sie.

Im Viet Pho, Halle 2

Der Inhaber Niham Huu Phuong sitzt drinnen im Restaurant. Er kam wie so viele andere Vietnamesen als Gastarbeiter in die DDR. Das war 1988. Er hat damals Fenster eingebaut

Duftreis und Mangosoße

Das Gericht mit Duftreis, Hühnerfleisch, frischem Gemüse und Mangosoße schmeckt gut. Und ist richtig günstig. Der Inhaber Niham Huu Phuong sitzt drinnen im Restaurant. Er kam wie so viele andere Vietnamesen als Gastarbeiter in die DDR. Das war 1988. Er hat damals Fenster eingebaut. Nach der Wiedervereinigung kehrten viele arbeitslose Vietnamesen in ihre Heimat zurück. Aber Phuong nicht.

Er ging in die Textilbranche, und als sein Landsmann Nguyen van Hien im Jahr 2006 das Dong Xuan Center aufmachte, ist er eingestiegen und hat Herrenhemden in Halle 1 verkauft. Das Restaurant hat er seit zwei Jahren. Er sagt, dass er sich oft nach Vietnam zurücksehnt, aber an seinem zufriedenen und freundlichen Lächeln erkenne ich, dass es ihm hier gut geht. „Ich habe auch eine Tochter. Sie ist hier geboren und will hier bleiben. Dann bleibe ich auch“, sagt Niham Huu Phuong.

Draußen an der Haltestelle warten Leute mit Einkaufstüten auf die Straßenbahn. Zwei vietnamesische Frauen hocken auf dem Bürgersteig. Genau wie in Vietnam.

Die Autorin lebt als Journalistin in Berlin und schreibt für dänische Medien. Sie hat ein Buch über Berlin (auf Dänisch) geschrieben, aber die Stadt ist für sie noch längst nicht auserzählt. Dieser Artikel ist der Auftakt zu ihrer Serie zu überraschenden Orten in Berlin