Kohle für die Kirche: Festhalten an den Verträgen?

Seit 60 Jahren sichert der „Loccumer Vertrag“ die Privilegien der niedersächsischen Landeskirchen. Ist es Zeit, damit aufzuräumen?

Männer und Papiere: 50 Jahre Loccumer Verträge feierten 2005 Bischof Peter Krug (v.l.), Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) und EKD-Ratsvorsitzender Bischof Wolfgang Huber. Foto: dpa

JA

von Godehard Baeck

Am 23. April 1955 trat der „Loccumer Vertrag“ zwischen dem Land Niedersachsen und den Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen in Kraft. Gegenstand des Vertrages bildete ähnlich wie beim Konkordat zwischen der Katholischen Kirche und Niedersachsen – vom 26. Februar 1965 – eine möglichst umfassende Regelung ihrer Beziehungen.

Wenn er auch vom Modell eines geordneten Gegenübers des weltlichen Gemeinwesens und eines Religionsverbands mit gegenseitiger Vertragstreue ausgeht, ist der Loccumer Vertrag doch nur ein quasi-völkerrechtlicher Vertrag. Er war für andere Kirchenverträge der Nachkriegszeit aber Vorbild – und ein Erfolgsmodell für die friedliche, freiheitliche und auf gegenseitige Respektierung gegründete Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche.

Das betrifft neben der Übereinstimmung über den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen und ihrer Eigenständigkeit eine Reihe von Punkten – wie zum Beispiel die Religionsfreiheit –, die wir als Errungenschaften auch des Grundgesetzes betrachten. Eine Reihe von Einzelregelungen betreffen den Weiterbestand der Theologischen Fakultät an der Universität Göttingen, den Religionsunterricht in öffentlichen Schulen, Seelsorge an Krankenhäusern und Strafanstalten und so weiter, die Bestellung kirchlicher Leitungsämter und die Anstellungsvoraussetzungen von Pfarrern, vermögensrechtliche Fragen, Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden und so weiter.

Für die selbständige Regelung ihrer Angelegenheiten tritt die evangelische Landeskirche als juristische Person (Körperschaft) öffentlichen Rechts im Rechtsverkehr auf, zieht Kirchensteuern ein, wobei die staatlichen Einzugsbehörden mit vier Prozent ganz gut dabei mitverdienen. Ausdrücklich bekennt sich die Kirche zur Pflege und Erhaltung denkmalsgeschützter Gebäude.

Vom Einsatz der Kirche nach den Regelungen des Vertrags hat der Staat große Vorteile, und das schon finanziell: Müssten die bisher von den Kirchen geleisteten sozialen Aufgaben vom Staat übernommen und bezahlt werden, käme ihn das immens teuer. Von Privilegien der Kirche, das heißt einer Bevorzugung einer Religionspartei durch den Staat, kann nicht die Rede sein. Der Vorwurf eines Widerspruchs zwischen einzelnen Regelungen des Loccumer Vertrages und dem Grundgesetz ist zurückzuweisen und auch nie von den Hütern des Grundgesetzes verhandelt worden. Die staatlichen Sonderzahlungen, fußend unter anderem auf den im „Reichsdeputationshauptschluss“ von 1803 getroffenen Vereinbarungen bei der damaligen Enteignung kirchlichen Besitzes, könnte man als schwache Rekompensation bezeichnen: für die Raubgüter, von denen auch heutige Krakeeler in Hannover noch profitieren.

NEIN

VON Andreas Wyputta

Wer wie zuletzt die Grüne Jugend in Niedersachsen – kurz GJN – am Loccumer Vertrag rüttelt, erntet wütende Kommentare besonders von konservativer Seite: „Beschämend“ sei die Forderung des Polit-Nachwuchses nach einer „echten Trennung von Kirche und Staat“, poltert etwa Björn Thümler, Landtagsfraktionschef der CDU.

Dabei hatten die GJN-SprecherInnen Marcel Duda und Imke Byl nur auf Anachronismen hingewiesen, die immer weniger Menschen noch hinnehmen wollen: In von den Kirchen getragenen, aber zum überwältigen Teil vom Staat finanzierten Sozialeinrichtungen wie Kitas, Krankenhäusern und Altenheimen gilt ein diskriminierendes kirchliches Arbeitsrecht – dabei schätzen Insider, dass die Christen bestenfalls 20 Prozent ihres ach so sozialen Engagements selbst tragen.

Trotzdem sind Konfessionslose und Geschiedene bei den kirchlichen Trägern ebenso wenig erwünscht wie Homosexuelle, gelten Abtreibungen als Teufelswerk. Kurz: Auch 300 Jahre nach Beginn der Aufklärung wird einer vorgeblich sekularen Gesellschaft eine religiöse Ideologie auf Staatskosten aufgedrückt.

Denn die Bundesrepublik insgesamt beglückt die christlichen Religionsgemeinschaften jedes Jahr mit unglaublichen 19 Milliarden – also 19.000 (!) Millionen – Euro. Mit etwa neun Milliarden bringt die Kirchensteuer davon weniger als die Häfte. Die kirchlichen Kitas sind dem Staat vier Milliarden wert; Konfessionsschulen kosten zwei Milliarden.

Niedersachsen steht für etwa zehn Prozent dieser Summen gerade. Für die evangelische Kirche gesichert wird dieser Geldregen durch den Loccumer Vertrag von 1955. Selbst Entschädigungen für Enteignungen während der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts – also für Folgen der Reformen Napoleons – sieht dieses angeblich unkündbare Werk noch vor. 43 Millionen werden so nur in 2015 fließen. Nach Berechnung der Bürgerrechtsvereinigung Humanistische Union hat allein Niedersachsen den Kirchen 1,4 Milliarden Euro dieser „Staatsleistungen“ seit 1949 überwiesen.

Zusammen mit evangelischen Würdenträgern beging Niedersachsens SPD-Ministerpräsident, der ehemalige Messdiener Stephan Weil, die „Festveranstaltung“ zum 60. Jahrestag des Vertrags am Dienstag deshalb nicht umsonst leise, still und beinahe heimlich: Einladungen etwa an die Presse gab es nicht. Kassiert werden soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Umso wichtiger, dass Humanisten und Atheisten ein Ende der Milliardensubventionen, zumindest aber die Einfügung von Kündigungsklauseln in den Loccumer Vertrag gefordert haben – und das wenigstens die Nachwuchsorganisation einer Regierungspartei den Mut hatte, sie dabei zu unterstützen. Denn die Diskussion um Loccum hat gerade erst begonnen.

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