Performing Arts in Bremen: Monster, Morde, Masturbationsroutine

Zum traditionellen Nachwuchs-Festival „Outnow!“ gastieren 20 internationale Inszenierungen in Bremen – auch in der Innenstadt.

Szenenbild aus dem Stück „La Casa“, das auch auf dem „Outnow“ zu sehen ist. Bild: Theater Bremen

BREMEN taz | „Wir sind schön und sehen immer müde aus“, beschreiben sich Computerspiel-Avatare in der Schwankhalle. Die fünf Männer bauen in „La Casa“ gemeinsam ein Haus und entdecken sich selbst in meditativ choreografierter Handlungsarmut. Ein bisschen Mut zur Langeweile braucht das schon – der aber zahlt sich aus. Denn in 90 Minuten entfaltet sich schleichend ein Wirkungsraum für alltägliche innerliche Katastrophen. Dass bereits die Vorlage „The Sims“ ohne Plot und ohne Action zum Kassenschlager wurde, mag die Spiele-Forschung bis heute auf Trab halten – für das Künstlerkollektiv „Cobraanker.cobra a.k.a. Thermoboy FK“ ist es eine Selbstverständlichkeit aus Kindertagen, mit der sich heute spielen lässt.

Der künstlerische Einblick in die Erfahrungen einer Generation war der gelungene Auftakt der diesjährigen Ausgabe des Performance-Festivals „Outnow!“, auf dem noch bis Montag internationaler Theater-Nachwuchs zu Gast in Bremen ist: 20 Produktionen aus acht europäischen Ländern – quer durch die Sparten. So verspricht das Theaterkollektiv „Fux“ aus Gießen die Suche nach einer alternativen Opernästhetik. Und im Figurentheater „Schweinis vegane Kochshow“ macht sich ein dem Maststall entflohenes Schwein daran, dem Ernährungs-Irrsinn mit einer Anarcho-Kochshow beizukommen.

Man wollte die volle Bandbreite abbilden, sagte Dramaturg Gregor Runge auf der Eröffnung am Donnerstag. Wie schon beim letzten Mal richtet die Schwankhalle das Festival in Kooperation mit dem Theater am Goetheplatz aus. Wenn es keine Absicht ist, dann doch wohl Zeitgeist, dass es auch inhaltlich zumeist ums Miteinander geht – dem in der Liebe sowieso, aber auch im großen Zusammenhang: von der Stadt bis zum Staat. So handelt auch die Computerspiel-Adaption von Freude und Frust der Kooperation. Und das ist eine durchaus drängende Frage, seit die gesellschaftliche Konkurrenz der Arbeit heute dem Schein nach als Teamsport organisiert ist. Anstatt aber mit einer revolutionären Lösung, warten die Performer mit einer Absage ans Eindeutige auf: „Die Arbeit an sich“, sagt Avatar Pedrolino, „kann gut oder schlecht sein.“

Liebreizende Schluffis

Es sind nur Männer übrigens, die da „besondere Beziehungen“ entdecken und auf der Bühne Körperknoten bilden. Das passiert eben, wenn die „Masturbationsroutine nicht mehr den vertrauten Trost“ spendet, heißt es – und mündet dann doch in gänzlich unaufgeregtem Kuscheln liebreizender Schluffis. Und wenn im Finale dann Miley Cyrus’ „Wrecking Ball“ angestimmt wird, ist das nicht nur Bezugnahme auf einen Pop-Hit, sondern zitiert auch einen Skandal: Im Video schwang Exkinderstar Cyrus nackt auf einer Abrissbirne herum und lutschte lasziv am Vorschlaghammer. Bemerkenswert, daran nun vom gender-sensiblen Jungs-Kollektiv erinnert zu werden.

Zusammenarbeit und Netzwerken finden bei diesem Treffen der freien Szene nicht nur hinter den Kulissen statt. Ein Schnellkurs für den wasserdichten Antrag bei der Künstlersozialkasse etwa bietet nicht nur den angereisten Gästen, sondern auch interessierten FestivalbesucherInnen Beistand in dieser ästhetisch doch eher weniger ansprechenden Seite des Künstlerlebens.

Die Grenzen der Kunst ausgelotet

Erbaulicher ist dann wohl doch die Kunst selbst. Und die schließt hier neben Computerspielen selbst die moderne Malerei ein. Mit nichts als ein paar Bildern im Gepäck hat der Niederländer Daan van Bendegem am Donnerstag die Grenzen der Kunst ausgelotet. In einem halbstündigen Ausraster erzählt er die Zerstörung von Barnett Newmans Gemälde „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“ als Kriminalfall – und reflektiert sie mit enormer Präsenz im gesamten Bühnenraum als „Mord an der Kunst“. Im Wahnsinn räsoniert van Bendegem über die Grenzen der Kunst und erteilt sich selbst die Absage: Wenn wir uns nämlich an dieser Frage festbeißen, sagt er, „dann kommen wir nicht weiter“.

Zur mustergültigen Grenzverletzung trat am Freitag schließlich das Kollektiv „Hysterisches Globusgefühl“ an, das als antinationaler Karnevalsumzug vor das Theater zog, um in freier Wildbahn nach dem Leviathan zu suchen – dem biblischen Ungeheuer, als welches Thomas Hobbes den absolutistischen Staat beschrieb. Ein unsichtbares Monstrum freilich, das sich in Verboten, Regeln und Normen erst dann offenbart, wenn man sie verletzt. Karneval, Kunstaktion – oder Demo? Die Referenz auf politische Aktionsformen bleibt verschlüsselt. Unklar, ob der Protest nun ein Zitat oder die Sache selbst ist. Vor ein paar Jahren noch haben diese KünstlerInnen vor dem Erlanger Markgrafentheater gelegen, um gegen die prekären Arbeitsbedingungen Kulturschaffender zu demonstrieren.

Sicher ist aber: Der öffentliche Raum bleibt auch in den kommenden Tagen vom Theater besetzt. Am Samstagmittag wollen Studierende der „Hochschule für Künste im Sozialen Ottersberg“ mit ihrer öffentlichen Performance in der Innenstadt herausfinden, was die Stadt lebenswert macht. Und später sind dann auch die Festival-BesucherInnen selbst unterwegs, die zwischen den Spielorten in der Schwankhalle und am Goetheplatz tingeln.

Noch bis Montag 25. Mai,
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