Kolumne: Die Rückkehr der Weltreligionen

Der Dalai Lama hat es nicht bis zu uns geschafft, doch die Zeugen Jehovas scheuten keine Mühen.

Bischof Huber wird das nicht gerne hören, aber Brandenburg ist ein ziemlich gottloser Herrgottswinkel. In unserer Ackerbürgerstadt ist das schöne Backstein-Pfarrhaus längst verwaist und im Kirchturm nisten prächtige weiße Eulen. Nur die Katholiken halten sich wacker, sie hausen am Ortseingang wie andernorts die Sekten. In einem schmucklosen Gebäude fristen sie ihr bedrängtes Dasein in der protestantisch-atheistischen Diaspora.

Doch nun, da die Weltreligionen auf dem Rückweg sind, das scharfe Schwert der Gegenaufklärung führend, klopfen sie auch bei uns an die Tür. Nein, nicht der Dalai Lama und auch nicht der Islam. Die Zeugen Jehovas.

„Guten Tag, wir wollten uns mit Ihnen über den Glauben unterhalten“, sagten die in grau-beige Anoraks verpackten Damen, die extra mit der Regionalbahn angereist waren. Mein Freund dachte schon, es wäre das Denkmalschutzamt, weshalb ich vorgeschickt wurde. „Lassen Sie mich raten: Zeugen Jehovas?“, fragte ich und erntete ein schüchternes Nicken – so schnell rücken die ja sonst nicht mit dem Firmennamen raus, die Menschen haben Vorurteile. Apropos: Nach Scientologen sahen die beiden nun wirklich nicht aus. Die haben schließlich genug Geld, um sich ihre Klamotten im KaDeWe zu kaufen. Und würden wohl auch nie auf die Idee kommen, ausgerechnet in unserem kargen, ärmlichen Örtlein Nachwuchs zu rekrutieren.

„Ja also, ich sage Ihnen gleich: Sie wollen ganz bestimmt nicht, dass wir in Ihrem Klub Mitglied werden. Wir sind homosexuell, müssen Sie wissen.“ Das mussten sie nun wissen und erröteten: „Oh, äh, das ist aber schön. Also, dass Sie so offen zu uns sind.“ Geschenkt. Doch die Damen blieben auch unter der Last der ungeschminkten weltlichen Wahrheit aufrecht: „Sie müssen wissen, dass uns dies, wie alles Menschliche, nicht fremd ist. Wir kennen manche in unserer Gemeinde, die geschafft haben, es zu überwinden, und den Weg zurück zu Gott fanden.“ Nun musste ich das also wissen und auch ich errötete. Ich bekomme dann so hektische rote Flecken, und auf der Stirn schwillt bedrohlich eine Ader: „Wissen Sie, diese evangelikal-christoiden Umerziehungsmethoden sind mir bekannt. Die Leute werden seelisch entkernt und landen am Ende in der Psychiatrie, werden Alkoholiker oder bringen sich einfach um. Sich selbst zu verleugnen hat einen Preis“, erklärte ich. „Ach, damit kennen Sie sich auch aus?“, fragten die Damen. Und ob!

Zum Kongress der Zeugen Jehovas in Berlin solle ich doch bitte kommen, dort sei Näheres zu erfahren. „Vielen Dank, aber da gehe ich lieber zum Fachkongress der Urologen, der ist auch demnächst. Auch über Urologen machen die Leute ja ganz gerne Witze, genauso wie über Schwule oder über Zeugen Jehovas. Ich weiß, dass Sie das hier machen müssen, und in einer Sekte zu sein ist auch nicht leicht. Aber trösten Sie sich, der Papst hat gerade sämtliche protestantischen Kirchen zu Sekten erklärt, seien ja im Grunde keine richtigen Kirchen. Sie befinden sich also in guter Gesellschaft, weiter so. Die Welt wird sicher mal untergehen. Das wird schon!“

„Sag mal, was treibt Ihr denn da eigentlich“, tönte es aus dem Nebenzimmer, wo mein Freund gerade die Frauenbeauftragte einer physiotherapeutischen Behandlung unterzog, „das mit dem Denkmalschutzamt habe ich doch schon längst geklärt!“ Leise vernahm man die Frauenbeauftragte: „Jaja, der Papst. Will immer selbst schöne Kleidchen tragen und die Frauen nicht an den Altar lassen.“

Nach Zeugnisnahme all dieser Bekundungen sprachen die Damen ihren Segen und suchten das Weite – jedoch nicht ohne eine Kongress-Einladung zu hinterlassen. Die Einladung ziert in bunt-pastelligen Tönen gemalter, ziemlich knackiger Herr mit modisch gestutztem Vollbart. Sieht aus wie ein „Pierre & Gilles“-Kunstwerk, das wir uns im Original niemals werden leisten können. Es hängt jetzt im Schlafzimmer. Mag sein, dass die Weltreligionen zurückkehren. Zu uns kommen sie jedenfalls nicht mehr.

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