Die spanische woche der wahrheit: Kanonenfutter für Halle 3

Ferran Adrià war gestern. Heute gilt der katalanische Koch Quim Mendoza als der neue Küchengott. Die Wahrheit war dabei, als Quim Mendoza in einem Probelauf sein spezielles Frankfurter Buchmessenmenü vorstellte.

Hasta la vista, katalonien! Bild: Tom

Auf der Frankfurter Buchmesse gilt in diesem Jahr ein Rauchverbot. Einzige Ausnahme ist die Halle 3 - hier liegt dicker, schier undurchdringlicher Qualm über dem Stand des Fideuà-Verlags, der das neue Buch des katalanischen Starkochs Quim Mendoza im Hightech-Küchenambiente präsentiert. "Der magische Stockfisch" heißt das Werk. Sein Autor, Begründer des weltberühmten Restaurants "La Dolorosa" in Tarragona, ist höchstpersönlich anwesend und kocht während der Messezeit jedes Rezept aus seinem Buch auf Zuruf nach.

"Wir dachten, es wäre eine schöne Idee, unseren Lesern vorzuführen, wie Quim arbeitet", lispelt Pressesprecherin Carmen de la Patata. Die letztjährigen Lesungen mit Köchen seien bedauerlicherweise "nicht so gut" angekommen, obwohl beispielsweise die katalanische Köchin Mercè Monsó nur kurz und knapp ihre Zutatenlisten vorgetragen habe. "Aber es war eben auf Katalanisch, unserer Minderheitensprache", sagt Carmen de la Patata, "dieses Mal lassen wir Taten sprechen."

Sie nickt Quim zu, der sich eben von einem Hustenanfall erholt und langsam wieder seine natürliche katalanische Blässe annimmt. Der schmale Mann glättet seinen dunklen Schnurrbart und schaufelt eine undefinierbare Masse aus einer großen Schüssel heraus. Eben die sollen wir geladenen Journalisten nun in Augenschein nehmen und verkosten. "Eine kleine Vorspeise", kündigt der Meister an: "Medusa - Quallenaerosole!"

Auf den Tellern, die wir gespannt in Empfang nehmen, liegt ein Häufchen Asche ohne Garnitur. Besteck wird nicht gereicht, allerdings schreitet Quim unsere Reihe mit einer Blumensprühflasche ab. "Halten Sie den Teller direkt vor Ihren Mund", weist er uns an, "schließen Sie die Augen, denken Sie an die katalanische Mittelmeerküste und öffnen Sie den Mund. Auf gehts!" Folgsam schließen wir die Augen, und schon sind wir mit einer beeindruckenden kulinarischen Erfahrung konfrontiert: ein deutlich nach fischigem Salz und verbranntem Treibholz schmeckender Sprühregen benetzt unsere Zungen und, in Einzelfällen, unsere Nasen. "Magico!", ruft Quim. "Magico", strahlt auch Carmen de la Patata, während sie unsere überraschten Mienen mustert und Servietten verteilt, "Sie wollen sicher wissen, wie diese Kreation hergestellt wird?"

Die Aerosole, erfahren wir, bestehen aus bei minus 950 Grad gefriergetrockneten Seguida-Quallen, die nur in katalanischen Gewässern gedeihen. Quim röstet das Gefriergut unter einem eigens für ihn angefertigten Halogenscheinwerfer an - für seine ersten Experimente verwendete er eine 250-Watt-Bauleuchte - und gibt Piniensägemehl hinzu, das mit katalanischem Meersalz aromatisiert wurde. Diese Mischung wird mittels eines Kiefernspans entzündet und exakt zur Hälfte verbrannt. "Wie Sie eben selbst erleben konnten", beendet Carmen de Patata ihre Ausführungen, "kehrt dieses Gericht in einem einzigen, magischen Moment zu seiner Ursprungsform zurück: Wenn Barceloneser Hafenbeckenwasser über Quim in der Sprühflasche zur Gischt wird und die Kontextualisierung der Zutaten alle Sinne in Anspruch nimmt."

Sie klatscht in die Hände: "Kommen wir nun zu einem Hauptgericht - Ballas de cañon de bacalao!" An dieser Stelle geschieht etwas Unerwartetes. Zwei Kolleginnen vom spanischen Fernsehen verlassen fluchtartig die Pressevorführung, ihre Teams eilen ihnen hinterher. Carmen de la Patata ruft ihnen etwas hinterher, das wie "Warten Sie doch!" klingt, allerdings kann sie wohl niemand mehr hören. Carmen de la Patata wendet sich den Verbliebenen zu und lächelt. "Redaktionsschluss, nehme ich an. Sie sind sicher auch sehr gestresst. Lassen sie mich trotzdem kurz erklären, was es mit der folgenden Speise auf sich hat. Bacalao heißt auf Deutsch Stockfisch " Quim, erklärt sie, schält mit einem kaum sichtbaren Eiskugelausstecher winzigste Portion aus gewässerten Stockfischen, die er dann mit Tinte vom Calmar einfärbt. "Es entsteht ein Stockfischkaviar."

Wir sehen uns etwas gelangweilt an. Die Verwandlung von Nichtkaviar in Kaviar kommt uns bekannt vor. Dass wir unaufmerksam geworden sind, merkt Carmen de Patata sofort. Sie hebt die Stimme: "Diese Kaviarkörner versetzt Quim mit Agar-Agar und formt aus ihnen Wassermelonen", sagt sie. Und weil wir im selben Augenblick bemerken, dass Quims Assistenten eine mittelalterliche Kanone in die Küche rollen, können wir weiter leider nichts berichten. Aber sehen Sie doch selbst - auf der Buchmesse beim Stand des Fideuà-Verlags, wenn Quim Mendoza seinem Waffenmeister den Feuerbefehl gibt und eine Wolke aus Rauch, Stockfisch und Tinte über den Buchmessenbesuchern niedergeht.

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