Zehntausende demonstrieren gegen Präsidenten: Permanente Revolution in Georgien

Sicherheitskräfte sind bei einer Demonstration in der Hauptstadt Tiflis gewaltsam gegen Tausende Regierungsgegner vorgegangen. Diese fordern den Rücktritt von Präsident Saakaschwili.

Georgische Polizisten prügeln in Tiflis auf Oppositionelle ein Bild: dpa

In Georgiens Hauptstadt Tiflis haben Sicherheitskräfte gewaltsam eine Demonstration von mehreren tausend Regimegegnern aufgelöst. Seit Wochen schwelt der Konflikt zwischen der Regierung von Präsident Michail Saakaschwili und einem heterogenen Oppositionsbündnis, dem Bürgerrechtler, Liberale, linke und rechte Populisten angehören. Am vergangenen Wochenende erreichte der Protest einen ersten Höhepunkt, als sich mehr als 50 000 Demonstranten vor dem Parlament in Tiflis versammelten und Forderungen nach dem Rücktritt des Präsidenten laut wurden. Bis dahin verlangte die Opposition nur Wahlrechtskorrekturen und die Abhaltung der Parlamentswahlen im Frühjahr. Diese hatte die Regierung auf den Herbst verschoben und mit vorgezogenen Präsidentschaftswahlen zusammengelegt.

Eine zentrale Rolle bei den Protesten spielt Exverteidigungsminister Irakli Okruaschwili. In einem Interview mit einem oppositionellen TV-Sender hatte dieser im September den Präsidenten der Anstiftung zum Mord an Oppositionellen bezichtigt und behauptet, Saakaschwili habe Untersuchungen des Todes eines früheren Premiers bewusst vereitelt. Okruaschwili wurde verhaftet. Nach dem Verhör widerrief er die Anschuldigungen - in einem Zustand, der auf unsanfte Behandlung in der Haft schließen ließ. Nach der Zahlung von mehreren Millionen Dollar Kaution konnte er das Gefängnis verlassen.

Okruaschwili wurde im November 2006 aus der Regierung entlassen. Bis dahin war er der engste Vertraute des Präsidenten, der das Amt des Generalstaatsanwalts und später des Innenministers bekleidete, bevor er das Verteidigungsministerium übernahm. Dort gerierte er sich als nationalistischer Hardliner, der nicht vor einer militärischen Lösung zurückschreckte, um zwei russlandfreundliche separatistische Republiken Georgiens zurückzuerobern. Im Spätsommer kehrte er mit der Gründung einer Oppositionspartei in die Politik zurück.

Unzufriedenheit am Führungsstil Saakaschwilis, der 2003 an die Macht gelangte, ist seit langem zu hören. Der Volksheld der damaligen Rosenrevolution kann auf erfolgreiche Reformen verweisen. Die Privatisierungen haben aber soziale Ungleichheiten verschärft, die viele Demonstranten auf die Straße treiben.

Entscheidender sind die politischen Beweggründe des Massenprotestes. Saakaschwilis Partei "Nationale Bewegung" versucht auf allen politischen Ebenen ein Machtmonopol zu sichern. Dazu gehören auch die Wahlrechtsreformen und die Verschiebung der Wahlen. Eine Reform der regionalen Verwaltungen führte dazu, dass von 2.500 Vertretern der Regionen nur noch 69 übrig blieben. Viele Landesteile sind seitdem vom politischen Leben abgeschnitten. In Kommunalwahlen 2006 erreichte die Nationale Bewegung 60 Prozent der Stimmen, erhielt aber 98 Prozent der Mandate.

Auch die Unabhängigkeit der Gerichte ist nicht mehr gewährleistet. Selten können sich Richter gegen die dominante Staatsanwaltschaft behaupten. Das von der Regierungsmehrheit dominierte Parlament kommt der Funktion eines Kontrolleurs nicht mehr nach. Offene Debatten finden nicht statt, was dazu führt, dass politische Entscheidungen intransparent bleiben und Interessengegensätze schnell zu dramatischen Ereignissen werden. Wer Kritik äußert, läuft Gefahr, als Vasall Moskaus geziehen zu werden.

Den ersten Schritt zu einem autoritären Regierungsstil machte Saakaschwili im Frühjahr 2004, als er ohne Debatte die Verfassung ändern und ein superpräsidiales System errichten ließ. Noch fehlen der Opposition charismatische Figuren. Dennoch ähnelt die Lage in vielem der vorrevolutionären Konstellation im Herbst 2003.

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