An der schönen blauen Donau: Wie viel Urlaub verträgt die Liebe?

Fallstricke der Liebe zwischen Schnellstraße und dem Gewirr der Altstadtgassen von Budapest. Nie wieder mit der R! Die Urlaubszeit ist vorbei - die Liebe auch

Das Gewitter kommt näher Bild: dpa

Ich schreibe dir aus dem Ungarn-Urlaub. Schon jetzt kann ich dir versichern: Mit der R. werde ich nie wieder verreisen. Das war ein Fehler von Anfang an, gemeinsam wegfahren zu wollen.

Ich habe dir ja schon einmal berichtet, wie konfus die R. oft ist. Hier in Budapest tritt ihr Problem noch viel stärker zutage als daheim. Die R. denkt nicht geradlinig. Vielleicht, weil sie eine Frau ist, was ja verzeihlich wäre, aber vor allem, weil sie es so will. Das regt mich noch heute auf, obwohl unser Disput vier Tage her ist. Es war nämlich so: Wir wollten die Stephanskirche besichtigen, weshalb ich mir gleich am Abend unserer Ankunft auf dem Stadtplan angesehen hatte, wie wir diese Sehenswürdigkeit von unserem Quartier aus (die R. findet es hübsch, ich vermisse europäischen Standard) zu Fuß erreichen können. Die R. will ja immerzu laufen. Der Weg war ganz einfach: links heraus, eine unaussprechliche Straße hinunter, rechts abbiegen und über den Fußweg an der Schnellstraßenbrücke. In 15 Minuten wären wir da gewesen. Als wir aber an der Schnellstraße standen, fragte mich die R., ob es nicht einen anderen Weg gebe. Es sei doch "schrecklich", auf dem schmalen Fußgängerweg laufen zu müssen, neben all dem Verkehr, und der Lärm sei auch unaushaltbar. Ich erklärte der R. geduldig, dies sei nun einmal der kürzeste Weg, und in einer Großstadt müsse man eben auch mit Verkehr und dem von ihm ausgehenden Lärm zurechtkommen. Die R. wollte sich aber nicht zufriedengeben und verlangte doch tatsächlich, in den Stadtplan zu sehen. Die R., die nie weiß, ob sie nach Norden oder Süden läuft, vom Rest ganz zu schweigen! Die kein Orientierungsvermögen besitzt und sich eine Wegstrecke anhand von "schönen Häusern" und dergleichen merkt, weshalb sie ja im Dunkeln nichts wiederfindet!

Diese Person ohne inneren Kompass also wollte in den Stadtplan sehen. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie ihn verkehrt herum gehalten hätte, aber es war ja so schon schlimm genug: Man müsse doch nur durch das kleine Viertel hier mit seinen Gässchen gehen, dann käme man auch zur Stephanskirche.

Lieber P., du weißt, ich bin ein verständnisvoller Mensch. Aber warum sollte ich durch ein Gewirr von Gassen irren, wenn ich doch weiß, wie ich unkompliziert an mein Ziel gelange? Die R. behauptete, auf dem Umweg sei womöglich etwas zu entdecken, und für einen Gesamteindruck sei es nie verkehrt, sich auf Abschweifungen einzulassen. Als ich sie aber ausfragte, was genau sie zu entdecken gedächte, wusste sie keine Antwort.

Unser Weg über die Schnellstraßenbrücke war erwartungsgemäß der vernünftigste, aber die R. eine Zeit lang recht zickig und schnippisch. In der Mitte der Brücke wollte sie am Geländer fotografiert werden, aber darauf ließ ich mich nicht ein. Ich habe dann sehr gute Aufnahmen von der Kirche gemacht.

Später versöhnten wir uns wieder, allerdings nur für kurze Zeit. Wir hatten noch die Burg besichtigt und waren am Donaukai entlanggeschlendert, und die R. durfte das Lokal für unser Abendessen aussuchen. Ein wenig klein und für meinen Geschmack zu balkanisch war es schon in der Gaststätte, aber ich merkte, die R. wollte nicht diskutieren. Auf dem Heimweg machte die R. dann ein Weinlokal aus und wollte unbedingt hineingehen. Ich ließ mich überreden, denn im Urlaub soll man ruhig fünf gerade sein lassen. Allerdings bestand ich dann schon darauf, es nicht endlos auszudehnen. Ich meine, ein Glas genügt, damit man die Atmosphäre erfasst - und die R. wollte wissen, ob wir auf Kur seien.

Der nächste Tag verlief nicht viel besser. Erst war es der R. peinlich, wie ich versucht hatte, Briefmarken zu kaufen. Sie meinte, ich hätte nicht deutsch sprechen sollen, sondern es auf Ungarisch versuchen müssen. Ich hatte aber genau gemerkt, dass sich die Dame im Zeitungsladen absichtlich taub stellte und, um ihr das zu verdeutlichen, unbeirrt weitergesprochen. Nur jedes Mal etwas lauter. Dass die R. sich dann vordrängelte, "Botschanott" murmelte und plump gestikulierend ein Briefmarkenaufkleben zum Besten gab: Das war mir peinlich.

Beim nächsten Mal fährt sie allein Bild: Janos Pal Toth/sxc

Das Schlimmste stand mir allerdings noch bevor. Weil ich ja doch etwas unzufrieden mit dem Restaurant vom Vorabend gewesen war, suchte ich eins aus. Und zwar ein großes, denn wenn man schon in Budapest ist, dann will man ja wohl auch einmal zünftig ungarisch essen, in klassischer Atmosphäre. Zugegeben, das war schon ein Riesenladen, in dem wir dann saßen. Und außer uns waren nur sehr wenige weitere Leute da - warum dann für so wenige Gäste ein ganzes Orchester im Hintergrund spielt, wird mir ewig schleierhaft bleiben. Als dann die Vorspeise kam, eine Suppe, setzte sich das Orchester in Bewegung. Es marschierte direkt auf unseren Tisch zu, und der erste Geiger - ein kleines Männchen mit öligem Schnurrbart - sprach mich an. Was wir hören wollten, fragte er. Auf Deutsch, denn sie können es ja doch! Daran wollte ich gerade die R. nachdrücklichst erinnern, aber sie reagierte gar nicht auf mich, sondern unterstützte diesen schmierigen Kerl auch noch. Was wir hören wollten, hätte der Mann gefragt.

Es ist ja aber so, dass einem in solchen Momenten nichts einfällt. Nichts. Weiß man überhaupt, was die spielen können? Ich sagte also, sie könnten es selbst auswählen. Der Geiger beugte sich daraufhin vor und flüsterte in unverschämt vertraulichem Ton: "Love Story". Alsdann fiedelte er mit seinem Bogen über unsere Suppen hinweg, dass es nur so eine Art hatte. Es gelang mir kaum, den Löffel unfallfrei zum Mund zu führen. Aber die R. sagte jetzt, ich sollte dem Geiger Geld geben. Das sah ich nicht so. Die R. mag ja auch schon im Ausland gewesen sein, über die Gepflogenheiten in großen Budapester Restaurant weiß sie nichts. Woher auch? Sie blieb jedoch unangenehm hartnäckig. Die Musiker müssten ein Trinkgeld bekommen, dann verschwänden sie auch wieder. Du kannst dir vorstellen, wie schwer es war, die Situation noch überblicken zu können: hier die gnadenlos insistierende Frau, dort der Geiger mit seiner Truppe, mittendrin meine erkaltende Suppe. Dann geschah etwas Unerhörtes - die R. gab mir einen Tritt unter dem Tisch. Nur um des lieben Friedens willens legte ich also ein paar Forinth neben meine Serviette. Der Geiger schnappte sie sich, und tatsächlich entfernte sich das Orchester. Wahrscheinlich wäre es aber auch so verschwunden, denn (das versuche ich nun schon seit gestern der R. zu vermitteln) den Obolus für die Musiker hätte ich doch auch mit der Rechnung begleichen können und wollen.

Jetzt weiß ich nicht, wie die nächsten Urlaubstage verlaufen werden. Die R. hat mich "weltfremd" genannt und einiges mehr. Wenn sie sich nicht grundlegend ändert, wird es mit uns nichts Rechtes, fürchte ich.

Schöne Grüße aus Budapest

Dein M.

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