Debatte SPD: Agenda der flotten Ironiker

In der SPD tobt ein ungewöhnlich harter Machtkampf. Siegen die Parteirechten um Frank-Walter Steinmeier, sind die Perspektiven für die Zukunft düsterer als je zuvor.

Es ist kein gewöhnlicher Machtkampf, selbst für die SPD nicht. Als Andrea Ypsilanti nach der Hessen-Wahl ihre Pläne bekannt gab, sich mit Unterstützung der Partei Die Linke zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, verkehrte sich die Euphorie des vermeintlichen Wahlsieges in eine bittere Fehde. Parteichef Kurt Beck, der ihr Unterstützung signalisierte, bekam das geballte Destruktionspotenzial des rechten Parteiflügels zu spüren, der sich gegen eine Öffnung zur Linkspartei und eine Aufweichung der Agenda 2010 zur Wehr setzte.

Sicher, der Kurswechsel war nicht klug kalkuliert, geschickt und vorausschauend. Vor allem die Auswahl des Zeitpunkts für eine Öffnung zur Linkspartei war fatal. In der Tat konnte man Ypsilanti und Beck einen Glaubwürdigkeitsverlust attestieren, wurde doch vor der Wahl immerfort die Unvereinbarkeit mit der Linkspartei beteuert.

Im Grunde hat Parteichef Beck aber völlig richtig und rational gehandelt: Die strukturelle Mehrheit des bürgerlichen Lagers im deutschen Parteiensystem ist dahin, und eine klassische Zweiparteienkoalition wird nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. Der SPD bleibt die große Koalition, in der sie aber auf mittlere Sicht der Juniorpartner sein wird. Will sie im neuen Fünfparteiensystem den Kanzler selber stellen, kann sie das nur mit einer Ampel- oder einer Rot-Rot-Grünen-Koalition. Doch während die Unterschiede zur Westerwelle-FDP groß sind - ein Mindestlohn ist mit ihr nicht zu machen -, sind die Hürden zur Linkspartei zwar hoch, aber nicht unüberwindbar.

Das Problem ist: Die SPD zerfällt im Augenblick in zwei Lager, die sich gegenseitig neutralisieren und die Partei nahezu jeder Handlungsfähigkeit berauben. Auf der einen Seite stehen die Parteilinken und die Pragmatiker wie Beck und der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit. Im Zweifel unterstützen sie die Agenda 2010, weil auch sie das wirtschaftsliberale Denken teilen. Vor allem aber fürchten sie den Niedergang der SPD und haben eine realistische Sicht künftiger Machtperspektiven. Deshalb haben sie auf dem Hamburger Parteitag eine moderate Linkskorrektur durchgesetzt.

In Verkehrung zu den 1970er Jahren sind heute die Parteirechten die Ideologen in der Partei. Die zuvor nur lose verkoppelte Parteirechte hat im letzten halben Jahr ihre Kräfte gebündelt. Zu ihr zählen nicht nur der Seeheimer Kreis, sondern mittlerweile auch die Gruppierung der Netzwerker. Koordiniert wird die erneuerte Parteirechte von Finanzminister Peer Steinbrück, ihre wichtigsten Aushängeschilder sind Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Exparteichef Franz Müntefering. Nichts fürchten sie mehr als einen Linksschwenk der Partei und die Aufweichung der Agenda 2010.

Die Parteirechten haben soziologisch und politisch ihre Basis vor allem in der Exekutive: Opposition halten sie für Mist. Sie artikulieren weniger die Interessen der gesellschaftlichen Basis der SPD, sondern denken wie Manager der Deutschland AG - Steinbrück als Finanzvorstand, Steinmeier als Handelsreisender und Müntefering als Arbeitsdirektor.

Die Parteilinken und die Pragmatiker stützen sich auf die Mehrheit der Parteibasis. Ohne selbst ein Linker zu sein, nutzte Beck im letzten Herbst diesen Rückhalt für den Machtkampf mit Müntefering, aus dem er gestärkt hervorging. Aber er beging den Fehler, Steinbrück und Steinmeier als seine Stellvertreter zu nominieren. Zwar machte er auch die prominenteste Parteilinke, Andrea Nahles, zur stellvertretenden Vorsitzenden, aber versäumte es, pragmatische Politiker aus Ostdeutschland wie Jens Bullerjahn oder Klaus Wowereit in die Führungsspitze zu holen.

Becks Gegner setzen auf eine ebenso perfide wie erfolgreiche Taktik: Durch ein Tremolo von Attacken bringt man die Führung so stark aus dem Tritt, bis sie über ihre eigenen Füße stolpert. Die Parteirechte versucht zudem, Becks desaströse Umfragewerte für ihre Zwecke zu nutzen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier soll Kanzlerkandidat an Stelle des amtierenden Parteichefs werden - und einen Linkskurs verhindern. Zweifel an Beck hegte man schon am Beginn seiner Zeit als Vorsitzender. Im Treibhaus der Politik aus Hauptstadtjournalisten, Beratern, Lobbyisten, Abgeordneten und ihren Mitarbeitern gilt der Pfälzer als provinziell und behäbig. Geschätzt dagegen werden andere Typen: die Macher, die Entrepreneure der Macht, die flotten Ironiker.

Steinmeier erscheint im Berliner Treibhaus als der ideale Kandidat. Auch in Umfragen schlägt er Kurt Beck um Längen; er ist der mit Abstand beliebteste SPD-Politiker. Aber heißt das auch, dass man mit Steinmeier einen Wahlerfolg erzielen kann? Umfragen sind ja keinesfalls identisch mit der Fähigkeit, erfolgreich als Kanzlerkandidat zu reüssieren. Becks Umfragewerte waren und sind schlecht, weil die der SPD schlecht sind, deren Zerrissenheit er verkörpert. Steinmeier wird vor allem als Außenminister bewertet, der bei Staatsempfängen lächelt und regelmäßig deutsche Geiseln im Ausland diskret befreien lässt.

Was dabei gerne unterschlagen wird: Der erfolgreichste Wahlkämpfer der SPD ist - Kurt Beck. Niemand hat es in den letzten Jahren besser vermocht, seine Mehrheit in einem obendrein überwiegend ländlich-konservativem Bundesland sogar noch auszubauen. Auch bei den SPD-Mitgliedern ist Beck beliebter als Steinmeier. Gemessen am Wahlerfolg folgt auf Beck der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit, der in seiner Landesregierung die Linkspartei domestiziert und deren Stimmenanteil bei den letzten Wahlen fast halbiert hat.

Steinmeier hat sich noch nie der Wählergunst gestellt, noch nie einen Wahlkampf als Spitzenkandidat bestritten. Das entscheidende Kriterium für den künftigen Kanzlerkandidaten der SPD ist nicht, wie beliebt er in der gesamten Bevölkerung - also auch bei den FDP- und CDU-Anhängern - ist. Sondern: Wie weit kann der Kandidat das sozialdemokratische Lager mobilisieren, die Partei einen und in die Schlacht führen? Kann das Steinmeier, der noch nie ein Parteiamt ausgeübt hat, bevor er stellvertretender Parteivorsitzender wurde? Immerhin wird er von allen politischen Gegnern in höchsten Tönen gelobt und demnach offenbar nicht ernsthaft gefürchtet. Zudem darf man getrost bezweifeln, dass gerade Steinmeier als Architekt der Agenda 2010 die Partei hinter sich vereint.

Wäre es ein gewöhnlicher Machtkampf zwischen rivalisierenden Zentren in der Partei, könnte Beck einfach sagen: Soll Steinmeier es doch machen. Denn für die Wahl 2009 sieht es für die SPD mau aus. Sollte die globale Finanzkrise der SPD die Wähler nicht massenhaft zuspülen, ist ein Wahlsieg nahezu ausgeschlossen. Die Parteirechte würde sich verbrauchen. Aber es ist kein gewöhnlicher Machtkampf. Es ist der Kampf um die Zukunft der SPD als linke Volkspartei. Unterliegt der Pragmatiker Beck der Parteirechten, ist die Zukunft düsterer denn je.

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