Kolumne Einen Versuch legen: Der Raub des Feuers

China hat sich längst zum Souverän des Olympismus aufgeschwungen. So war das Geschenk des IOC nicht gemeint

Mit der olympischen Fackel geht die chinesische Friedensbotschaft um die Welt. Die Botschaft begleitet, in blaue Trainingsanzüge gekleidet, die Fackelläufer. In den Anzügen stecken aber nicht die Jugendsportler, die den Behörden in Paris und London angekündigt waren. Die Einsatzleiterin in San Francisco sah mit Entsetzen, dass sie rabiate "Ninja-artige" Krieger schützen sollte. Die Spiele sind der chinesischen Nation vom IOC kniefällig überreicht worden, mit der Bitte um Öffnung des Binnenmarkts. Das Geschenk ist in Beijing als Freibrief verstanden worden, ein günstiges Umfeld der Spiele nach Art des Hausherrn zu schaffen, der für die Gäste einen Ausnahmezustand vorbereitet.

Auch wenn man kein Carl-Schmidt-Leser ist, begreift man, dass sich China gerade zum Souverän des Olympismus gemacht hat. So war das Geschenk nicht gemeint. Von China hat das IOC erhofft, dass es mit den Olympischen Spielen das macht, was bisher alle rabiaten Gastgeber mit ihnen gemacht haben: sich das Ereignis nationalistisch anverwandeln. Aber nicht zu auffällig, und immer mit Bezug auf das antike Olympia.

Die Fackel ist, wie endlich allgemein bekannt, von den Nazis erfunden worden. Aber nicht das olympische Feuer. Es gibt, jenseits des albernen Fackellaufs, die historische Tatsache, dass im Olympia der Antike ein Feuer entzündet wurde. Es war das Feuer der Opferrituale für Pelops und Zeus. Ein Opfer hatte in Griechenland, wie in vielen anderen Kulturen auch, im Wesentlichen den Sinn einer Versöhnung der Menschen mit den höheren Mächten. Nachdem das Opfer vollzogen worden war, kam der Friede, die Ruhe, die Übereinstimmung der Menschen mit der Natur, mit der eigenen Natur und der Natur des Kosmos. Wir kennen keine Opfer mehr, und das ist sicher gut so. Aber wir können heute durchaus noch verstehen, was eine solche Zeit der Ruhe und Versöhnung bedeutet. Es gab bei Olympischen Spielen in der Vergangenheit Augenblicke, in denen die Beteiligten eine solche Stimmung gespürt haben. Es waren Momente, in denen die Gastgeber ihre Gäste nicht mit politischen Ambitionen, Prahlerei und nationaler Großmannssucht verschreckten.

Aus der jüngsten Geschichte sind die Spiele in Barcelona und Sydney als solche friedlichen Ereignisse in Erinnerung. Dort hat man der Welt einen Ort für alle Teilnehmer und alle interessierten Zuschauer angeboten, an dem sich die Athleten ungehindert auszeichnen und äußern konnten. Freier Wettstreit im Stadion und freie Beteiligung auf den Rängen schuf eine Verbindung zum antiken Olympia. Wenn man mit sich und der Welt versöhnt ist, kann man ruhig die Besten gewinnen lassen.

In der Vergangenheit gab es Olympische Spiele, bei denen es den Gastgebern auf etwas ganz anderes ankam: Die Spiele wurden angeeignet wie ein geraubter Besitz. Nicht die Vielfalt der Wettkämpfe und die Sieger waren bei solchen Ereignissen wichtig, sondern das höchstmögliche symbolische Gewicht, mit dem man diese belasten kann. Die Spiele wurden zu einem Symbol für die Leistungskraft der Nation, für die Organisation ihrer menschlichen Ressourcen, die Überlegenheit ihrer kulturellen Tradition. China besitzt dies alles in ungleich höherem Maße als all jene Nationen, die sich die Spiele in der Vergangenheit zu eigen gemacht haben. Es vermag aus den verschiedenen Quellen seiner Vergangenheit und Gegenwart alles herauszuholen, was ein weltweites Publikum fasziniert: Massenszenen, bunte Spektakel mit Feuerwerk, perfekt gedrillte Körper, ein jubelndes Publikum, ein neues Stadion in einem radikal planierten Umfeld - und ein funktionierendes Zensurwesen.

Auf die Olympischen Spiele sind schon in der Vergangenheit Schicht um Schicht nationale Symboliken aufgetragen worden. Coubertin selbst hat, um seiner Erfindung Bedeutung zu geben, die Nationen der Welt zu einem solchen Symbolrausch eingeladen. Das Feuer von Olympia wurde von ihm zu einem Symbol des Fortschritts umgedeutet: zum Feuer des Prometheus. In der französischen Mythologie seiner Zeit war dieser Gott, der das Feuer raubte und es den frierenden Menschen brachte, le génie de lélectricité. China hat schon angedeutet, dass es sich des Feuers bemächtigt, um der Welt den Olympismus in einem neuen grellen Licht vorzuführen.

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