Bund jüdischer Soldaten: Antisemitismus nicht verdrängen

2006 gründete Michael Berger den Bund jüdischer Soldaten. Dem Offizier geht es um Gedenken an jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg und Antisemitismus bei der Bundeswehr heute.

Einer, dem alles zackige fehlt: Offizier Berger (mit Oberrabbiner Leitman). Bild: dpa

1964: Michael Berger wird in Stuttgart geboren. Nach dem Abitur studiert er Geschichte in Heidelberg.

1988: Berger tritt in die Bundeswehr ein. Erster Dienstort ist das Gebirgsartilleriebataillon 81 in Kempten (Allgäu). Später dient er in Strausberg und im Stab des Standortkommandos Berlin.

2006: Im Oktober wird Hauptmann Berger Mitarbeiter im Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr in Potsdam. Am 8. November 2006, am Vorabend des Jahrestages der Pogromnacht, gibt er mit anderen Soldaten der Bundeswehr in Gerolstein die Gründung des Bundes jüdischer Soldaten bekannt. Berger wird Vorsitzender. GES

Jetzt muss er kämpfen. Michael Berger ächzt kurz auf, verringert das Tempo, die Gesichtsmuskeln spannen sich an. "Ich muss zurückbleiben", sagt der Hauptmann in seiner Ausgehuniform. Die Knie, die bald operiert werden sollen, wollen nicht mehr, sagt er dem Kameraden an seiner Seite, einem ungemein gesund wirkenden Presseoffizier mit mächtigem Unterkiefer. Fast humpelnd marschiert Berger weiter. Nur jetzt nicht schlappmachen. Da endlich ist das Denkmal erreicht. Es liegt mitten im größten jüdischen Friedhof Europas in Berlin-Weißensee. Hier ruhen die im Ersten Weltkrieg gefallenen Söhne der jüdischen Gemeinde Berlins. Und die Bundeswehr, im Feldgrau wie einst die Wehrmacht, ehrt sie.

Der 44-jährige Berger ist Offizier der Bundeswehr - und daran wäre nichts Besonderes. Aber der gebürtige Stuttgarter gehört zu den nur etwa 200 jüdischen Soldatinnen und Soldaten unter den rund 250.000 Männern und Frauen in der Bundeswehr - statistisch genau werden sie nicht erfasst. Zum Vergleich: Muslime soll es mehrere tausend geben. Berger, vor 20 Jahren eingetreten in die Bundeswehr beim Gebirgsartilleriebataillon 81 in Kempten im Allgäu, kümmert sich um seine jüdischen Kameraden, um die lebenden, noch mehr jedoch um die toten. Er ist der Vorsitzende des Bundes jüdischer Soldaten (RjF). Und die Polizei sorgt sich um seine Sicherheit, weil er dies ist. Bedroht von Antisemiten "aus Ihren eigenen Reihen", wie das Landeskriminalamt ihm berichtet hat. Was hält ihn hier?

In Potsdam hat Berger sein Büro. Wenn er aus dem Fenster schaut, blickt er in einen kleinen Park, der von der Havel begrenzt wird. Seit Oktober 2006 ist Berger Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA), einer wissenschaftlichen Einrichtung der Bundeswehr. Das Amt ist in einer prächtigen weißen Villa, der "Villa Ingenheim", untergebracht. Das passt. Hier wohnte einst der zweite Sohn von Kaiser Wilhelm II., Prinz Eitel Friedrich, ein Veteran des Ersten Weltkriegs. Hier war später unter anderem der sowjetische Geheimdienst NKWD zu finden, dann die Kasernierte Volkspolizei, das Militärgeschichtliche Institut der DDR - ehe am 3. Oktober 1990 die Bundeswehr den Laden übernahm. Doch die Atmosphäre ist zivil, keine Wachen am Eingang, niemand salutiert hier.

In Uniform öffnet Berger die Tür zu seinem Büro. Ein Schreibtisch, ein Regal, zwei Stühle für den Reporter und einen Presseoffizier sowie ein Aquarium mit bräunlichen Zierfischen passen gerade so hinein. Es sieht nach Arbeit aus. Da ein Stapel Bücher aus der Bibliothek, dort Kopien eines Aufsatzes über den "Anteil der jüdischen Freiwilligen an dem Befreiungskriege 1813/14". An der Wand ein Poster der Altstadt Jerusalems und ein Kalender der jüdisch-orthodoxen Vereinigung Chabad Lubawitsch.

"Das ist meine Burg", sagt Berger, "es geht mir gut hier." Die Berufung an diese Stelle war wie "ein Sechser im Lotto", sagt er. Als "Fachdienstoffizier" hat er laufbahnmäßig das Ende der Fahnenstange erreicht. Dank seines Buches "Eisernes Kreuz und Davidstern" über die Geschichte jüdischer Soldaten in deutschen Armeen seit den Befreiungskriegen hat er seinen Traumjob gefunden. Das sei eine "heile Welt" hier, sagt Berger. Aber außerhalb des MGFA wird es für ihn als jüdischen Soldaten mühsam. Weil er gefährdet ist, stehe er in einem "Sicherheitsrahmen", wie Berger möglichst wolkig formuliert: "Nicht Personenschutz, sondern Objektschutz." Das heißt, die Wohnung sei gesichert - "mit recht aufwendigen Mitteln".

"Sicherheitsgründe" nennt Berger auch als Grund, weshalb er darüber schweigt, wie es ihn zum Bund verschlug. In Heidelberg habe er Geschichte studiert, mehr ist nicht zu erfahren - alles Nachfragen ist umsonst. Über seine eigene (Familien-) Geschichte will er ebenfalls nichts preisgeben. Ist Deutschland auch für ihn, wie einst für Bundespräsident Gustav Heinemann, ein "schwieriges Vaterland"? "Nein", sagt er nur knapp. Auch die pathetische Frage, ob er für Deutschland sterben würde, irritiert ihn eher - und tatsächlich wirkt das Sterben in Afghanistan hier an der Potsdamer Seenplatte doch sehr weit weg. Seinem Schwiegervater und dessen Vater Maximilian Leib Rohrlich, einem Leutnant im Ersten Weltkrieg, hat Berger sein Buch gewidmet. Dieser Offizier, "der die militärische Tradition der Familie meiner Frau begründete", schaut grimmig aus dem Buch heraus.

Welch Kontrast zu Berger! Der hat etwas Sanftes, Ziviles, seine Haare verlieren schnell die Form. Als er auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee vor dem Ehrenmal für die jüdischen Gefallenen salutiert, ist sein Gesicht bewegt. Alles Zackige fehlt. Ein Trompeter intoniert "Ich hatt einen Kameraden", ein Kantor singt ein Gebet. Sind es nur die Knie, oder warum wirkt es so ungelenk, wenn Berger, unter Trommelwirbel, sich niederbeugt, um die blauweißen Schleifen seines Kranzes zurechtzuzupfen?

Den Bund jüdischer Soldaten, 2006 von Bundeswehrsoldaten gegründet, treibt vor allem das Gedenken an jüdische Todesopfer früherer Kriege um - die Interessenvertretung heutiger jüdischer Soldaten ist bisher zweitrangig. Das wird deutlich in Bergers Potsdamer Burg. Selten wird er hier emotional. Aber einmal schon, als er, etwas schief, sagt: "Wenn jemand unsere Ehre, die Ehre der ehemaligen jüdischen Soldaten, angreift, dann wehren wir uns, das geht zu weit."

Im Ersten Weltkrieg marschierten anfangs viele der 100.000 jüdischen Soldaten, scheinbar nun endlich akzeptierter Teil des Vaterlands, mit nationaler Inbrunst in die Schlacht - um dann festzustellen, dass der patriotische Eifer ihnen nicht half. Im Gegenteil: Eine vom preußischen Kriegsministerium während des Krieges durchgeführte "Judenzählung" sollte feststellen, ob sie genauso tapfer seien wie ihre nichtjüdischen Kameraden. Von den 30.000 zwischen 1914 und 1918 mit einem Tapferkeitsorden ausgezeichneten Frontsoldaten jüdischen Glaubens wurden Ungezählte in den KZs ermordet. Und viele konnten es bis zum letzten Augenblick nicht glauben, dass ihr geliebtes deutsches Vaterland ihnen dies antun konnte.

Die Ehre der Toten. Und die der Lebenden? Seit Berger dem Bund jüdischer Soldaten vorsteht, erhält er antisemitische E-Mails, die nach Einschätzung des LKA und des Militärgeheimdienstes MAD von Leuten kommen, "die die Materie kennen", wie Berger sagt. "Zutiefst verletzend" war etwa ein Gedicht, wonach "die Juden", schön verschwörungstheoretisch, an allem Übel der Erde schuld seien.

Für ihn, sagt Berger, sei "nicht der Keulen schwingende Skinhead aus Guben" das Problem. Eher der antisemitische Mist, den - meist ehemalige - Offiziere der Bundeswehr verzapften. Eine antisemitische Mail mit ganzer Adresse reichte er einmal der Staatsanwaltschaft weiter. Die wollte kein Verfahren einleiten. Begründung: Dies sei weder eine Beleidigung noch Volksverhetzung. Auch eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft brachte nichts. "Da schüttele ich den Kopf", sagt Berger vorsichtig.

Klarer hat es der Vizevorsitzende seines "Bundes", der Generalstabsoffizier Gideon Römer-Hillebrecht, in einem Vortrag formuliert: Demnach berichteten in den vergangenen Jahrzehnten die "wenigen Juden" in der Bundeswehr "durchweg von Erfahrungen mit antisemitischen Äußerungen oder einem unkritischen Umgang mit Wehrmachtstraditionen".

Mag die Bundesführung da auch tapfer dagegenhalten und Anflüge von Antisemitismus und Wehrmachtsverherrlichung in der Truppe bekämpfen, wie Berger glaubhaft versichert: Wer sich als jüdischer Soldat in manchen Einheiten einer schiefen Traditionspflege verschließe, könne daran zerbrechen, wie Römer-Hillebrecht und Berger sagen. Ein jüdischer Berufsoffizier sei psychisch krank geworden, berichtet Berger in seiner Burg: "Wenn du einmal der Feind bist, machen die dich fertig."

Er selbst, erzählt Berger, habe in seinen vielen Jahren bei der Bundeswehr nur fünf- oder sechsmal antisemitische Anfeindungen durch Kameraden erfahren - nach dem Motto: "Mit Juden trinke ich kein Bier." Er habe das dann immer unter vier Augen zu klären versucht und eher selten höhere Stellen informiert oder gar juristische Schritte unternommen. Das Ganze nicht zu verdrängen sei aber wichtig: Sonst drehten die Geschichtsrevisionisten und Antisemiten "die Schraube immer weiter", sagt Berger. Insgesamt aber sei der Antisemitismus in der Bundeswehr wohl nicht stärker ausgeprägt als im Schnitt der Gesellschaft, meint er. Vielleicht sogar weniger, weil zumindest die Führung in dieser Hinsicht immer einen "Selbstreinigungsmechanismus" in der Armee fördere. "Ich muss ja fair bleiben", sagt Berger.

Es ist Freitag, der Schabbat naht, Hauptmann Berger geht noch in den Gottesdienst. An der Joachimstaler Straße in Berlin steht das in Deutschland vor Synagogen übliche Polizeiauto, israelische Sicherheitsmänner passen ebenfalls auf. Das Gotteshaus ist voll. Dutzende israelische Soldaten, zu Besuch hierzulande, füllen den Saal. In Uniform stecken die meisten, trotzdem verbreiten fast alle diese typische israelische Lässigkeit.

Berger hat keine Uniform an. Nur in Zivil gehe er in die Synagoge, erklärt er. Jüdische Soldaten in einem deutschen Waffenrock werden in den Jüdischen Gemeinden oft mit zwiespältigen Gefühlen bedacht, gerade vonseiten der Holocaust-Überlebenden. Berger steht am Rande des weiß-goldenen Gebetssaals, murmelt routiniert die Gebete. Als die Gemeinde zu singen anfängt, packt er seinen Mantel, setzt sich einen bayerisch anmutenden Hut auf den Kopf und verlässt die Synagoge. Kalter Winterregen weht Berger ins Gesicht.

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