Architektur der Hessen-CDU: Kochs Kampfverband

Wäre die Hessen-CDU ein normaler Landesverband - Roland Koch wäre nach 2008 wohl nicht mehr ihr Chef. Nirgendwo sonst in Deutschland agiert die CDU so geschlossen. Wie kommt das?

Über die Jahre ausgeblichen oder einfach nur blass? Kochs Konterfei am Wahlkampfbus. Bild: dpa

Musik mit Trommeln und Fanfahren dröhnt aus den Lautsprechern. Die Luft ist schon stickig, die documenta-Halle in Kassel ist überfüllt, viele der fast 1.000 CDU-Anhänger müssen stehen. Viertel nach sechs treffen Angela Merkel und Roland Koch ein, dicht hinter ihm sein Innenminister, seine Sozialministerin und andere Ranghohe. "Ich darf Ihnen sagen, dass wir hier in kompletter Frau- und Mannstärke angetreten sind", meldet der Generalsekretär der Hessen-CDU.

Dieser Landesverband ist einzigartig, dass sagen alle, mit denen man in der CDU darüber spricht. Ob in Rheinland-Pfalz oder Sachsen - häufig schon wenn eine Wahlpleite droht, aber ganz sicher danach geht anderswo das Durcheinander los. In Interviews werden kleine Gehässigkeiten gesagt, Journalisten bekommen Geheimnisse gesteckt und Scherbengerichte werden angesetzt. Der Chef rettet sich bestenfalls mit Zugeständnissen. In Hessen läuft es nicht so.

Warum nur? 12 Prozentpunkte hat Koch bei der Landtagswahl im Januar 2008 verloren, etliche Abgeordnete und Mitarbeiter mussten sich neue Jobs suchen. Er hat es überlebt. Die Geschlossenheit ist - neben der Schwäche der SPD - der Grund, dass Koch jetzt hier in Kassel als Spitzenkandidat auftreten darf.

"Die Geschlossenheit fällt nicht vom Himmel", sagt Kochs Regierungssprecher Dirk Metz. "Es gibt einen Geist des Zusammenhaltes." Metz selbst hat davon profitiert. Er ist der engste Vertraute von Roland Koch, an der Angstkampagne gegen jugendliche Straftäter hat er mitgeplant und mitgetan. Dass aber nicht mal er geopfert werden musste, liegt nicht daran, dass die hessische CDU so rechts ist. Sondern so geschlossen.

Die CDU in Hessen war ein mickriges Gebilde nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Leute hielten sie für eine Neuauflage der katholischen Zentrumspartei. Mit der wollten gerade die überwiegend evangelischen Nordhessen nichts zu tun haben. Die SPD stellte die Ministerpräsidenten. In Nordhessen soll es Dörfer gegeben haben, wo CDU-Kandidaten mit faulen Äpfeln beworfen wurden. Wenn sie es in die Gemeinderäte schafften, waren sie die Minderheit. Sie rückten zusammen.

Dann kam Alfred Dregger. Als er 1967 die Partei übernahm, hatte sie nur 26 Prozent bei der Landtagswahl geholt. Aber Dregger aus dem katholischen Osthessen war Oberbürgermeister von Fulda und das Regieren gewohnt: "Wir wollen die Mehrheit in Hessen gewinnen!", rief er auf einem Parteitag in Eltville. Dregger war im Zweiten Weltkrieg Bataillonskommandeur gewesen. Er nahm die Verschworenheit der Außenseiterpartei, flößte ihr Selbstbewusstsein ein und verlangte Disziplin. Im Landtagswahlkampf 1970 zeigte ein CDU-Plakat nicht Dregger als Person. Er war als Kopf einer marschierenden Truppe zu sehen.

Die Erfolge kamen, die hessische CDU wurde eine Volkspartei. Bei Kochs und Merkels Wahlkampfauftritt in der Kasseler documenta-Halle ist das Publikum unterschiedlich. Ein Paar, das nach Junger Union aussieht, hält Händchen. Ein schwerer Mann mit bequemer Hose, die er vermutlich auch im Stall anhat, quetscht sich auf seinen Stuhl. Ein Herr mit Designerbrille bewegt sich gemessen.

Koch hat Dreggers Struktur gepflegt. Es ist eine Art Ausgleichssystem. Die Partei wird straff und zentralistisch geführt, doch die Regionen werden versorgt und jeder darf seine Meinung sagen. Intern. "Das Prinzip ist: sehr große Offenheit nach innen und eine starke Geschlossenheit nach außen", sagt Koch selbst. Das funktionierte auch nach seiner Wahlniederlage. Auf einer CDU-Klausursitzung in Bad Wildungen kam ordentlich Kritik. Fünfzig CDU-Funktionäre sollen sich zu Wort gemeldet haben. Das erfährt man heute. Damals drang nichts nach außen.

Damit im Gleichschritt marschiert wird, gibt es Kontrollen. Abgeordnete müssen ihre Erklärungen prinzipiell von der Pressestelle überprüfen lassen. Der Pressesprecher von Fraktion und Landesverband ist stets nur eine Person. Die Oberaufsicht hat ohnehin Metz in der Staatskanzlei. Zuwiderhandlungen werden bestraft. "Es gibt die gemeinsame Haltung, dass jemand nicht gemocht wird, wenn er auf eigene Rechnung spielt", sagt Koch.

Es ist aber nicht so, dass es nie Machtkämpfe gibt in diesem Landesverband. Zum Beispiel jung gegen alt. Anfang der Achtziger haben sich viele heute Mächtige der Partei diskret auf der Autobahnraststätte Wetterau zur Tankstellenconnection zusammengeschlossen, um nach vorne zu kommen. Es gab auch Kampfkandidaturen wie 1991, als Koch und Manfred Kanther um den Fraktionsvorsitz rangen. "Aber danach wird immer darauf geachtet, dass beide Seiten unverwundet aus der Sache herauskommen", sagt Metz.

Nun ist die Frage, was passiert, falls Koch doch nicht die schwarz-gelbe Mehrheit holt, die ihm die Umfragen versprechen. Gäbe es dann Risse? Würde der Gehorsam verweigert? Vermutlich würde er selber abtreten.

Aber so sieht die Lage nicht aus. Eher danach, dass sein Einfluss in der Bundes-CDU wächst. Dort hätten das die Leute aus dem Wirtschaftsflügel gerne.

In Kassel sitzt Angela Merkel in der ersten Reihe, als Koch redet. Er war überaus loyal zu ihr in den vergangenen Monaten. Und sie zu ihm. Vielleicht kann man sagen, dass es zwischen den beiden ein bisschen so war wie in der Hessen-CDU. Nichts Böses drang nach außen, sie halfen sich, die Verhältnisse waren klar: Sie war die Ranghöhere. Jetzt sitzt sie in der ersten Reihe, als Koch redet. "Wir wollen dem Bund keine unnötige Arbeit machen", sagt er. "Aber helfen würden wir schon ganz gern." Er meint damit die Hessen-CDU. Und sich selbst.

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