Werbung für Atomkraft: Störfall Frau

Frauen sind in Deutschland eher Atomkraftgegner als Männer. Das hat jetzt auch die Industrie erkannt: Die emotionale Intelligenz soll den Weg zur Atom-Akzeptanz ebnen.

Die Bewerberin einer früheren Miss-Atom-Wahl versuchte, mit optischen Reizen zu überzeugen. Bild: dpa

Jekaterina Bulgakowa heißt die Siegerin, die sich nun ein Jahr lang die russische "Miss Atom" nennen darf. In einem knappen Bikini und mit sympathischem Lächeln posiert die 25-jährige Angestellte eines Forschungsreaktors am Strand der Schwarzmeerküste. "Ich bin energiegeladen", schreibt sie zweideutig in ihrer sportlichen Präsentation und wirbt damit, wie die anderen Schönheiten, für ein entspanntes Verhältnis zur Atomkraft.

WOMAN IN NUCLEAR

Women in Nuclear (WiN) ist eine weltweite, von der Atomlobby unterstützte Organisation von Frauen, die beruflich mit Atomenergie zu tun haben. Die weltweit 2.000 Mitglieder haben das Ziel, mittels "typisch weiblicher Kommunikation" die Akzeptanz von Atomenergie bei Frauen zu verbessern. Dabei soll ihre Angst vor der Atomkraft ernst genommen, gleichzeitig aber durch das Aufzeigen des Nutzeffekts relativiert werden. Die These der WiN-Frauen: Atomenergie ist in Deutschland eine sichere Sache und notwendig, um die Klimaschutzziele zu erreichen.

GEGNERINNEN

Seit dem Tschernobyl-Unglück im Jahr 1986 engagieren sich Frauen verstärkt gegen Atomkraft. Die "Mütter gegen Atomkraft" fordern den sofortigen Ausstieg angesichts der großen Gefahren bei der Urangewinnung, der Stromproduktion und der Atommüllentsorgung. Über Genanet, die Leitstelle für Gender, Umwelt und Nachhaltigkeit, können sich Frauen vernetzen und weiterbilden. Am 19. März 2009 findet in Berlin eine Veranstaltung zum Thema "Energiepolitik, Klimaschutz und Gerechtigkeit" statt. Mehr Informationen unter www.genanet.de.

Der mangelt es nämlich aufgrund der vielen ungelösten Problemen und Risiken an Akzeptanz - auch in Deutschland. Vor allem Frauen lehnen die Technik ab, je gebildeter sie sind, desto vehementer. Ginge es allein nach ihnen, würden in Deutschland bald alle Atomkraftwerke abgeschaltet.

Ein Problem für die Atomlobby, will sie doch die Laufzeitverlängerung der AKWs mit der nächsten Bundestagswahl durchsetzen. Wenn Schwarz-Gelb in Zukunft die Regierung stellt, könnten sich RWE, Vattenfall, Eon und EnBW noch weitere Jahre über ihrer Meiler freuen. Jedes abgeschriebene AKW ist dann ein Goldesel.

Während man in Russland mit optischen Reizen für die Atomkraft wirbt, sollen Frauen hierzulande auf ihre "emotionale Intelligenz" angesprochen werden. Den Führungsriegen der deutschen AKW-Betreiber, deren Vorstandsposten allesamt mit Männern besetzt sind, liegen feminine Denkweisen jedoch fern. Auch in der zweiten Reihe befinden sich, wie etwa bei der Vattenfall Europe AG, nur zwei Frauen neben 18 Männern im Aufsichtsrat. Um die Damenwahl für sich zu entscheiden, taugt diese Konstellation nicht.

Das Deutsche Atomforum, der Lobby-Verband der AKW-Betreiber, musste daher eine neue Strategie entwickeln und wirbt nun mit einem Frauennetzwerk. Tatkräftig wird der im Herbst letzten Jahres gegründete Verein "Women in Nuclear Germany" (WiN), ein Ableger der in der Schweiz gegründeten internationalen Organisation, unterstützt. Mitglieder sind Frauen, die beruflich in irgendeiner Form mit Atomkraft oder Nukleartechnik zu tun haben.

Ingeborg Hagenlocher, Mitarbeiterin in der Atomtechnikbranche, hat den Verein mitinitiiert: "Wir sind überzeugt, dass sich Frauen der Zugang zu einem so komplexen und gleichzeitig emotional besetzten Thema wie der Kernenergie eher in der Kommunikation mit anderen Frauen erschließt." Frauen sollten "aus typisch weiblicher Sicht" auf das Thema angesprochen werden, meint auch Vereinspräsidentin Beate Scheffler, hauptberuflich Leiterin der Unternehmenskommunikation bei einem Atomkraftdienstleister. Soziologische Umfragen zeigen allerdings das Gegenteil: Fragen zur Technik lassen sich Frauen immer noch lieber von Männern beantworten.

Maja Geisler, die sowohl beim Deutschen Atomforum als auch bei den WiN-Frauen die Öffentlichkeitsarbeit leitet, geht davon aus, "dass viele Frauen prinzipiell ängstlicher an das Thema Großtechnologien herangehen". Der Gedanke an den Tschernobyl-GAU, meint sie, löse auch ohne nähere Informationen Angst aus. Hier gelte es, Emotionen abzubauen und Vertrauen zu schaffen. "Unsere Motivation rührt zunächst aus der Überzeugung, dass wir Kernkraftwerke in Deutschland guten Gewissens betreiben können", so Geisler. Auch der Aspekt der Vernetzung mit anderen Frauen sei ihr wichtig - die sind in dieser Branche schließlich noch immer in der Minderheit. Vor 30 Jahren, so erzählt eine Diplom-Physikerin, sei es für sie fast unmöglich gewesen, einen Arbeitsplatz in der Atomindustrie zu bekommen, da man gerade bei (potenziell schwangeren) Frauen das Risiko einer Berufskrankheit nicht eingehen wollte.

Gina Gillig ist Mitbegründerin der "Mütter gegen Atomkraft e. V." und nennt die Annahme, Atomkraftgegnerinnen würden die Fakten zu wenig berücksichtigen, "eine Frechheit und Diffamierung". Sie kommt gerade erst von einer fünfstündigen AKW-Führung mit weiteren Frauen zurück: "Das Wissen, das wir uns über die Jahre angeeignet haben, kommt einem Studium gleich. In unserem Verein arbeiten auch Physikerinnen mit. Wir wissen, wovon wir reden."

Die Atomkraft sei für sie unverantwortbar und stelle "eine existenzielle Gefahr" dar, aus der man sofort aussteigen müsse. Gillig sorgt sich vor allem um das ungelöste Atommüllproblem und die Proliferationsgefahr. Es ärgert sie, dass niemand über die ständigen radioaktiven Ausleitungen der AKWs in die Luft und in die Flüsse spricht. "Ein Atomkraftwerk ist schon im Normalbetrieb ein Störfall, denn je näher ein Kind an einem Atomkraftwerk wohnt, umso größer ist sein Risiko, an Krebs zu erkranken."

Die Mütter gegen Atomkraft e. V. betreiben eine Messstelle zur Überwachung der Luftradioaktivität. Tschernobyl hätte schließlich gezeigt, dass man sich weder auf die Aussagen der Atomlobby - sei es Frau oder Mann - noch auf die Behörden verlassen könne, so Gillig. Etwa tausend Mitglieder hat der Verein, die deutschen WiN-Frauen zählen bislang 60 Unterstützerinnen.

Auch Ulrike Röhr von genanet, der Leitstelle Gender, Umwelt, Nachhaltigkeit, glaubt nicht, dass Frauen der Atomkraft ängstlicher gegenüberstehen, sondern dass sie vielmehr kritischer und risikobewusster seien: "Viele Frauen sehen die ungelösten Problem etwa bei der Entsorgung und der Sicherheit, außerdem die immense Umweltzerstörung beim Uranabbau." Und sie weist auf die Ungerechtigkeit und die Gefahr hin, die das ungleich verteilte Wissen über Atomtechnik mit sich bringe.

Dass die WiN-Frauen auf emotionale Intelligenz setzen, stört sie nicht: "So leicht lassen Frauen sich dann doch nicht für dumm verkaufen." Den Bildern von Atomkraftwerken auf grünen Wiesen stellt Röhr gedanklich eine Uranabbauregion und leidende Menschen gegenüber. "Ich bin optimistisch genug zu glauben, dass Frauen die ganze Komplexität der Atomenergie sehen und sie deshalb ablehnen. Und wie die Atomlobby diese Argumente widerlegen will, ist mir schleierhaft", so Röhr. Im Dezember 2007 wurde dem Deutschen Atomforum e. V. mit einer deutlichen Stimmenmehrheit der Worst EU Greenwash Award, auch Grünfärbe-Sonderpreis genannt, verliehen. Die den Preis auslobende Nichtregierungsorganisation LobbyControl verwies damit auf die bewusst irreführende Werbung der Atomlobby. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz kritisierte bereits, der Verband arbeite mit "Behauptungen statt Fakten".

Dass sich Glaubwürdigkeit auch wirtschaftlich auszahlt, beweist die Entwicklung der Elektrizitätswerke Schönau GmbH (EWS). Das aus einer Bürgerinitiative heraus entstandene Unternehmen verkauft heute Ökostrom an über 80.000 Kunden in ganz Deutschland und ist das Vorzeigeunternehmen des konservativ regierten Ortes im Schwarzwald. Ursula Sladek, Mitgründerin und Geschäftsführerin der EWS, erinnert sich, dass es keineswegs irrationale Ängste waren, die sie nach dem Tschernobyl-GAU zum Handeln angetrieben haben: "Natürlich machten wir uns Sorgen darüber, dass die Milch für unsere Kinder vielleicht radioaktiv verseucht sein könnte." Doch ihre Triebfeder war "vor allem die Wut darüber war, dass energiepolitisch nichts passierte. Obwohl es Alternativen gibt!"

Für teure Werbung à la Eon hatten die EWS nie Geld übrig. "Wir überzeugen durch durchgängige Konsequenz und Unabhängigkeit von der Atomindustrie", erläutert Sladek ihr Erfolgsrezept, "durch Energieeinsparungen, Steigerung der Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien können wir den Strombedarf decken." Mit der Atomkraft sei dieses Konzept aber auch technisch nicht vereinbar, da diese nicht flexibel genug sei.

Der Ansicht der WiN-Frauen, die deutschen Klimaschutzziele könnten aber nur mit Atomkraft erreicht werden, widerspricht man bei EWS mit Verweis auf das Nischendasein dieser Energie. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren nur 2 bis 3 Prozent des globalen Energiebedarfs nuklear erzeugt. Außerdem biete die Preispolitik der Atomstromkonzerne - im Gegensatz zur EWS - keine Anreize zu einem energiesparenden Verhalten.

Dass man Frauen oder Männer gezielt ansprechen müsse, glaubt Ursula Sladek nicht: "Männer sind vielleicht mehr als Frauen in die Technik verliebt und trauen ihr mehr zu. Die Unfälle passieren aber infolge menschlicher Fehler - vielleicht sind sich Frauen dessen eher bewusst." Bei den EWS arbeiten zurzeit - zufällig - 21 Frauen und 5 Männer.

Vielleicht sollten es die Verantwortlichen von Vattenfall, RWE und Co auch einmal mit gleichberechtigten Kolleginnen versuchen, anstatt Frauen nur für die Werbung zu instrumentalisieren. Die schöne Jekaterina Bulgakowa als "Miss Atom" jedenfalls wird auch in Deutschland nichts an der weiblichen Ablehnung gegen Atomkraft ändern. Zu Recht.

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