Zu wenig Schulhelfer für behinderte Kinder: "Lernerfolge bleiben aus"

Jahr für Jahr kämpft Doreen Kröber um Schulhelfer für behinderte Kinder. Hat sie keinen Erfolg, heißt das für sie: den Job aufzugeben, damit sie ihren Sohn betreuen kann.

taz: Frau Kröber, in zwei Wochen beginnt die Schule - wissen Sie schon, ob ein Schulhelfer für Ihr Kind zur Verfügung stehen wird?

Doreen Kröber: Nein, das weiß ich nicht. Eine Woche nach Ferienbeginn hat die Schule uns schriftlich mitgeteilt, dass bis dahin keine Schulhelfer bewilligt wurden. Inzwischen wurde der Antrag beim Jugendamt auf Schulassistenz abgelehnt.

Ihr Sohn leidet unter frühkindlichem Autismus. Welche Art von Unterstützung braucht er in der Schule?

Doreen Kröber

Die 40-Jährige ist Mutter von zwei Kindern, ihr "Zauberkind" Max (9) ist Autist. Sie gründete 2006 mit anderen Eltern das "Netzwerk Förderkinder".

Er braucht Schulhelfer vorwiegend als Dolmetscher zwischen ihm und seinen Schulkameraden und dem Lehrpersonal. Die Schulhelferin sitzt neben Max und übersetzt die Aufgaben, sodass er sie versteht.

Ein Beispiel?

Wenn die Lehrerin sagt: Öffnet eure Mathebücher auf Seite 85 und löst Aufgabe 2b, dann kommt bei Max davon höchstens die Information an: Öffnet euer Buch. Das sind zu viele Wörter, zu viele Informationen gleichzeitg für ihn. Das versteht er nicht. Die Schulhelferin geht schrittweise vor. Sie sagt: "Mach bitte dein Buch auf." Wenn das geschehen ist, sucht sie mit ihm nach der Seite mit der 8 und der 5 - 85 kann er nicht -, dann nach der Aufgabe, und dann muss natürlich auch der Text der Aufgabe noch Stück für Stück verstanden werden. Bis er wirklich weiß, was er zu tun hat.

Benötigt er weitere Betreuung?

Ja, die Schulhelferin muss darauf achten, dass er die richtigen Schulmaterialien aus seiner Tasche holt, sie muss nach dem Toilettengang seine Kleidung richten, seine Schuhe binden und darauf achten, dass er aufmerksam bleibt und nicht in seinen Träumen versinkt. Eigentlich bräuchte Max auch Hilfe beim Essen, er stopft sich sonst zu große Stücke in den Mund, aber leider war die Stundenzahl nie ausreichend, dass die Schulhelferin bis zum Mittagessen bleiben konnte. Max hat bisher zehn Wochenstunden bewilligt bekommen. Donnerstags war niemand da.

Was würde es für Ihren Sohn und Sie bedeuten, wenn er keinen Schulhelfer mehr bekäme?

Für mich würde es wohl bedeuten, dass ich nicht mehr arbeiten gehen kann. Für Maximilian könnte das die gleichen Folgen haben wir vor zwei Jahren, als auch zunächst die Schulhelfer fehlten: Die ungewohnte Situation und die daraus resultierende Anspannung führt zu sogenannten Overloads, Reizüberflutungen, die bei Autisten zu Aggressivität oder Depressionen führen können. Die Schulhelferin ist für Max die wichtigste Bezugsperson außerhalb der Familie, zu der er Vertrauen und eine feste Bindung hat. Die LehrerInnen an seiner Schule leisten zwar sehr gute Arbeit, aber bei mehreren behinderten Kindern in einer Klasse können sie nicht zu jedem einzelnen so eine enge Beziehung aufbauen. Lernerfolge gehen dann gegen null.

Sie haben mit anderen Eltern das Netzwerk Förderkinder gegründet. Wie viele Kinder in Berlin bräuchten Schulhelfer?

Das kann kann man schwer sagen. Etwa tausend Kinder haben den offiziell attestierten Förderbedarf. Aber die Zahl steigt jährlich an.

Wie kommt das?

Bei den Austisten liegt das an der verbesserten Diagnostik: Kinder mit Förderbedarf werden schneller erkannt. Insgesamt steigt die Zahl behinderter Kinder aber von Jahr zu Jahr an.

Welche Erkrankungen oder Behinderungen haben die Kinder, die Schulhelfer benötigen?

Das ist unterschiedlich. Es gibt etwa Kinder mit Diabetes, die die Regelschule besuchen und Betreuung brauchen, weil ihr Blutzuckerspiegel und ihr Essverhalten kontrolliert werden muss. Vor allem aber sind es schwerst- und mehrfachbehinderte Kinder, die den Anspruch haben. Die Einstufung durch die Amtsärzte ist da sehr streng, es sind viele Gutachten erforderlich.

Trotzdem gibt es mit der Verwaltung Jahr für Jahr Ärger um die Anzahl der Schulhelfer-Betreuungsstunden, die diesen Kindern den Schulbesuch ermöglichen. Warum?

Weil die Verwaltung mit falschen oder alten Schülerzahlen operiert. Die statistische Erfassung förderungsberechtigter Kinder ist ungenau, autistische SchülerInnen werden etwa auf Landesebene nicht separat erfasst. Auf Bezirksebene liegen die Zahlen aber vor, ich habe entsprechende Tabellen bei den bezirklichen Schulämtern selbst gesehen. Und bei der Zumessung des Etats für Schulhelfer für dieses Jahr ist die Senatsverwaltung schlicht mit alten Zahlen in die Verhandlung mit dem Finanzsenator gegangen. Es war von Anfang an klar, dass 8 Millionen Euro den kommenden Bedarf nicht decken. Weil ja im letzten Schuljahr schon mehr gebraucht wurde.

Welche Lösung wünschen sich die betroffenen Eltern?

Ganz einfach: Für jedes Kind, bei dem die Schule der Ansicht ist, es bräuchte einen Schulhelfer, soll das bewilligt werden. Basta. Und zwar in dem Umfang, in dem die Schule das für nötig hält. Schließlich füllen die Schulen die mehrseitigen Anträge nicht aus Langeweile aus. Und schicken die Eltern, die nötigen Dokumente und Gutachten einzuholen. Denn der Bedarf und dessen zeitlicher Umfang müssen ja etwa auch von den zuständigen Verbänden bestätigt werden.

Wer unterstützt die Eltern dabei, dieses Ziel zu erreichen?

Viele Eltern sind sehr engagiert. Uns unterstützen die Oppositionsparteien, die Bezirksbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, einzelne Bezirksverordnetenversammlungen. Wer uns nicht unterstützt, ist der Landesverband des Autismusverbandes. Der hat nicht auf meine Faxe nicht geantwortet.

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